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Mein Leben mit dem Besonderen #80 Manchmal ist das Leben nicht rosarot

Hallo! Ich bin Anne und möchte euch gerne einen Teil aus meinem Leben erzählen. Ein Teil aus meinem Herzen.

Bis ich 24 Jahre alt war, hatte ich ein wunderbares rosarotes Leben. Eigentlich ist nie etwas Schlimmes passiert. Ich habe alle Prüfungen auf Anhieb bestanden, Abitur gemacht, eine Ausbildung an der Wunscharbeitsstelle bekommen – alles prima. Mit 23 Jahren habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt, nach 3 Monaten wurde ich gewollt schwanger.

Das rosarote perfekte Leben. In meinem Kopf war wirklich alles rosa, denn ich erwartete ein Mädchen. Wir haben uns riesig gefreut. Ich hatte eine völlig normal und sehr gute Schwangerschaft.

Bis der tiefschwarze Tag begann.

Ich war in der 37. Schwangerschaftswoche, nur noch 3 Wochen bis unsere Kleine kommen sollte.

Am 17. Mai 2011 um 8:30 Uhr hatte ich einen normalen Frauenarzttermin. Ich ging mit einem sehr unguten Gefühl zum Arzt. Irgendwas war komisch. Naja, aber vielleicht fühlt man sich auch mal im 9. Monat komisch. Es war so wenig Bewegung im Bauch. Vielleicht bilde ich mir das nur ein.

Ich erinnere es noch genau, wie ich auf dieser Liege lag, mit diesem Gurt um meinen Bauch. Eine Schwester nach der nächsten kam rein und versuchte ihr Glück. Irgendwie klappt das heute nicht. Sie versuchten mein Kind wach zu machen. Ich drehte mich von einer Seite auf die nächste. 45 Minuten vergingen. 4 Schwestern fanden den Herzschlag nicht. Ich wurde immer wieder beruhigt. Da ist ein Herzschlag, wahrscheinlich liegt sie mit dem Rück nach vorn, deshalb hört man es so schlecht. Nun kam die Ärztin selbst, auch sie hat es nicht hingekriegt. Ich glaube sie wusste zu dem Zeitpunkt schon, was jetzt passiert.

Wir sind dann zum Ultraschall gegangen. Sie konnte auf dem Bildschirm das Blut einfärben, es waren aber nur Punkte zu sehen. Dann machte sie den Monitor aus, drehte sich zu mir um und sagte: „Frau L. ich muss Ihnen das jetzt leider sagen. Das Herz schlägt nicht mehr.“

Ich war sofort im totalen Schock. Die irrt sich doch. Das kann doch nicht wahr sein.

Sie ging mit mir in ein anderes Behandlungszimmer.

„Wir rufen jetzt erstmal jemanden von Ihnen an, Frau L.“

Ausgerechnet heute, hatte Sebastian sein Handy zu Hause vergessen. Das ist ihm noch nie passiert. Er ist Handwerker, immer auf einer anderen Baustelle unterwegs. Einfach nicht erreichbar. Wir haben versucht ihn über seine Firma zu erreichen. Aber auch seine Chefin konnte ihn nicht anrufen.

Genau zu diesem Zeitpunkt ging es Sebastian irgendwie schlecht. Er hat gerade bei einem Zahnarzt gearbeitet, von dort hat er dann seine Chefin angerufen und wollte ihr mitteilen, dass er sich krank meldet. Diese hat ihm dann gesagt, dass sie angerufen wurde und er sich unbedingt bei mir melden soll.

Dann rief mein Freund mich an.

„Hase, sie ist tot.“

„Nein, nein. Das kann doch nicht sein!“

Sebastian musste sich wohl erstmal setzen. Ihm ging es gar nicht gut. Er setzte sich sofort ins Auto und kam zu mir in die Frauenarztpraxis.

Dann rief ich meinen Vater an, denn meine Mutter hatte an diesem Tag eine Fortbildung und war einfach nicht zu erreichen.

„Papa, mein Kind ist tot.“

„Anne, das tut mir leid.“

Er versuchte dann meine Mutter zu erreichen und das gelang ihm auch, sie rief mich sofort zurück.

„Mama, sie ist tot.“

Ich sagte ihr, dass ich nun in Krankenhaus muss. Sie fuhr sofort los, direkt ins Krankenhaus.

Nun war Sebastian in der Praxis angekommen.

Da saßen wir nun auf der Pritsche und weinten. Wir müssen jetzt los – ins Krankenhaus, um unser Kind zu bekommen.

Der Weg dorthin war der Horror.  Ich kann mich noch genau erinnern. Die Straße, das Wetter, der Weg vom Parkplatz zur Entbindungsstation. Meine Mutter wartete schon vor der Station, was muss sie gerast sein.

Das Geschehen ging irgendwie an mir vorbei. Ich bekam alles mit, aber irgendwie stand ich neben mir. Immer wieder die Gedanken, sie irren sich.

Die Hebamme kam uns entgegen, sie wussten schon Bescheid. Meine Ärztin hatte wohl auch dort angerufen. Zunächst wurde mit mir gesprochen, was jetzt als nächstes passiert. Ich hab es allerdings alles nicht verstanden.

Nun wurde nochmal ein Ultraschall gemacht, alle waren dabei. Es ist kein Traum, das Herz schlägt nicht. Wir können es alle sehen.

Sie ist tot.

Mia ist tot.

Nun muss die Einleitung beginnen, ob ich will oder nicht.

Meine Mutter hat die Anmeldung übernommen. Die Station hat mich in die Privatklinik auf Kosten des Krankenhauses verlegt, zunächst weit weg von der Entbindungsstation und von den vielen Babies.

Bald wurde die Geburt eingeleitet, ich hatte immer wieder Wehen, aber ich wollte sie nicht gehen lassen. Am nächsten Tag habe ich immer stärkere Mittel bekommen, damit nun endlich die Wehen einsetzen. Ich erinnere noch wie meine Schwiegermutter zu mir sagte: „Anne, lass sie los! Lass sie gehen.“

Ich habe so dagegen angekämpt. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Denn wenn sie aus mir rauskommt, dann ist sie nicht mehr bei mir. Dann ist sie weg.

Am 18. Mai 2016 abends habe ich noch stärkere Tabletten bekommen. Ich hatte schon sehr regelmäßige Wehen und mir war klar, dass es nicht mehr lange dauern kann. Ich habe eine Scheißangst. Unbeschreiblich. Es fühlt sich an als wenn dein Herz zerspringt in tausend Teile. Alles ist kaputt und du kannst weiter atmen.

Ich möchte sie behalten. Ich möchte mein Kind Mia doch einfach nur behalten.

Um 20:30 Uhr ist es soweit ich muss sie jetzt hergeben. Ich habe alle 3 Minuten heftige Wehen. Nun durfte meine Mutter klingeln. Sie bringen mich in den Kreißsaal. Vom 6 Stock ins Erdgeschoss. Auf dem Weg habe ich 3 Wehen, ich kann mich kaum im Bett halten. Ich erinnere noch wie das Licht im Fahrstuhl mich blendete.

Nun musste ich mein Kind bekommen, ganz auf natürliche Weise. So hat man nach der Entbindung am wenigsten körperliche Schmerzen.

Wir kommen in einen großen Kreißsaal. An der Wand steht das Wort Hoffnung. Auch wenn ich bis zuletzt gehofft habe. Die Hoffnung gab es nicht. Jedenfalls nicht für unsere kleine Mia.

Ich habe starke Schmerzen, es ist kaum zu ertragen. Es  wird über eine PDA gesprochen. Ich bin wie in Trance. Es ist mir total egal. Macht doch einfach.

Durch einen Tropf bekomme ich starke Schmerzmittel. Es geht alles sehr schnell.

Sie ist da.

Es ist still. Ganz still.

Mein rosarotes Leben ist nun tiefschwarz!

Sie war ein echter Mensch!

Mia.

Geburtstag 18. Mai 2011

Geburtszeit 22:45 Uhr

Geburtsort Hamburg

Größe 49 cm

Gewicht 2445 g

Kopfumfang 32 cm

Haarfarbe braun

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Am nächsten Tag hatte wir noch einige Stunden um uns von unserem Kind zu verabschieden. Wir haben sie angezogen und Bilder gemacht und ich habe sie einfach nur im Arm gehalten. Ich habe versucht mir alles einzuprägen. Auch jetzt, 5 Jahre später, weiß ich genau wie sie sich angefühlt hat.

Ich bin so froh um diese Zeit.

Ich habe sofort eine Woche später eine Therapie angefangen und viel Hilfe von unseren Familien bekommen. Auf der Arbeit hat man mich verstanden. Man hat uns sehr gut aufgefangen!

6 Monate später war ich wieder schwanger. Dieses Mal mit einem Jungen. Die Schwangerschaft war der absolute Horror. Voll von Angst und Panik, aber es hat sich gelohnt. Unser Emil hat mich ins Leben zurückgeholt.

Mein Leben ist nun zwar nicht mehr rosarot, aber grün. Ich bin wieder lebensfroh und kann auch herzhaft lachen, aber ich weiß eben auch, dass es von jetzt auf gleich tiefschwarz sein kann.

Dein Leben ist das, was du draus machst!

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7 Kommentare

  1. Ich weiss gar nicht was schreiben……sooo traurig. Und so schön, dass du wieder ins Leben gefunden hast und das Leben nun grün ist.

    Herzlich Zwirbeline

  2. Liebe Anne,
    ich musste so weinen, als ich deinen Artikel gelesen habe. Das ist so schrecklich! Jede Fehlgeburt ist schlimm, aber so kurz vor Schluss, wenn man den Tag der Geburt schon quasi „riechen“ kann, wenn alles in trockenen Tüchern scheint, zuhause alles eingerichtet ist… ich möchte es mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für dich und euch als werdende Eltern gewesen sein muss. Auch jetzt noch, 5 Jahre danach, spürt man in deinen Worten die immense Trauer, die du wahrscheinlich dein ganzes Leben in dir tragen wirst. Danke, dass du uns dein Herz geöffnet hast!
    Ich wünsche dir weiterhin so viel Kraft.
    Janine

  3. Uta Hesse sagt

    Liebe Anne,
    dafür gibt es keine Worte.
    Alles Liebe für eure Familie.
    Liebe Grüße
    Uta

  4. Das ist hart, einfach nur hart und unfair! Unglaublich traurig, ich konnte die Tränen nicht zurück halten… Es tut trotzdem gut zu lesen, dass du zurück ins Leben gefunden hast, auch wenn immer ein schwarzer Fleck bleibt.
    Dass dieser Fall eintritt war meine größte Angst in der Schwangerschaft! Unfassbar grausam…
    Weiterhin viel Kraft und alles Gute auf eurem Weg mit dem kleinen Emil!
    Liebe Grüße
    Stephie

  5. Lotta Stracke sagt

    Liebe Anne,
    vielen Dank das Du deine schwere Erfahrung mit uns anderen Müttern teilst. ich glaub es ist ganz wichtig das wir über diese rabenschwarzen Erfahrungen sprechen….ich sitze hier mit Tränen in den Augen. Aber dann lese ich weiter und ich muss lächeln, über Deinen Sohn Emil- ich hab auch einen Emil, allerdings schon 11 Jahren alt und er liebt grün 🙂

    Alles Liebe Lotta

  6. Wie ergreifend deine Geschichte, dein Lebensabschnitt ist. Mir kamen eben echt die Tränen. Ich freue mich sehr, dass ihr so viele tolle Menschen um euch hattet, die da waren, als sie gebraucht wurden und wünsche dir und deiner Familie von Herzen alles Gute für die Zukunft.

    LG Katrin

  7. Ani Lorak sagt

    Mir fehlen die Worte. Schön zu lesen, dass dem tiefschwarz ein Grün folgte. Schön, dass Du es verarbeiten konntest – es bleibt und Du wirst immer 2 fache Mutter sein. Ich bewundere, dass Du die Geschichte teilst. Freude wird geteilt, Leid oft nicht und das sollte es. Ich kann nur annähernd empfinden, was Du erlebt hast. Meine 4. Schwangerschaft war auch von Ängsten nach 2 Fehlgeburten (recht früh 8.& 9. Woche) geprägt. So dankbar, dass am Ende alles gut verlief – aber vergessen kann ich das nicht.

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