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Mein Leben mit dem Besonderen #44 Eine Mütze voll Glück

Wie fühlt es sich an, wenn das Leben vollkommen aus den Fugen gerät? Wenn man nur weinen könnte, so aufgeputscht ist voll Sorge als hätte man zu viel Kaffee getrunken und nicht weiß wie es weiter gehen wird.

Es geht weiter, das haben mein Mann und ich in den inzwischen zwei Jahren gelernt und wir haben damit gelernt zu leben. Zu Leben mit der Angst die sich in unserem Herzen einen Platz „gesichert“ hat.

Die Überraschung und der damit einhergehende Schrecken waren in unserer Familie im Juli 2013 groß. Bei unserem Sohn wurde eine akute Leukämie in der Hämatologischen Poliklinik Tübingen diagnostiziert. Sicher, er war in den zwei Monaten zuvor etwas abgeschlagen und infektanfällig gewesen. Aber wie so viele andere betroffene Eltern hätten wir nie an eine Leukämie gedacht. Von einem Tag auf den anderen wurden wir aus dem geregelten Leben gerissen. Und unser Sohn konnte mit seinen 6 Lebensjahren nicht begreifen, was um ihn herum passierte. Wir mussten nach der Diagnosestellung im Krankenhaus bleiben, und am nächsten Tag fing schon die Chemotherapie an. Infusionen, Bluttransfusionen, Knochenmarkpunktionen, Medikamente schlucken und eine Operation, wo ihm ein Katheder implantiert wurde.

Viel Ablenkung hat ihm dabei geholfen, die lange Zeit im Krankenhaus zu überstehen. Er wurde von Lehrern im Stoff der 1. Klasse unterrichtet und es kamen in regelmäßigem Abständen Klinikclowns vorbei und haben die Kinder aufgeheitert.

Nach zwei Monaten durften wir nach Hause und mussten dann drei-viermal die Woche in die Klinik zu Infusionen etc. fahren. Das hat vieles erleichtert.

Jetzt im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr, wie ich das erste Jahr nach der Diagnosestellung bewältigt habe. Wir mussten sehr isoliert leben, Freunde durften uns nicht besuchen, wir waren nicht in der Stadt unterwegs, sondern nur bei uns im Garten. Die Angst vor einer Infektion (Schnupfen, Grippe..) war zu groß. In dem Jahr habe ich so viel telefoniert wie noch nie zuvor. Es war mein wichtigster Kontakt zur „Außenwelt“. In der Zeit haben sich Freundschaften aufgelöst und neue wertvolle sind hinzugekommen. Von meinen Freundinnen ist mir nur eine geblieben, die Verständnis für unsere Situation zeigte, die mit der Krankheit unseres Sohnes umgehen konnte und immer ein offenes Ohr hatte Tag und Nacht.

Jetzt nach zwei Jahren ist der Blutkrebs verschwunden, aber wir müssen noch fünf weitere Jahre hoffen, dass er nicht wieder kommt. Wir leben damit, immer wieder in die Klinik zu fahren und gespannt auf das Blutbild zu warten und schon die Nacht zuvor nicht schlafen zu können.

Unser Familienleben hat sich komplett geändert, wir lieben das Leben jeden Tag und machen keine Kompromisse mehr.

Und es mag sich verrückt anhören, aber irgendwie bin ich froh, dass es uns als Familie erwischt hat mit der Krankheit, denn wir sind eine starke Familie, wir haben es gut gemeistert und sind an uns selbst gewachsen. Unser Leben ist umso vieles reicher geworden.

Vor einem Jahr habe ich mein Projekt „Eine Mütze voll Glück“ gegründet. In vielen Stunden Handarbeit habe ich schon über 1000 Mützen genäht und Deutschlandweit verkauft. Der Erlös geht dabei komplett an den „Förderverein für krebskranke Kinder in Tübingen“. Am Anfang bin ich zu meinen Verkaufsrunden in die Kindergärten immer mit einem Karton auf meinem Rad gefahren. Inzwischen liegen die bunten Mützen in einem Laden in meiner Stadt aus. Für mich ist es ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn ich weiß, dass ich damit Gutes tun kann. Dann vergesse ich auch zuweilen den Schmerz den ich noch manchmal empfinde, wenn ich meinen Sohn ansehe und weiß, dass er noch eine Zeit des Wartens und Hoffens vor sich hat.

Ich wünsche euch einen schönen besinnlichen 1.Advent bei mir duftet es schon nach selbstgebackenen Elisenlebkuchen,

Herzlichst eure Katja

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6 Kommentare

  1. Claudia sagt

    Liebe Katja, vielen Dank für deine Worte und dein Engagement. Bei unserem vier jährigen Sohn wurde im Juli dieses Jahr die Diagnose Leukämie gestellt, und die Angst hat sich damit in unserem Leben breit gemacht. Ich kann es manchmal noch immer nicht glauben, was da gerade passiert! Ich wünsche euch von Herzen alles Liebe, Claudia

  2. Claudia sagt

    Hallo Katja,
    in dieser Situation sind wir gerade auch.Naja, nicht genau so weit.Unser 1 1/2 jähriger Pflegesohn hat vor 160 Tagen seine Stammzellen transplantiert bekommen. Nun hoffen wir mit ihm….
    Ja, die Zeit in der Quarantäne ist und war fürchterlich.
    So langsam schleicht sich wieder so etwas wie „Normalität“ ein…
    Und wir genießen jeden Tag, den wir zu Hause verbringen dürfen.
    LG
    Claudia

  3. Ingeborg Schöpf sagt

    Wow… Das ist einfach nur Wahnsinn

    Viel Glück für Euch!

  4. Karin B. sagt

    Liebe Katja, eure Geschichte hat mich sehr berührt und ich freue mich, dass es euch als Familie so gestärkt hat!
    Dein Projekt finde ich Klasse! Kannst Du Stoffe oder Unterstützung beim Nähen gebrauchen ? Ich helfe gern.
    Lieber Gruß
    Karin

  5. Katja, danke für diese Worte.
    Ich bin mir sicher, diese geben vielen jede Menge Mut. Das Schicksal ist oft unbarmherzig. Leben passiert. Gerade dann ist es unglaublich schön zu erleben, dass man als Familie unmenschliches schaffen kann. Das liebe Menschen hinter einem stehen. Das müssen auch nicht viele – sondern nur wichtige sein.
    Viel Kraft weiterhin. Und alles Glück der Welt, damit ihr die nächsten Jahre immer erleichtert aus den Nachuntersuchungen kommt.
    liebe Grüsse
    Tanja

  6. Ani Lorak sagt

    Hallo. Danke für den Einblick! Gut, dass Ihr daran gewachsen seid und ich wünsche Euch alles Gute und hoffe, dass die nächsten fünf Jahre gut laufen! Ja – solche Situationen sieben und schön, dass Ihr Unterstützung gefunden habt! Wünsche viel Kraft! Und ja – genießen sollte man und sich nicht ärgern!

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