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Mein Leben mit dem Besonderen #74 Nils und das Bundesteilhabegesetz

Ihr kennt Nils bereits, er tauchte schon ein paar Mal hier auf. Nils, der kleine Bruder, Nils, der Theaterschauspieler. Nils ist das und viel mehr, er ist aber auch ein Mensch mit geistiger und körperlicher Behinderung und damit auf der Verliererseite eines aktuellen Gesetzesentwurfs, gegen den die Behindertenverbände Sturm laufen.

Das Thema ist komplex und betrifft einen Personenkreis, den die meisten Menschen kaum zu Gesicht bekommen – eine fatale Kombination. Ich möchte versuchen, euch die Auswirkungen (wenn auch etwas verkürzt und vereinfacht) näher zu bringen und hoffe natürlich auch auf viele Unterschriften für die unten verlinkte Petition.

Nils lebt in einer relativ kleinen Einrichtung der Lebenshilfe e.V. in einer Wohngruppe mit anderen Menschen mit unterschiedlich schweren Behinderungen. Er hat ein Zimmer, teilt sich ein Bad mit einer weiteren Bewohnerin und den Wohn- und Essbereich mit allen Bewohnern seiner Gruppe. Tagsüber besucht er die Tagesförderstätte, in der er Dinge des täglichen Lebens übt (z.B. mit Münzen passend zu bezahlen oder leserlich zu schreiben) oder die Werkstatt, in der Aufträge für Unternehmen bearbeitet oder Dinge für den kleinen Verkaufsbereich der Einrichtung hergestellt werden. Nachmittags oder am Wochenende finden ab und an Ausflüge oder Aktionen statt, wie Spaziergänge, Kirchenbesuche oder ein Besuch der Eisdiele. Wenn sich dank des sehr rührigen Vereins ein Sponsor findet, sind auch größere Projekte möglich wie das jährliche Theaterstück. So etwas lässt sich auch heute schon nicht aus den normalen Mitteln der Einrichtung finanzieren, sondern geht nur mit Partnern wie der Aktion Mensch. In diesem Jahr war Forscher Nils z.B. elementar am Wiederauffinden der von Aliens entführten Sängerin beteiligt, das Stück war wieder ein voller Erfolg! Man kann also sagen, Nils führt kein luxuriöses Leben, aber eines, das der Normalität so nah wie möglich kommt.

Was soll sich nun ändern?

Die geplanten Neuregelungen im Bundesteilhabegesetz und im Pflegestärkungsgesetz III werden auch für Nils sehr gemischte Folgen haben, wenn sie im Herbst wie geplant verabschiedet werden. Auf der einen Seite verbessert sich eventuell seine Situation, denn wenn er sein Taschengeld spart, etwas Geld geschenkt bekommt oder etwas erbt, dürfte er mehr davon behalten (sofern dies auch für ihn gilt, so ganz sicher sind wir uns da aktuell noch nicht..). Die Freigrenzen für Eigentum werden nämlich unter gewissen Bedingungen erhöht, so dass er vielleicht nicht mehr wie bisher nur 2600€ besitzen darf. Das ist toll, insbesondere natürlich für Menschen mit rein körperlichen Behinderungen, die arbeiten gehen und im Alltag Unterstützung rein pflegerischer Natur benötigen. Das sind die „starken“ Menschen mit Behinderungen – aber was ist mit den „schwachen“?

Das sind Menschen mit geistigen Einschränkungen und daraus resultierendem Unterstützungsbedarf neben der reinen Pflegeleistung. Es sind die, die sich nicht wehren können und nun die Verlierer sein sollen. Ein Clou des Gesetzesvorhabens ist nämlich, dass diese und andere schöne, teure Verbesserungen kostenneutral stattfinden sollen.

Das geht indem man, versteckt hinter Formulierungen wie „Normierung des Vorrangprinzips der SGB XI-Leistungen“ oder „personenzentrierter Berechnung des Hilfebedarfs“ letztlich bei den Schwächsten die Gelder wieder streicht. Entschuldigung, natürlich die Leistungen gemäß des persönlichen Bedarfs neu berechnet und dabei kommt halt zufällig bei höherer Pflegestufe immer weniger Eingliederungshilfe (das Geld für die Teilhabe am normalen Leben und die individuelle Förderung) heraus. Denn was soll noch gefördert werden bei jemandem, der eh nie lernen wird allein zu kochen? Der muss dann halt auch nicht lernen die Gurke zu schneiden. Also kann man da super Geld sparen. Die Tagesförderstätten werden geschlossen, wer kann, geht in die Werkstatt, wer nicht kann, hat Pech.

Nebenbei erlegt man den Einrichtungen auch noch einen immensen Verwaltungsaufwand auf (durch die Verkomplizierung der Geldflüsse), so dass im Ergebnis mehr Büroarbeit und die Betreuung der Bewohner mit deutlich weniger Geld gestemmt werden muss.

Was heißt das für Nils? Nils hat Glück, er kann kommunizieren, selbst essen und sich zumindest innerhalb der Wohngruppe weitgehend eigenständig fortbewegen. Gut, wenn durch die zwangsläufig sinkenden Betreuungsschlüssel niemand mit ihm einkaufen geht, verlernt er eben wieder mit Geld umzugehen. Wenn niemand mit ihm in die Kirche oder in die Eisdiele geht, bleibt er eben im Wohnheim. Immerhin kann er in die Werkstatt integriert werden und fällt dort nicht durchs Raster. Also wird er nicht im Rolli sitzend, den ganzen Tag aus dem Fenster schauen bis es endlich wieder etwas zu essen gibt. Tag für Tag für Tag, ein Leben lang. Das blüht nur einigen seiner Mitbewohner und denen hat „satt und sauber“ schließlich zu reichen – oder?

Das ist keine Inklusion und keine Teilhabe am Leben, sondern der Rückfall in die Pflege der 60’er Jahre. Wir gehören zu den reichsten Ländern der Welt und so gehen wir mit unseren Schwächsten um? Das geht nicht, bitte verhindert dieses Gesetz.

Unterschreibt hier:

https://www.change.org/p/teilhabe-statt-ausgrenzung-von-menschen-mit-geistiger-behinderung

Weiterführende Informationen findet ihr hier:

www.teilhabestattausgrenzung.de

Danke!

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4 Kommentare

  1. Anja sagt

    Leider erst jetzt entdeckt, aber sofort unterschrieben.

    Kann dich sooo gut verstehen.
    Meinem entwicklungsverzögertem Kind mit autistischen Zügen wird auch ein Großteil der nötigen Hilfen versagt.

    Eine Schande, wie man in unserem Land die „Schwächeren“ behandelt!

  2. Hanna sagt

    Danke euch 🙂
    Mittlerweile bin ich auch schlauer – die Erweiterung der Vermögensfreigrenzen gilt natürlich nicht für Menschen mit geistiger Behinderung. Nils ist da also raus.,

  3. Tina sagt

    Ich habe davon schon bereits im TV gehört. Ich finde es eine Frechheit. Natürlich unterstütze ich diese Petition. Ich hoffe das tun viele andere auch und das Gesetz wird nie verabschiedet.

  4. puhhhhh ich bin doch immer wieder aufs neue entsetzt – Juljan ist gerade 13 Jahre und auf dem besten Wege dahin wo ihr schon seit – Unterschrift kommt umgehend und geteilt wird auch gleich mal – fühlt euch lieb Umarmt

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