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Mein Leben mit dem Besonderen #119 Skoliose oder – meine Narbe zur Freiheit

Als ich 3 Jahre alt war, begann mein persönliches Leben mit dem Besonderen. Klingt irgendwie dramatischer, als ich mein gesundheitliches Schicksal beschreiben würde, aber es hat eben von da an mein Leben stark geprägt.

Also, mit 3 Jahren stellte man fest, dass ich eine angeborene Skoliose habe. Warum das erst meiner Mutter auffallen musste, als ich bei einem Keuchhusten den Rücken wölbte, hat sie sich immer gefragt. Jedenfalls hatte es bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand festgestellt.

Eine Skoliose ist eine Wirbelsäulenverkrümmung, bei der die Wirbelsäule, meist mit einem Beckenschiefstand einhergehend, in einer S-Form steht. Da an der Wirbelsäule nun mal irgendwie der ganze Körper hängt, könnt Ihr Euch sicher vorstellen, was eine starke Verkrümmung im schlimmsten Fall bedeutet… genau: eine körperliche Beeinträchtigung, Querschnittslähmung, Organleiden und noch so einiges mehr. Meine Mutter machte natürlich alle nötigen Schritte, um mich davor zu bewahren. Neben Krankengymnastik gehörte auch ein Korsett dazu. Lange Jahre lag mein erstes Korsett noch als Andenken im Keller, so mini-klein war das! Irgendwie süß… Diesen Plastikpanzer musste ich im Idealfall 24 Stunden tragen. Was habe ich dieses Teil gehasst! Bewusst habe ich natürlich erst richtig mit Eintritt in die Schule wahrgenommen, dass mich dieses Korsett von anderen unterscheidet und oft einschränkt. Verrückt ist wirklich, dass ich, wenn ich jetzt zurück denke, nur noch wenig Erinnerung daran habe, wie das so war, ganz am Anfang mit dem Korsett.

Jedes halbe Jahr musste ich seitdem in die hessische Spezialklinik zur Kontrolle und zur Anpassung des Korsetts. Die Verkrümmung wurde glücklicherweise immer besser und mein Rücken immer gerader, bis ich plötzlich im beginnenden Teenageralter viel zu schnell wuchs. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als ich mit 14 in einem der Besprechungszimmer in der Werner-Wicker-Klinik saß und wie immer schreckliche Angst vor dem Ergebnis des Röntgens hatte. Plötzlich ging die Tür auf und einer der Ärzte kam herein geflogen, blickte aufs Röntgenbild und sprach in sein Diktiergerät. „Zur OP vorbereiten!“ – das war zumindest das, was ich als Erstes hörte.

„Waaaaaas?“, dachte ich nur.

Für mich brach eine Welt zusammen und Tränenbäche aus mir heraus. Ich konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Schließlich hatte ich all‘ die stark beeinträchtigten Menschen in der Klinik gesehen. Hatte wahrgenommen, wie sie in verrückten Metallgestellen umher liefen und jetzt sollte ich das auch sein? Ich sah mein Leben geprägt von einer lebenslangen Beeinträchtigung. Und dann natürlich mitten im Teenageralter, in der Zeit, in der man sowieso irgendwie dazwischen hängt.

Natürlich wurde aus „Zur OP vorbereiten“ dann ein längeres Gespräch und die Gewissheit, dass diese Operation absolut notwendig ist. Meine Wirbel hatten, bedingt durch das schnelle Wachsen, angefangen, sich zu drehen – und konnten somit wirklich Schlimmeres verursachen, wenn man sie so ließe. Das Wort Querschnittslähmung kam ziemlich häufig vor in diesem Gespräch, auch als es um die Risiken der Operation ging. Meine Mutter bekam Bluthochdruck in dieser Zeit. Heute kann ich  wirlich nachvollziehen, wie aufregend das alles für sie gewesen sein muss.

Nach kurzen 3-4 Wochen Zuhause in der Normalität, kam der Anruf aus der Klinik und der Termin stand fest, an dem es für mich für lange 6 Wochen in die Spezialklinik ging. Keine Sorge, jetzt kommen nicht alle Details der 6 Wochen… ich fasse es mal ganz kurz zusammen: es war das Beste, was mir passieren konnte!

Nach anfänglichen zwei Wochen voller Vorbereitungen für die OP, körperlicher und einer Art Krankenhausalltag, auch mit Schule übrigens, war es dann soweit: der Eingriff stand bevor. Acht Stunden zitterte meine Mutter (so erzählt sie es mir immer) und ich erinnere mich nur an den Moment auf der Intensivstation, als ich sie sah und sie zu mir meinte:“Kannst Du Deine Zehen bewegen? Bitte beweg‘ Deine Zehen!“.

Und ich konnte es ziemlich schnell wieder, bekam reichlich harte Schmerzmittel und erinnere mich weiter nur noch an einzelne Momente, die mir zeigten, wie fragil mein Körper in dieser Zeit war. Keine Bewegung durfte ich ohne Absprache machen, aber ehrlicherweise konnte ich es auch gar nicht.

Zum Glück konnte ich nach einigen Tagen die Intensivstation verlassen. Mittlerweile mit einem Gipspanzer am Körper geschützt. Tja, und dann kam DER Moment, als ich mich das erste Mal sah nach dem Eingriff. Kurz wurde mir der Gipspanzer abgelegt, denn ich sollte einmal geduscht werden (war bitter nötig nach tagelangem herumliegen!). Das Ganze geschah im Bad vor einem Spiegel und plötzlich sah ich mich da, grün und blau – und irgendwie total fremd. Ich war recht abgemagert in der Zeit (heute schwer vorstellbar) und sah einen Körper, der einfach anders aussah. Tja, und dann wurde ich ohnmächtig. Zum Glück waren die Schwestern inklusive meiner Mutter so auf Zack, dass mir der Panzer schnell angelegt, ich gehalten wurde und nichts passieren konnte.

Danach kam Tag für Tag meine Mobilität zurück. Sitzen durfte ich so gut wie gar nicht. Mir wurde wieder ein Korsett angepasst, dass mich dann noch mal 6 Monate meines Lebens (24 Stunden nonstop, auch beim Duschen!) begleiten sollte. Und dann ging’s endlich nach Hause…! Gut erinnere ich mich noch an den Liegendtransport nach Köln, ich war so voller Vorfreude auf mein Zimmer, meine Eltern, meine Freunde und einem normalen Leben!

Ich hatte aber auch echt tolle Mitschüler und Freunde, die mir tonnenweise Briefe ins Krankenhaus geschickt hatten und mich super wieder in der Klasse aufnahmen. Ich brauchte zwar ein Stehpult, bis ich wieder länger sitzen durfte und konnte immer noch nicht am regulären Sportunterricht teilnehmen. Aber dann nach einem halben Jahr, ja, dann war es endlich soweit: das neue Ich war fertig! Und zwar sowas von!

Gerade 15 Jahre alt und mit einem Körper, der endlich auch all‘ die normalen Dinge tun durfte, fühlte ich mich endlich gut. Kein blöder Plastikpanzer mehr, der alle Anziehsachen und einen selbst furchtbar aussehen ließ. Und das Beste: keine Rückenschmerzen mehr! Selbst die große seitliche Narbe störte mich kaum.

Ein paar Monate später fing ich einen Tanzkurs mit vielen Freunden an – das war der beste Sport für mich und gleichzeitig der Erste, den ich wirklich machen durfte! Ich zog das Ganze mit meinem Tanzpartner bis zur Gold-Star-Anstecknadel durch und hatte eine wahnsinnig tolle Körperhaltung. Kerzengerade und echt trainiert. (hach ja, was für Zeiten waren das… ;-)). Leider verletzte ich mir eines Tages das Sprunggelenk und seitdem plane ich immer wieder meine Rückkehr zum Tanzsport.

Meine Narbe und mein noch immer leicht schiefer Rücken erinnern mich tagtäglich an diese Zeit, an das Besondere an mir. Ich kann nicht sagen, dass ich jeden Tag zufrieden bin mit meiner Rückansicht. Ich werde wohl nie total frei mit nacktem Rücken vor anderen stehen. Aber wenn ich darüber nachdenke, was mein Rücken in den letzten Jahren geleistet hat (Schwangerschaften, viel Schlepperei, Sport…), dann bin ich glücklich darüber, wie alles gelaufen ist.

Vor zwei Jahren musste ich noch mal zur Kontrolle in die Klinik. ich hatte Schmerzen und große Sorge, dass etwas an der Metallstange sein könnte, die neben meinen Lendenwirbeln sitzt. Bauchweh überkam mich schon Tage vorher, Angst, dass ein Eingriff folgen müsste. Die Wartezeit im Krankenhaus war für mich nicht gut auszuhalten, muss ich gestehen. Aber zum Glück war am Ende alles gut. Die Metallstange hatte nach 20 Jahren einfach einen Riss bekommen, der allerdings nichts beeinträchtigt und ich werde (hoffentlich) einfach alles so lassen können für immer.

Irgendwann war ich mal wegen einer anderen Sache beim Arzt und die Ärztin sah meine lange Narbe (vom linken Schulterplatt bis seitlich zur Hüfte). Ihr Kommentar: „Die muss aber schon alt sein, so fette Narben macht man ja heute nicht mehr. ist ja ein ordentlicher Brummer.“. Meine Antwort: „Das habe ich so noch nie gesehen, ich mag meine Narbe genauso, denn sie ist ein Zeichen von Freiheit für mich!“.

Ok, nicht ganz so cool, war ich in dem Moment, leider, aber das hätte ich gerne gesagt. Ehrlich gesagt, war ich einfach ziemlich auf den nicht vorhandenen Schlips getreten.

Freiheit, ja, das bedeutet diese Narbe wirklich für mich. Freiheit, alles tun zu können und zu dürfen. Gut, bis auf Bungee-Jumping, das werde ich nie machen dürfen. Aber darauf kann ich auch ernsthaft gut verzichten.

Mehr über die liebe Sarah erfahrt Ihr auf ihrem Blog Und eine Prise Liebe.

 

2 Kommentare

  1. Anna Herzog sagt

    Ein ganz ganz toller Artikel! Ich selbst habe auch Skoliose und durfte letztes Jahr durch eine Reha erfahren wie wichtig es ist auf seinen Körper zu achten! Ich bin mit starken Schmerzen zur Reha und bin durch die Therapie nach 4 Tagen fast schmerzfrei gewesen! Ich kann es jedem nur empfehlen – Asklepios Klinik Bad Sobernheim
    Wirklich eine ganz tolle Einrichtung mit super Ärzten und Therapeuten 🙂

  2. 4fachmutti sagt

    Vielen Dank für den tollen Artikel. Meine Tochter (14) trägt seit gut 2 Jahren ihr Korsett. Es gibt immer wieder mal Höhen und Tiefen. Wohin der Weg noch geht wird die Zeit bzw. das Wachstempo zeigen. Der Artikel macht Mut um nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Ich werde ihn meiner Tochter nacher zeigen. Danke!

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