Letzte Woche war Welt Down-Syndrom Tag. Der einzige Tag, an dem meine Tochter einfach sie selbst sein darf und dafür auch noch gefeiert wird. Einfach, weil sie ein toller Mensch ist.
Bei uns zu Hause lieben und feiern wir sie in gewisser Weise natürlich jeden Tag. Genau so wie sie ist. Bedingungslos. Obwohl sie gerade eine ECHT anstrengende Phase hat. Aber vielleicht bin auch ich das. Oder Soneas Bruder. Und der Papa sowieso.
Am Welt Down-Syndrom Tag setzt sich die ganze Welt für das Down-Syndrom ein. Das Netz wird überflutet mit positiven Berichten über Menschen mit Extra-Chromosom, die Wunderbares geleistet haben. Obwohl sie ein Chromosom mehr haben. Oder eben genau deshalb. Menschen mit dem schönsten, herzschmelzenden Lächeln strahlen einen von Plakaten an und man kann gar nicht anders als dieses Lächeln zu erwidern.
Das Netz wird überschwemmt von Videos über und mit Menschen, die das Down-Syndrom haben und es wird positiv hervor gehoben was diese Menschen alles können und dass sie grundsätzlich unterschätzt werden.
Die ganze Welt schwärmt von Menschen mit dem Down-Syndrom. Und irgendwer kennt immer irgendwen, der irgendwen kennt. Ihr kennt das. Plötzlich ist das Down-Syndrom echt super und unsere kleinen Spezial-Agenten können Ihre Liebe in die ganze Welt hinaus tragen, ohne wie ein Alien angestarrt zu werden oder ein missbilligendes Naserümpfen zu kassieren.
Auf einmal ist alles cool so wie es ist. Es ist cool ein Extra-Chromosom zu haben. Und es ist völlig okay anders zu sein.
An allen anderen 364 Tagen im Jahr natürlich auch, aber da geht man dann wieder zur allgemeinen Tagesordnung über: dem gesellschaftlichen Mobbing. Das liegt nunmal in der Natur des Menschen. Alles, was nicht der Norm entspricht und irgendwie anders ist, wird einfach weggemobbt.
„Dieses Kind wird niemals ein Abitur machen können! Überlegen Sie sich gut, ob sie es bekommen wollen!“ wird dem werdenden Elternpaar eindringlich vom Pränataldiagnostiker mit auf den Weg gegeben. Wenige Minuten zuvor waren sie noch voller Vorfreude auf die Geburt ihres ersten Kindes und haben verzückt am Ultraschall gesehen, wie es Purzelbäume schlägt und am großen Zeh nuckelt. Und nun bleiben dem werdenden Elternpaar ein paar wenige Tage, um sich für oder gegen ihr Kind zu entscheiden.
Ein enormer Druck und entscheidet man sich FÜR und nicht gegen dieses Kind, kassiert man selten Beifall. Schließlich ist nicht jeden Tag Welt Down-Syndrom Tag, an dem es völlig okay ist verschieden zu sein.
Es wird über einen Bluttest diskutiert, der Kassenleistung werden soll, und der eine frühzeitige Diagnose eines Gendefekts sicherstellen kann. Weil bis zur zwölften Woche ist das mit den Abtreibungen in Deutschland ja noch völlig unproblematisch und legitim.
Und da frage ich mich, in was für einer kranken Gesellschaft leben wir eigentlich?
An 364 Tagen im Jahr ist das Down-Syndrom nämlich genau so wie jede andere Behinderung eine BeLASTung für die Gesellschaft.
Irgendwann gibt es dann vielleicht nur noch einen Down-Syndrom-Gedächtnistag… bis auch dieser Tag dann ganz in Vergessenheit gerät. Und mit ihm viele großartige Menschen, die es bestens verstehen ihr Leben zu leben. Im hier und jetzt und völlig ungefiltert. Die noch für kleine Dinge große Begeisterung zeigen können. Die sich nicht von unserer Leistungsdruckgesellschaft kaputt machen lassen und trotzdem einen enormen Ehrgeiz entwickeln können, wenn sie etwas von Herzen wollen.
Mit dem Herzen. Denn niemand sieht die Menschen so mit dem Herzen, wie Menschen mit Down-Syndrom das tun. Ich spreche da aus Erfahrung.
Ich finde es wirklich toll, dass es den Welt Down-Syndrom Tag gibt. Ein Tag, an dem sich Menschen für andere Menschen begeistern, die nicht einem gesellschaftlichen Standardbild entsprechen. Die mit allen Fasern Mensch sind und ihr Leben noch in vollen Zügen bewusst und intensiv leben.
Und ich finde es ganz schlimm, dass man das Leben und seine Menschen losgelöst von der Anzahl ihrer Chromosomen und Besonderheiten nicht jeden Tag genau so feiert, wie am 21. März. Mit ein bisschen mehr Selbstverständlichkeit und Begeisterung für die Individualität aller Menschen. Denn es ist gut, dass wir alle verschieden sind. Es ist wichtig, dass das so ist.
Und was wäre dieser Planet ohne Menschen, die andere Menschen mit ihrer bloßen Anwesenheit zum Lächeln bringen? Alleine, wenn ich daran denke, macht es mich traurig.
Denn so abgedroschen das klingen mag: genau so wäre für mich eine Menschheit ohne das Down-Syndrom. Eine Welt ohne Lächeln.
Sehr treffend geschrieben. Ich hatte im letzten Jahr nicht viel Gelegenheit zum bloggen und konnte mich auch auf den WDST nicht richtig vorbereiten … und immer habe ich ein schlechtes Gewissen und denke ich müsste noch viel mehr tun und für Akzeptanz in der Gesellschaft kämpfen. Die ganzen Testdiskussionen machen mich echt traurig und ich frage mich immer in welche Richtung will die Gesellschaft scheinen sich zu entwickeln und wie sieht es in der Realität aus.
Liebe Grüße
Christine
Recht haste.
Ich muss übrigens leider feststellen, dass ich, wenn ich dein Blog nicht lesen würde, vom „Welt-Downsyndrom-Tag“ gar nix mitbekommen hätte.
Ich lebe in einer Kleinstadt, hier hängen generell kaum Plakate. In der Zeitung ist mir zumindest nix aufgefallen und im Netz bin ich nur auf einem andern Blog noch darüber gestolpert. 🤷🏻♀️
Da ist noch Luft nach oben würde ich sagen.
Gerne auch 365 Tage lang 😉
Grüße Christina
Du hast Recht, was bringt ein einzelner Tag, wenn an den anderen 364 Tages des Jahres viele Menschen ganz anders handeln bzw. die Gesellschaft ganz andere Signale sendet. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass ein „Ehrentag“ auch etwas Positives bewirken kann und vielleicht den einen oder die andere zum Nachdenken anregt. Und dass dieses Nachdenken letztendlich zu etwas mehr Offenheit und Unvoreingenommenheit führt. Und damit wäre doch schon etwas gewonnen…Cooles Outfit übrigens 🙂 VG Saskia
Liebe Katharina, eigentlich finde ich es ganz gut, dass es diesen Tag gibt. Weil er – vielleicht – auf Menschen mit dem Gendefekt aufmerksam macht. Auf ihr Leben, ihre Geschichte, und damit den Respekt und die Achtung, die Akzeptanz fördert.
Aber eben – eigentlich! Eigentlich gibt es nicht, heißt es. Und genau genommen mache ich mir auch nichts aus „Gedenktagen“, z. B. auch nichts aus dem Valentinstag oder dem Muttertag. Ich kenne Mütter, die sind regelrecht sauer, wenn sie von ihren Kindern zum Muttertag nicht bedacht werden. Ich persönlich finde das wirklich albern: Wenn ich an den übrigen 364 Tagen nicht spüre, dass ich geliebt werde – was bringt mir dann der Muttertag mit „halbseidenen, weil eingeforderten“ Dankes- oder Liebesbekundungen?
Und andersrum: Wenn ich an den 364 Tagen sehr wohl spüre, dass ich geliebt werde – wozu brauche ich dann einen „Gedenktag“, der die Menschen an etwas erinnert oder erinnern soll, das sie sonst eh nicht leben?
Ähnlich verhält es sich für mich mit dem Down Syndrom-Tag: Es ist doppelzüngig, etwas zu „feiern“, das an den übrigen 364 weder gewürdigt noch geachtet wird. Und selbst wenn ich keine persönlichen Erfahrungen mit einem Down-Kind habe, so denke ich, dass das Leben genauso seine Schwierigkeiten birgt wie mit allen Kindern, nur eben jedes auf seine Weise. Es ist nicht alles nur locker, flockig und es sind nicht nur Kinder mit dem herzlichsten Lachen der Welt. Es ist vor allem auch noch ein Kampf der Eltern (Integrationskindergarten und -schulen) und die Herabwertung der Menschen.
Was mir da viel wichtiger ist, sind solche Blogs wie Deiner. Sie zeigen mir, wie das Leben ist mit einem Kind mit Down-Syndrom. Bzw. wie es sein kann – denn jedes Kind ist wie alle Kinder individuell. Sie zeigen mir eine Seite, die ich so bisher noch nicht kannte. Ich gebe zu, sie hat mich auch zum Umdenken aufgefordert. Früher hatte ich Angst davor, ein Kind mit einem Gendefekt zu bekommen. Und warum vor allem? Aus Unkenntnis heraus. Was man nicht kennt, verunsichert. Oder ängstigt. Oder beides. Ich finde es gut und wichtig, dass es Blogs wie Deinen gibt. Sie klären auf, ohne zu belehren oder zu sagen „Nur das hier gilt.“ Und genau das fehlt noch in so vielen Bereichen. Es ist eine unermüdliche und eine mühselige Arbeit – und wenn man sich in der Gesellschaft so umschaut und umhört, dann denke ich oft „Wo bitte ist hier die Akzeptanz? Wo ist der Respekt vor dem Menschen, egal, ob er nun der „Norm“ (welcher Norm??) entspricht oder nicht?“
Insofern.. ist es gut denkbar, dass noch sehr viel Zeit vergehen wird, ehe Menschen wie zB Sonea eine echte Akzeptanz erfahren – außerhalb von Freunden und Familie und vielleicht integrativen Schulen. Wenn ich ehrlich bin, macht mir inzwischen genau diese mangelnde Akzeptanz heute viel mehr Sorge als die Tatsache, ein Kind mit einem Gendefekt zu bekommen.
Unterschreibe ich. Ich habe bei beiden Kindern nicht getestet, da ich mich nicht hätte für das Ende entscheiden können. Ich bin nicht wirklich gläubig, aber ich habe darauf vertraut, dass ich, wenn es Norm-Avweichungen gibt, ich daran wachse und eine Lösung finde. Ja, wir sollten, Dinge, die nicht Zu ändern sind, annehmen und akzeptieren. Ich bin ein Zahlen Mensch und dankbar, dass ich beruflich das tun kann und nicht einen anderen Beruf ausüben muss und dankbar, dass andere eine andere Neigung haben und somit anderes abgedeckt wird. Ich wünsche Euch Kraft und lese den Blog so gerne. Danke dafür!!
No more words needed!
❤️