Allgemein, Down-Syndrom, Familienleben, Inklusion, Lillestoff

Später werde ich mal Zezieherin!

Die Tante meines Vaters sagte immer, dass ich mal Autorin werde. Geschrieben habe ich zumindest schon immer gerne.

Ich hatte während meiner Kindheit so viele Berufswünsche. Hebamme wollte ich werden, später doch lieber Polizistin. Und dann hatte ich sogar schon eine Zusage für eine Ausbildung zur Ergotherapeutin, allerdings an einer sehr teuren Privatschule. Designerin wollte ich insgeheim werden, hatte aber nicht den Mut diesen Schritt zu gehen. Und wenn ich mir die Entwürfe unserer Designer heute anschaue, dann schlackern mir vor Ehrfurcht die Ohren. Niemals hätte ich da mithalten können.

Inzwischen habe ich einen Beruf, der meine Interessen und Fähigkeiten optimal vereint. Und das wünsche ich mir für meine Kinder natürlich auch. Dass sie nicht nur einen Job haben, sondern eine Berufung. Einen Beruf, den sie gerne machen.

Tatsächlich mache ich mir um die Zukunft von Sonea nicht so viele Gedanken, wie um die ihres Bruders. Ganz einfach aus dem Grund, dass ihr Weg in gewisser Weise vorgegeben ist. Und die Ansprüche an sie von der Außenwelt niemals ihre Kompetenzen übersteigen werden. Sie wird immer nur positiv überraschen können. Von sich und ihrem Tun. Niemand erwartet von ihr, dass sie ihr Abitur machen und studieren wird. Aber es traut ihr auch niemand zu. Ich auch nicht. Allerdings weiß ich auch um Soneas Fähigkeit zu überraschen und immer wieder zu beweisen, dass viel mehr in ihr steckt.

Meine Sorgen um Soneas Zukunft liegen vorwiegend im Bereich Toleranz und Akzeptanz. Das tun sie sicherlich bei jeder Mutter, wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder denken. Diese Angst habe ich natürlich bei Soneas Bruder auch, aber irgendwie doch anders als bei seiner Schwester. Dafür sind meine Gedanken rund um seine Zukunft komplexer. Vielleicht, weil die Möglichkeiten vielschichtiger sind.

Wer uns schon länger folgt, weiß genau wie Soneas Berufswunsch aussieht. Lange war sie fest entschlossen „Doctoa“ zu werden und es gibt wohl kein nützliches Utensil, das in ihrer Arzttasche fehlt. Wie oft haben die Kinder ihre Kinderzimmer schon in ein Krankenhaus umgewandelt und wie oft war der Flur die Straße für den Rettungswagen oder aber Wartezimmer.

Natürlich sehe ich Sonea nicht in ein paar Jahren als behandelnde Ärztin, aber eben auch nicht in irgendeiner Werkstatt. Wieso die Werkstätten für mich als Mutter so abwegig sind, können nur wenige Menschen verstehen.

Ich bin sehr zuversichtlich und habe die Hoffnung an die Inklusion noch längst nicht aufgegeben, auch wenn hier und da sich sehr viel Ernüchterung mit reinmischt. Und ich glaube fest daran, dass es in 10 Jahren eine Möglichkeit geben wird, dass Sonea einfache Hilfsarbeiten im Krankenhaus machen darf. Einfache pflegerische Tätigkeiten, Essensvergabe… gib dem Kind eine Aufgabe und das Gefühl Verantwortung tragen zu dürfen und sie ist gewissenhaft und voll in ihrem Element.

Aber möchte ich das überhaupt? Also, dass Sonea in einem Krankenhaus arbeitet. Während möglicherweise eine Etage tiefer gerade ein werdendes Elternpaar die Diagnose Down-Syndrom bekommt und ihnen eine Abtreibung nahe gelegt wird?

Ein bisschen Zeit hat sie bis dahin ja noch und aktuell steht ohnehin viel mehr im Fokus – wie geht es nach der Grundschule weiter? Einbahnstraße Inklusion? Oder gibt es eine realistische Möglichkeit den inklusiven Schulweg weiter zu gehen?

Vor ein paar Tagen tanzte Sonea einen ihrer beeindruckenden Improvisationstänze durch unser Wohnzimmer und überraschte mich mit den Worten

„Wenn ich erwachsen bin, werde ich Tänzerin. Und Zezieherin im Kindergarten! Zwei Berufe habe ich dann!“.

Und im Gegensatz zu all den anderen Berufswünschen und Zukunftsplänen als Meerjungfrau oder „Jutschub-Star“ meiner Tochter, freute ich mich diesmal wahnsinnig über diese Pläne. Weil sie nicht abwegig, sondern deutlich realistischer sind, als all die anderen, die sie bisher hatte.

Heute war Sonea den Kindergarten besuchen. Diesmal bestand sie aber darauf, dass sie kein „Besucherkind“ ist, sondern „Praktikantin“. Und ich glaube, sie hatte einen wirklich tollen „Arbeitstag“.

10 Kommentare

  1. Ich bin sehr gespannt wohin ihre Reise noch gehen wird!
    Sie ist so groß geworden!!! Viel mir auf den Bildern der letzten Einträge mehrfach auf!

  2. Cäcilie sagt

    Liebe Katharina,
    wie gut kann ich dich verstehen. Für uns stand die Entscheidung Inklusion Ja oder Nein? in diesem Sommer an. In der Grundschule hat die Inklusion sehr gut geklappt, wir haben viel Glück gehabt, aber wir haben zum Schluss auch die Grenzen gesehen. Je älter die Kinder werden, umso mehr klafft die Entwicklung auseinander und umso unterschiedlicher werden die Interessen. Im privaten Bereich ist die Inklusion zum grössten Teil dann doch eine Illusion (auch wenn ich mir das anders wünschen würde). Wir haben uns gemeinsam mit unserem Kind nun für eine Förderschule entschieden und müssen schauen, wohin der Weg geht. Auch ich kann mir unser Kind nicht in einer Werkstätte vorstellen und hoffe darauf, dass ihr später andere Möglichkeiten offen stehen werden. Liebe Grüße

  3. Ich wünsche Sonea viel GLück, Erfolg und ein ermutigendes Umfeld auf ihrem späteren Berufsweg! Der Löwenjunge möchte Bäcker werden – das finde ich auch eine gute Wahl! Und ich bin schon sehr gespannt, wie Soneas weiterer Schulweg aussehen wird!

  4. Deine Tochter ist großartig. Durch deine Erzählungen von ihr lerne ich immer wieder ganz viel dazu. Danke❤

  5. Karin sagt

    Hallo Katharina,
    habe dich schon vermisst:-) Ich lese immer still bei dir mit und lauere auf jeden neuen Beitrag.
    Alles Gute für dich und deine Familie.
    LG Karin

    • Liebe Karin,

      vielen Dank für die lieben Worte. Ich hoffe, ich komme in nächster Zeit wieder etwas regelmäßiger zum bloggen 🙂 Die nächsten beiden sind bereit in Arbeit.

      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
      Katharina

  6. Suomitany sagt

    Ich arbeite als Erzieherin. Ich würde Sonea sofort als weitere Zezieherin zu mir holen und tanzen dürfte sie auch 😉
    LG Tanja

    • Wie schööön 🙂 Ich habe ja die Hoffnung, sollte sich dieser Wunsch in ein paar Jahren verfestigen, dass sie in „unserem“ Kindergarten arbeiten kann. Es gibt dort bereits eine Mitarbeiterin, die einen inklusiven Arbetbeitsplatz dort hat.

      Liebe Grüße
      Katharina

      • Suomitany sagt

        Das hört sich sehr schön an und ich bin sehr gespannt. Meine kleine Tochter will vielleicht auch Erzieherin werden 🙂
        LG Tanja

  7. Judith Krügel sagt

    Guten Morgen,
    DANKE für den tollen Artikel!
    Liebe Grüße von Judith

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