Als wir uns vor drei Jahren für die Inklusion entschieden, stießen wir auf jede Menge Gegenwind. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Inklusions-Pessimisten gibt es überall.
Und für „diese Kinder“ gibt es schließlich auch extra Schulen. Warum muss es also eine normale Grundschule sein? Und warum muss man seinem Kind diesen Druck aufbürden? Kann man die Behinderung des Kindes nicht einfach akzeptieren? Wofür die Inklusion, wenn es doch ohnehin niemals für die Hochschulreife reichen wird? Nun, ein paar Fakten und Gedanken zur Inklusion habe ich in diesem Beitrag bereits zusammengefasst.
Dass es kein leichter Weg werden würde, wussten wir von vorne herein. Aber wenn wir es uns hätten leicht machen wollen, hätten wir die Förderschule direkt um die Ecke gewählt. Immer noch eine Option, wenn die Inklusion für unsere Tochter keine Möglichkeiten mehr bietet und sie mit dieser Variante überfordert sein sollte.
Das dritte Schuljahr kam und mit ihm viele Veränderungen. Die Schule zog nach einem etwas holprigen Hin und Her in ein anderes Gebäude und Sonea macht nun im dritten Schuljahr den Stoff der zweiten Klasse. Und das macht sie wirklich toll. Trotzdem frustriert es sie zunehmend.
Soneas Bewusstsein hat hat sich verändert. Sie sieht immer mehr wie sehr sie sich doch von anderen Kindern unterscheidet. Dass sie anders ist. Sie merkt, dass sie sich mehr anstrengen muss, um mit den anderen mitzuhalten. Und das spornt sie nicht immer an, obwohl sie grundsätzlich sehr ehrgeizig ist, sondern frustriert sie zunehmend.
Es ist als ob Du versuchst mit einem Kleinwagen einen Sportwagen zu überholen.
Sonea ist sich ihrer Sonderstellung in der Klassengemeinschaft deutlich bewusst und auch das frustriert sie. Und immer wieder kommen kleinere Kinder, die plötzlich Dinge besser können als sie. Warum macht sie als Drittklässlerin den Stoff der zweiten Klasse? Und das, obwohl sie doch wirklich alles gibt und nicht faul ist.
Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause ist das so.
„Ich hasse meinen Bruder!“ platzt es in letzter Zeit immer wieder aus ihr heraus. Auch wenn eine solche Aussage nicht in Ordnung ist (das erklären wir ihr natürlich immer wieder), wissen wir auch wie es gemeint ist. Ihr Bruder führt ihr plötzlich mit Leichtigkeit vor, was Ihr im Alltag schwer fällt. Manchmal gibt es ihr den entscheidenden Impuls Dinge plötzlich zu können und Knoten zu lösen. Und dann gibt es aber auch die Situationen, in denen sie einfach nur noch sauer ist. Weil ihr Bruder sich plötzlich für Buchstaben und Mengen interessiert und sich in diesen Dingen spielerisch ausprobiert.
An manchen Tagen findet sie es toll, nutzt die Wissbegierde ihres Bruders, saugt alles auf wie ein Schwamm und zeigt dann auch was sie selbst schon kann. Und dann gibt es aber auch Tage, an denen schaut sie einfach nur missbilligend zu und schimpft „Das machst Du falsch!“. Im Prinzip stört es sie aber nicht, dass das N falsch herum geschrieben ist, sondern es stört sie, dass ihr kleiner Bruder plötzlich einfach so seinen eigenen und auch ihren Namen schreiben kann. Es scheint ihm alles so leicht zu fallen. Bald schon hat er sie eingeholt. Von Kopf bis Fuß, in der ganzen Entwicklung.
Es ist als würden zwei Gärtner Blumensamen säen und der eine hegt und pflegt sein Beet und gießt immer schön fleißig und der andere legt sich nach dem Aussäen faul in die Sonne und wartet ab. Und dann passiert das Unfassbare – beim faulen Gärtner sprießen die Pflänzchen nur so und bei dem emsigen Gärtner tut sich nichts.
Nun ist Soneas kleiner Bruder natürlich nicht faul und jedes andere Kind, das schneller lernt, natürlich auch nicht. Aber Sonea eben auch nicht und das frustet sie gerade enorm.
Im Alltag stört uns dieses kleine Extra-Chromosom grundsätzlich nicht so sehr. Aber gerade erschwert es uns, aber vor allem Sonea so einiges. Es ist ihr im Weg und es legt sich wie ein schwerer Klotz auf den ganzen Tag. Morgens beim aufwachen hängt es schon an ihrem Bein und zieht sie wie ein Magnet wieder unter die Bettdecke.
Es gibt Tage, an denen springt sie morgens aus dem Bett und jubelt „Heute ist Lesestunde!“, aber die meisten Tage brüllt sie „Laaaaass mich! Ich bin noch müüüüüde! Mir geht es gar nicht gut!“.
Manchmal bekomme ich sie aus dem Bett gelockt, in dem ich sage „Oh nein, dann lass uns mal schnell runter gehen und Fieber messen!“ und an vielen Tagen biegt sie aber einfach ab ins nächste Zimmer und versteckt sich unter der Bettdecke. Grundsätzlich braucht es aber gerade ganz viel Fingerspitzengefühl, Geduld und Tüddelei. Das zieht sich durch den ganzen Tag.
„Ich hasse Schule!“ ist momentan einer der meist gesagten Sätze meines großen Mädchens, das eigentlich immer gerne in die Schule gegangen ist.
Selbst so Dinge, wie Schwimmen gehen, werden auf einmal boykottiert, obwohl sie es eigentlich liebt. Aber Schwimmunterricht bekommen nur die Zweitklässler und sie ist doch eigentlich Drittklässler. Oder etwa nicht? Es ist nicht immer leicht Ihr verständlich zu machen, dass sie genau so wie sie ist, gut ist.
„Das war doch klar, dass es so kommen wird“ und „Das arme Kind ist überfordert“, höre ich nun die Inklusions-Gegner sagen. Ja, es war klar, dass dieser Punkt kommen wird. Aber es heißt nicht, dass wir an der Inklusion gescheitert sind, sondern einfach nur an dem Punkt angelangt sind, an dem sie eine neue Herausforderung geworden ist. Eine Herausforderung, die wir als Eltern, aber auch die Lehrer, die Schulbegleitung und vor allem Sonea annehmen werden.
Wir werden alles tun, um sie auf diesem Weg zu unterstützen und gerade schauen wir einfach umso mehr darauf, dass sie ihr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen auf dem Weg nicht verliert und ihre Freude beim Lernen behält.
Und vor allem, werde ich versuchen ihr ein Stück von dem zurück zu geben, was sie mich in den letzten Jahren gelehrt hat: dass Schwäche auch eine Form von Stärke ist und dass es nicht wichtig ist in allem gut zu sein, sondern in den Bereichen zu glänzen, die man besonders gut kann. Wir sind alle verschieden und jeder hat seine ganz besonderen Highlights.
Stoff: Juna von Miss Patty für lillestoff.