Hallo,
ich heiße Conny und bin eine 36 jährige Turner-Frau. Nein um Gottes willen, ich bin zwar eine lebenslustige Kämpferin aber nicht besonders sportlich. Mit 13 Jahren stellte man bei mir das Ullrich – Turner –Syndrom fest. Die Betroffenen nennen sich selber gerne Turner-Frau. Es heißt mir fehlt durch eine kleine Laune der Natur das zweite weibliche Geschlechtschromosom. Doch damit kann man gut leben, auch wenn ich nur 1,55m groß bin (trotz Wachstumshormone) und keine Kinder bekommen kann. Die größte Auswirkung hat es bei mir leider auf meinen Ohren. Durch erhöhte Anfälligkeit für Mittelohrentzündungen hatte ich bereits mit 4 Jahren eine starke Schwerhörigkeit. Zuerst auf einem Ohr, dann auch auf den anderen Ohr. Mit 7 Jahren bekam ich mein erstes Hörgerät. Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht was es heißt nicht mehr gut oder gar nichts mehr zu hören? Meistens macht man sich ja leider erst Gedanken wenn etwas nicht so funktioniert wie es sein sollte. In einer Deutschstunde war es mal meine Aufgabe eine sinnliche Geschichte zu schreiben und ich nutzte dafür mein Erlebnis mit meiner fortschreitenden Schwerhörigkeit und mein erstes Hörgerät. Diese Geschichte möchte ich euch mal zeigen.
Hören
Was ist hören? Hören ist mehr als nur akustische Wahrnehmung seiner Umgebung. Es ist wichtig für die Kommunikation mit anderen Menschen. Ohne Kommunikation vereinsamt der Mensch. Wer einmal eine Zeitlang nichts gehört hat weiß wovon ich rede.
Mit vier Jahren verlor ich mein Gehör. Es folgten drei Jahre in der ich meine Welt wie durch eine Glasglocke erlebte. Es gab für mich kein Vogelgezwitscher mehr, keine plätschernden Regentropfen, keine wiehernden Pferde mehr. Es gab für mich einfach fast keine Geräusche mehr. Doch schlimmer war es, das es auf einmal auch die Stimme meines Vaters, meiner Mutti nicht mehr gab. Auch die Stimme meiner Schwester gab es nicht mehr. Meine große Schwester legte ihren Kopf auf den Bauch unserer schwangeren Mutter um den Herzschlag unserer ungeborenen Schwester zu hören. Ich tat es auch, doch ich hörte nichts. Ich spürte es nur.
Doch an einen Januartag des Jahres 1987 bekam ich mein Gehör wieder. Meine Eltern und ich fuhren dazu nach Halle. Ich wusste es damals nicht was für eine Überraschung dort auf mich warten würde. Ich bekam Kopfhörer auf. Das war für mich nichts neues, denn ich war die Hörtest mittlerweile gewohnt. Über den Kopfhörer bekam ich verschiedene Geräusche zu hören. Zum Beispiel das Summen einer Biene, das Brummen eines Bären oder das Piepsen eines kleinen Vogels. Jedes Mal, wenn ich einen Ton hörte, durfte ich mir einen Baustein nehmen und auf die andere Seite legen. Nach den Hörtest mussten meine Eltern und ich im Wartesaal warten. Als wir wieder rein durften, bekam ich auf einmal ein Gerät umgebunden. Ich war erstaunt, ließ es mir aber gefallen. Doch als sie das Gerät einschalteten, hörte ich auf einmal eine Stimme. Ich war erst mal erschrocken und schaute wo die Stimme plötzlich herkam. Doch ich merkte schnell, dass es die Stimme meiner Mutti war. Ich war total glücklich als würden Geburtstag und Weihnachten auf einen Tag fallen. Ich wollte nur noch schnell nach Hause, damit keiner mir das Wundergerät wieder wegnehmen konnte. Für ein weiteren Hörtest war ich nicht mehr bereit.
Während der Autofahrt durfte ich es leider nicht benutzen. Doch kaum waren wir zu Hause verlangte ich wieder nach meinem Hörgerät. Ich wollte endlich wieder die Stimme meiner Eltern und meiner Schwester hören. Obwohl ich mich erst langsam daran gewöhnen sollte, war es von dem Tag an mein ständiger Begleiter. Am nächsten Tag hörte ich zum ersten Mal das Lachen, Weinen und Schmatzen meiner damals zwei Monate alten Schwester. Ich hatte es bis dahin noch nie gehört. In den ersten Tagen gab es für mich akustisch viel Neues zu entdecken. Immer, wenn ich ein mir unbekanntes Geräusch hörte, wollte ich es wissen, woher es kam. Dazu fragte ich auch oft meine Mutti. Doch mir wurde es nicht zu viel. Ich strahlte übers ganze Gesicht wie ein kleiner König. Das Gerät hatte ich dann fast sieben Jahre, bis es dann bessere gab. Diese Zeit werde ich nie vergessen, und das Hören wird immer etwas Besonderes für mich sein.
Heute trage ich auf beiden Seiten teilimplantierte Hörsysteme und komme gut damit zurecht. Frühs wenn mein Lichtwecker geblinkt hat wird es als erstes angeschaltet und abends als letztes ausgeschaltet. Meine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und das UTS halten mich nicht davon ab, mich liebevoll um meine Senioren in einen Pflegeheim zu kümmern. Ich denke der Spruch: „Leben ist das, was man draus macht“ passt voll zu mir.
Viele Grüße Conny
Mehr über Conny erfahrt Ihr auf ihrem Blog.
Liebe Autorin,
dein Leiden fühlte sich so fern an. So unglaublich trauig, das man sich nur wünscht das einem das Gefühl der Taubheit nie erfahren möge.
Als bis dahin gesunder Mensch musste ich vor kurzem auch erfahren das mir ein ähnliches Problem droht. Die Schwerhörigkeit ist zumindest sehr sicher. Die Hoffung in der Technik bleibt, dass man vieles ersetzen kann. Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft für die Zukunft,
Danke für deine Geschichte. Ich bin selber mit 18 schwerhörig geworden und nun mit 37 gänzlich ertaubt. Das Glasglockengefühl trifft es so passend. Und trotzdem ist unser Leben lebenswert. Du machst dies genau richtig.
Danke dir.
Hallo,
ich verfolge schon eine Weile diese Seite und finde sie ganz wunderbar. Vielen Dank dafür.
Aber diese Geschichte hat mich sehr berührt.
Vielen Dank für das Teilen dieser Geschichte. Sie strahlt einen solchen Lebensmut aus. Da können sich viele nicht eingeschränkte Menschen eine Scheibe von abschneiden.
Oh mein Gott, ich hab Tränen in dem Augen! Deine Geschichte berührt mich zutiefst und ich muss an das kleine Mädchen im Kindergarten meiner Tochter denken, die auch so ein „Wundergerät“ trägt.