Der Tod des eigenen Kindes ist für Eltern mit Sicherheit eines der schlimmsten Erlebnisse, die passieren können. Und so ist die Gefahr eines „plötzlichen Kindstodes“ für viele Eltern ein absoluter Albtraum. Die Vorstellung, eines Tages das eigene Kind einfach tot vorzufinden, ohne ersichtlichen Grund.
„Der plötzliche Kindstod, plötzliche Säuglingstod oder Krippentod (lateinisch: mors subita infantium) ist das unerwartete und nicht erklärliche Versterben eines Säuglings oder Kleinkindes, das zumeist in der (vermuteten) Schlafenszeit des Säuglings auftritt.“
Quelle: Wiklipedia
Für mich ist dieses Thema gerade wieder präsent geworden, nachdem ich von einer Mutter erfahren habe, welche tragischerweise vor ein paar Wochen ihr Kind auf diese Art verloren hat. Das bewegt mich sehr und bringt mich in Kontakt mit meiner eigenen Geschichte dazu. So wäre – wie einige vielleicht wissen – mein Sohnemann im Alter von drei Monaten fast am „plötzlichen Kindstod“ gestorben.
Aber erstmal von Vorne.
Meine Sohn kam Mitte Oktober 2014, drei Wochen vor dem errechnetet Termin, zur Welt. Er entwickelte sich von Anfang an prächtig und war ein richtiger Brocken. Im Gegensatz zu unserer Tochter war er absolut „pflegeleicht“ und schlief in den Nächten sehr gut. Da in unserem Freundeskreis vor einigen Jahren ein Kind am plötzlichen Kindstod gestorben war, kontrollierte ich (bis heute) in regelmässigen Abständen den Schlaf meiner Kinder.
Am Mittag des 19 Januar 2015 nähte ich gerade etwas, während mein Sohn ein paar Meter von mir entfernt auf dem Gästebett schlief. Mich erreichte die Nachricht von einer Freundin, dass sie heute ihr Kind bekommen habe. Ich freute mich unglaublich mit ihr und rief gleich meinen Mann an, um ihm die tollen Nachrichte zu überbringen. Während ich so mit meinem Mann sprach, ging ich zu meinem Sohn und wollte schauen wie es ihm ging.
Kennt ihr das, wenn ihr Säuglinge im Schlaf anfasst, dann ziehen sie sich immer so lustig zusammen als würden sie sagen wollen: „Ey lass mich in Ruhe, ich will schlafen!“
Als ich meinen Sohn berührte, habe ich daher sofort gemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte – denn er bewegte sich nicht und dann sah ich seine blauen Lippen.
Komplett panisch schmiss ich das Telefon durch den Raum und hob meinen Sohn hoch. Er hing ganz schlaff in meinem Arm, hatte keine Körperspannung und machte keine Bewegung. In diesem Moment hat meine Gehirn völlig ausgesetzt, ich wusste überhaupt nicht mehr, was zu tun war. Und das obwohl ich fünf Monate zuvor einen Erste-Hilfe-Kurs für Kinder und Säuglinge besucht hatte. Doch in meinem Schockzustand konnte ich mich an nichts mehr erinnern und fing in meiner Verzweiflung an, mein Kind zu schütteln. Doch das half nichts, er blieb weiter regungslos. Völlig ausser mir schrie ich ihn an, dass er doch endlich aufwachen solle, aber auch das hatte keinen Effekt.
Ich weiss nicht genau wie ich darauf gekommen bin. Aber irgendwie erinnerte ich mich daran, dass in so einem Zustand der Kreislauf des Kindes „geschockt“ werden muss. Zu der Zeit war es ja Winter und draußen um die -10°C kalt. In Windeseile entkleidete ich meinen Sohn bis auf die Windeln, um so mit ihm nach nach draußen zu gehen. So stand ich völlig aufgelöst auf meinem Balkon und hielt diese leblose Kindelein in meinen Armen. Und dann holte er plötzlich einen tiefen Atemzug Luft. Ich bin fast durchgedreht vor Freude, als er dann seine Augen öffnete.
Sofort bin ich dann mit ihm wieder ins Warme und wollte gleich ins Spital fahren. Doch während ich ihn anzog und ihn in seinen Maxi Cosi legen wollte, driftete er mir immer wieder weg. So rief ich den Notarzt an und anschliessend ging es mit dem Krankenwagen und Blaulicht ins Spital. Währendessen kam mein Sohn wieder komplett zu sich und lachte, als ob nichts gewesen sei.
Wir wurden auf die Intensivstation gebracht und mein Sohn an alle mögliche Gerätschaften angeschlossen, um ihn zu überwachen. Recht schnell teilten mir die Ärzte mit, dass er wohl einen plötzliche Kindstod überlebt hatte – ein kleines Wunder sei das. Ich blieb noch zwei Tage im Spital und es wurden noch gefühlt tausend Untersuchungen mit meinemKind durchgeführt, um mögliche Unregelmässigkeiten zu entdecken, die auf eine andere Diagnose hindeuten könnten, als den plötzlichen Kindstod. Doch alle Untersuchungen waren positiv, das Kind war zu 100% gesund. Nachdem der erste Schock verflogen war, stellte ich mir immer wieder die Frage nach dem „Warum“. Mein Kinderarzt meinte, dass es kaum eine Erklärung gäbe, als dass manchmal selbst die stärksten und gesündeste Kinder einfach im Schlaf das Atmen vergessen würden und so sterben würden.
Als wir dann aus dem Krankenhaus entlassen wurden, war mir das überhaupt nicht recht. Denn ich hatte schrecklich Angst vor zu Hause, hatte Angst, dass es wieder passiert und ich es dann nicht zur rechten Zeit bemerken würde. Ich wollte keine komplette Überwachung für mein Kind installieren, denn die Ärzte hatten mir auch davon abgeraten. Ihrer Ansicht nach gäbe es keinen ersichtlichen Grund für eine Gefährdung und die Wahrscheinlichkeit, dass er nochmals einfach mit Atmen aufhören würde, läge bei 1:10‘000. Sie argumentierten ausserdem, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich einmal vergessen würde das Überwachungsgerät einzuschalten und in dieser Zeit etwas passieren würde.
So war ich dann wieder zu Hause, mit meiner Tochter und meinem Sohn und war konfrontiert mit meinen großen Ängsten, während ich versuchte wieder einen „normalen“ Alltag zu bekommen.
In der ersten Zeit konnte ich meinen Sohn nie richtig schlafen lassen, nach einer halben Stunde musste ich ihn immer aus dem Schlaf holen um zu schauen, ob er noch lebt. Durch dieses schockierende Erlebnis war ich extrem unentspannt geworden – in jeder Hinsicht. Es war eine Katastrophe und alles drehte sich um meinen Sohn – 24h am Tag.
Aber ich habe eben nicht nur ein Kind, sondern zwei. Meine Große schien das Ganze zwar erstaunlich locker wegzustecken mit ihren erst 2 1/4 Jahren. Trotzdem hat sie natürlich auch gemerkt, dass sich alles um ihren Bruder dreht und so hat sie diese Zeit auch sehr geprägt.
Mit der Zeit wurde ich immer angespannter, unsichere und hatte ständig Angst, dass wieder etwas Schlimmes passiert. Die meisten Menschen die mich kennen, können sich das gar nicht vorstellen, dass dies mein Grundgefühl war. Diese Stimmung führte auch dazu, dass sich meine Angst auf die Kinder übertrug und so konnte ich bspw. beobachten, wie meine Tochter immer unsicherer wurde.
Und schlussendlich hat mein Mann eingegriffen, indem er mir in einem richtigen Donnerwetter die Augen öffnete und mir deutlich machte, wie ich gerade durchs Leben ging. Schließlich bekam er meine Veränderung täglich hautnah mit. Er half mir dabei mich mit meiner Angst auseinander zu setzten und wieder Gottvertrauen zu entwickeln. Ich musste wieder lernen ein gesundes Gefühl für Risiken und Gefahren zu bekommen ohne gleich von der Angst überrollt zu werden, was ein herausfordernder Lernprozess war.
Ja, mein Kind darf hinfallen und es wird dann nicht gleich sterben.
Und nein, ich muss nicht die ganze Zeit jeden Schritt meiner Kinder beobachten, es passiert nicht immer etwas.
Und trotzdem hat mein Mann mich auch dadurch unterstützt, indem er die Sachen mit den Kindern übernommen hat, welche mich besonders stressten. So hat er bspw. erst meiner Tochter das Velo fahren beigebracht und später auch dem Sohnemann.
Am Ende scheint mein Sohn das Ganze wohl am besten von uns allen verarbeitet zu haben. So war er nach dem Vorfall weiter ein zufriedenes und unglaublich tiefenentspanntes Baby. Und jetzt, knapp vier Jahre später, bin auch ich fast wieder die Alte. Klar, es gibt ab und an Situationen, da brennt es noch immer mit mir durch. Beispielsweise wenn wir in der Nähe von tiefem Wasser sind. Ich werde dann plötzlich ganz anspannt und genervt und vertrage es gar nicht, wenn die Kinder nur in die Nähe vom Wasser gehen. Auch die Risiken im Straßenverkehr kann ich je nach Tagesverfassung kaum ertragen. Denn meine beiden Kinder sind aufgeweckt und sehr lebendig und haben wenig Respekt vor Gefahren. So macht es das für mich ins solchen Situationen besonders schwierig, die Ruhe zu bewahren und das Risiko für die Kinder richtig einzuschätzen.
Grundsätzlich versuche ich die Kinder sehr viel machen zu lassen. Wenn ich dabei merke, dass ich wieder unverhältnismässig viel Angst bekomme, dann schau ich kurz weg und atme tief durch. Vielleicht hört sich das doof an, aber meiner Erfahrung nach passiert oft genau dann etwas, wenn ich voller Ängstlichkeit meine Kinder bei irgendeiner Aktivität beobachte. Beispielsweise auf dem Spielplatz, wenn das eigene Kind gerade speziell herumklettert. Man schaut besorgt und ängstlich zu und schon hat sich das Kind irgendwie verletzt. Wenn wir die Kinder mehr machen lassen und ihnen vertrauen, dann kommt es auch meistens gut. Wisst ihr, was ich meine? Natürlich bedeutet das nicht, dass man die Kinder alles machen lässt, es braucht einfach ein gesundes Maß an „Machen lassen“ und „Eingreifen“. Aber genau das musste ich wieder neu lernen und mir dabei immer wieder sagen, dass Kinder ganz schön viel wegstecken können an „kleinen Unfällen“, die so im Alltag entstehen. So sind diese für viele Kinder deutlich weniger dramatisch ist, als für uns Erwachsene.
Ich versuche sehr offen mit meiner Familie und Freunden über all das zu reden, um meine Wahrnehmung mit der von Anderen zu vergleichen und mir so immer mehr wieder selbst vertrauen zu können. Das Reden hat mir aber grundsätzlich unglaublich viel in der Zeit geholfen. Ich weiss nicht wie viele tausend Male ich dieses schockierende Erlebnis mit Freunden und Familie besprochen habe.
Was mir schlussendlich bei diesem Thema jetzt noch Sorgen bereitet ist meine Reaktion auf gefährlichen Situationen. Ich merke zwar, dass ich einen immer besseren Umgang mit der Angst habe und riskante Situationen besser einschätzen kann. Aber wenn die Gefahr dann deutlich da ist, passierte es mir wiederholt, dass ich völlig versteinert da stehe und nicht mehr weiß, wie ich reagieren soll. Gott sei Dank war ich in diesen Situationen bisher nicht alleine und mein Gegenüber wusste in der Situation richtig zu handeln.
Mein Sohnemann ist im Oktober 4 Jahre alt geworden und er gibt wirklich Vollgas. Wenn es nach ihm geht, kann alles nicht schnell genug gehen.
Und ich muss bis heute lernen immer weiter loszulassen, Dinge einfach passieren zu lassen, zu vertrauen in meine Kinder, in mich. Ich möchte meine Ängste nicht auf meine Kinder übertragen, sie damit hemmen und so im schlimmsten Fall unbewusst ihr Selbstvertrauen beeinträchtigen. Und nicht zuletzt arbeite ich daran, dass ich in wirklich riskanten Situationen seltener in eine Schockstarre gerate, sondern ruhig und überlegt reagieren kann. Es geht also immer weiter, Stückchen für Stückchen.
Es ist sehr speziell nochmals so intensiv über diese Zeit nachzudenken und zu schreiben. So habe ich auch gemerkt, das ich vieles aus dieser Zeit langsam vergesse.
Aber vor Allem wurde mir nochmals deutlich, je offener ich mich zeige mit meinen Ängsten und Sorgen, je mehr ich darüber rede oder hier jetzt schreiben, desto weniger Macht haben diese Gefühle über mich. Außerdem mache ich immer wieder die Erfahrung, dass ich mit all dem nicht alleine bin und das macht es leichter all dies anzunehmen.
Mehr über Susanne erfahrt Ihr auf ihrem Blog muckelie.
Seeeehr schön gschriebe, Susanne!!!!
Ich habe Ähnliches erlebt mit meinem 8 Monate altem Sohn. Leider würde ich nicht von Ärzten ernst genommen.Uns wurde gesagt, dass es das „überleben des plötzlichen Kindstodes“ nicht gibt.Ich denke mehrmals täglich an diesen einen Augenblick. Danke für die Veröffentlichung eures Geschehens.