Ich saß auf dem Sofa und stillte bereits eine dreiviertel Stunde lang mein Baby, da sagte meine Freundin „Oh, der Arme wird immer zu kurz kommen und im Schatten seiner Schwester stehen.“
Nun… wir können das abkürzen. Sie ist schon lange nicht mehr meine Freundin.
Ein wirklich positiver Nebeneffekt von einem Kind mit Behinderung ist nämlich, dass Du Deinen Freundeskreis automatisch aussiebst. Es gibt Menschen die neu dazu kommen, einige, die bleiben und andere, die gehen.
Das Klischee der Schattenkinder
Mein Löwenkind. Wie könnte er zu kurz kommen? Das ist persönlichkeitsbedingt völlig ausgeschlossen.
Und doch verfolgt mich das Klischee der Schattenkinder seit seiner Geburt.
Es ist über die Jahre zu einem unterbewusst schlechten Gewissen geworden. Eine Stimme in meinem Kopf.
Und da ist er, mein Sohn, der meine Sorge darum längst durchschaut hat.
Bei all meinen Bestrebungen beide Kinder gleich zu halten, ist es selten genug.
„Immer darf die Sonea anfangen!“
(heute ist es mal so, weil ich weiß, dass es weniger Theater gibt, wenn es umgekehrt wäre)
„Immer bringst Du Sonea ins Bett!“
(nachdem ich ihn drei Tage in Folge ins Bett gebracht habe und nun einen Tag mal seine Schwester)
oder „IMMER bekomme ICH Ärger!“
(sie hat ihn provoziert, aber er springt sofort darauf an und wird dabei handgreiflich)
Geschwisterdynamik – wem kommt es bekannt vor?
Vielleicht kommt Dir das bekannt vor. Ich kenne es selbst aus der Geschwisterdynamik mit meinen Geschwistern. Es wiederholt sich. Mit oder ohne Behinderung, völlig egal.
Aber das schlechte Gewissen hat sich ins Unterbewusstsein gefressen.
Der Löwe, der es sich im Schatten der Sonne gemütlich gemacht hat. Aber, wird er aktiv, ist seine Präsenz alles andere als unscheinbar.
Er ist es, der sämtliche Hobbys und Termine hat. Er ist es, der trotz Pandemie und Lockdown seine festen sozialen Kontakte hat und trotzdem nicht von den anderen Kindern vergessen wird. Und er ist es, der Dinge nachts im Schlaf lernt, für die Sonea lange üben muss.
Aber er ist es auch, von dem wir manchmal Verständnis für Situationen erwarten, die einem Achtjährigen rational schon jede Menge abverlangen. Er ist derjenige, der seine Schwester im Nacken hat, die mitspielen möchte, wenn er einen Freund zu Besuch hat. Und er ist es, der sich manchmal peinlich berührt fühlt, wenn Sonea irgendwelche Geschichten aus der Kleinkindzeit auspackt und ihn „Würstie“ nennt, weil es dazu eine lustige Geschichte gibt.
Auch das kenne ich noch zu gut aus meiner Kindheit. Diese Knöpfe, die mich zum Explodieren brachten, wenn meine Schwester sie drückte. Gar nicht drauf eingehen – unmöglich!
Ich wünschte, ich hätte keine Schwester!
Abends vor dem Schlafengehen wird es meistens nochmal richtig laut und wild bei uns. Und dann kommen auch mal Worte über die Lippen, die man morgens vielleicht nicht sagen würde, wie eben „Ich wünschte, ich hätte keine Schwester!“.
Morgens liegen sie sich aber dafür oft in den Armen und begrüßen sich, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen.
Manchmal fühlt es sich für Soneas Bruder total ungerecht an sie als Schwester zu haben. Aber nicht wegen ihres Down-Syndroms, sondern wegen ihrer selbst.
Vielleicht wäre manches anders, wenn sie keine Behinderung hätte. Aber um die ungeteilte Aufmerksamkeit und das größere Stück Kuchen würden beide trotzdem wetteifern. Auch ohne Extra-Chromosom.
Und so bemühe ich mich Tag für Tag beiden Kindern die ungeteilte Aufmerksamkeit zu geben, die sie in dem Moment brauchen. Doch am Ende des Tages ist es meistens nicht genug.
Morgen ist ein neuer Tag…
Ida ist sicher auch kein Schattenkind. Sie hat Freunde und ihr Hobby, was sie auch im Lockdown weiter macht. Felix meckert dann: ich will auch mal wohin.
Und wenn schon mal kommt: Felix muss das nicht oder Felix macht das auch nicht, erkläre ich ihr, warum das so ist und alles ist gut.
Sie holt sich die Aufmerksamkeit die sie braucht und sonst hat sie sicher mehr als Felix. Und ich denke, das ist tatsächlich bei allen Geschwistern egal ob mit oder ohne Behinderung
LG Katja
Ich bin selbst mit einem Bruder mit Down Sydrom aufgewachsen und noch 2 weiteren Geschwistern.
Ich kann mich da gar nicht so dran erinnern, ob es mit ihm so anders war … er war eher für mich der kleine Bruder, obwohl er älter ist … da er fast alles nicht konnte, was ich konnte. Er war dabei, aber irgendwie auch nicht, da er stark beeinträchtigt ist und nie sprechen gelernt hat.
Er gehörte einfach dazu.
Man wusste, wie man ihn händeln muss und war meist einfach friedlich.
Daher ist mein Erfahrungsschatz diesbezüglich ein ganz anderer.
Mit den anderen Geschwistern lief es aber genauso wie zwischen Sonea und dem Löwenkind ;-).
Und auch meine Kinder fühlen sich schon mal benachteiligt, obwohl es nicht zutrifft.
Letzte Woche bspw. Das große Kind brauchte dringend neue Klamotten, also war ich einkaufen. Anfang dieser Woche durch Zufall auch was schönes für die mittlere gefunden. Beschwerde von der Großen … „Warum bekommt xy ein neues Kleid und ich nicht? Ich habe schon lange nichts mehr bekommen. Das ist voll unfair!“ „Ähm, das hängt ja auch davon ab, wo ich gerade was finde… aber was hast Du letzte Woche von mir Neues bekommen?“ „Nichts, außer 2 Kleider, 1 Rock, 2 Jeans und 1 Leggings.“ … „Also ist wenn überhaupt xy benachteiligt, oder? “ „Das war aber letzte Woche. Ich find das unfair. Sie hat ein neues Kleid und ich nicht.“ … was soll man dazu noch sagen?
Es sind einfach Kinderquerelen.
Irgendeiner fühlt sich immer mal benachteiligt ;-).
Man kann nur versuchen, das Beste draus zu machen und jeden so zu nehmen, wie er ist :-).
Du sprichst mir als Dreifachmama aus der Seele.
Sei gewiss, dein Dilemma teilst du mit allen Eltern der Welt, die mehr als ein Kind haben.
Es gibt leider kein Patentrezept.
Aber ich bin mir ganz sicher, dass du den „richtigen“ Weg längst gefunden hast.
Alles Liebe für euch!
Ja, so ist es doch schon bei zweien. Eine Behinderung spielt da keine große Rolle zwingend. Ich wollte mehr als zwei Kinder und man hat mir mehrfach gesagt, dass sich insbesondere das mittlere Kind z.B. immer vernachlässigt und ungerecht behandelt fühlt. War das in meiner Kindheit auch so? Wir waren damals auch zu dritt. Ich würde es mir nicht anders wünschen, auch wenn ich natürlich noch genau weiß, dass ich die zwei oder mindestens einen meist täglich hätte zum Mond schießen können. Mein mittleres Kind hat mir gerade einmal in einem traurigen Augenblick gesagt, wie schwer es sich oft für es anfühlt. Ich selbst weiß, dass ich dem großen Kind oft ganz schön viel zumute. Tja, was wird das kleinste in zwei, drei Jahren denken und sagen? Sie werden sich lieben und fetzen wie alle Geschwister, denke ich. So wie ich es mit meinen Geschwistern erlebt habe und es nachfolgende Geschwisterpaare auch tun werde. Ich hoffe, dass eine Verbundenheit bleibt und kein Grahm über Ungerechtigkeiten. Ich persönlich kann nur mein bestes geben. Und ich bin froh, dass sie da sind.
Hallo
Ich könnte jetzt ziemlich viel schreiben – selbst Mama eines 21×3 Kindes – Junge 20 Jahre und eines süßen kleinen Mädchen -15 Jahre
Ich habe mich so gefreut ein Mädchen zu bekommen und bin es immer noch – aber mein Weg ist ein langer und jeden Tag lerne ich dazu – ich übe mich in Toleranz und Akzeptanz von Charakteren und möchte mich in diesem Gemisch selbst nicht verlieren – und was ich gelernt habe – wir müssen das Leben so annehmen wie es ist – wir ändern niemanden und können uns auch unsere Kinder nicht so formen – wie man sie gerne hätte – ich wünsche allen mit einer extra Packung viel Geduld Verständnis – ich lese deine Beiträge immer gerne
Danke fürs teilhaben lassen