Ich habe euch vor einiger Zeit erzählt wie ich mit gerade einmal 23 Jahren Witwe geworden bin. Ein Tag der mein Leben, meine Gefühle, meine Gedanken und meine Ansichten schlagartig über den Haufen geworfen hat. Alle meine Zukunftswünsche hatten sich aufgelöst und mein Leben bestand nur noch aus einem Haufen Scherben.
Ich weiß noch wie ich mit meiner Familie aus dem Krankenhaus zurück fuhr, alle blieben geschockt in der Einfahrt zurück. Ich nicht, ich habe mich ins Bett gelegt und bin sofort eingeschlafen in der Hoffnung aus diesem Albtraum zu erwachen. Es war eine sehr unruhige Nacht. Immer wieder bekam ich Weinkrämpfe und Panikattacken. Immer wieder schlich ich durch die Wohnung, berührte alles was Thomas je in der Hand hatte, setzte mich auf seinen Stuhl, roch an seiner Kleidung, starrte seinen Topf mit Kartoffelbreiresten in der Küche an, der langsam vor sich hin schimmelte. Ich konnte nichts verändern in der Wohnung, ich wollte nicht. Meine ganze Familie versuchte mich die folgenden Tage aufzufangen, aber mein Herz war mit Thomas seinem Herz stehen geblieben. Seine Post flog ungeöffnet wie immer in seinen Postkarton. Ich rief einen seiner Arbeitskollegen an und erzählte das Thomas gestorben war, Thomas war sehr glücklich mit seiner Arbeit und verstand sich hervorragend mit seinen Kollegen. Sie waren geschockt und baten mich Bescheid zu geben wann die Beerdigung ist.
Beerdigung. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen wie es sein würde. Das örtliche Bestattungsunternehmen half uns wirklich sehr. Ich weiß noch wie ich mit meiner Mama und meiner Schwester zum ersten Gespräch hinfahren wollte. Ich zog mein rosa/pink geblümtes Shirt aus dem Schrank, eine Jeans dazu und fertig. Keinen Gedanken habe ich daran verschwendet schwarz zu tragen. Das Gespräch mit der Dame vom Beerdigungsinstitut verlief total skurril. So viele Fragen, unter anderem auch die Frage nach dem Sarg und dem Kissen. Mit meiner Schwester zusammen suchte ich einen Sarg aus, das ging noch relativ einfach. Aber als sie uns die ganzen Kissen und Decken zeigte war es mit mir vorbei. Ich bekam einen Lachkrampf nach dem nächsten bei der Vorstellung, dass mein Mann auf einem Herzchenkissen liegen sollte, oder mit Spitzen oder mit Rosen bestickt. Meine Schwester und die Mitarbeiterin waren völlig irritiert von mir, aber stimmten doch irgendwann mit ein. Ich glaube in einem Bestattungsunternehmen wurde noch nie so viel gelacht. Am Ende entschied ich mich für ein ganz schlichtes Kissen.
An die Beerdigung selber kann ich mich nur ganz schwach erinnern. Rückblickend fühlt es sich an wie ein Traum, ein Albtraum. Ich entschied mich zu Fuß zum Friedhof zu gehen. Bis heute höre ich meine Schuhe auf dem Gehweg. Klick, Klack, Klick, Klack, ein Geräusch, das sich eingebrannt hat. Ich selbst hatte mich entschieden in der Kappelle von Thomas zu erzählen, seine Geschichte, unsere Geschichte zu erzählen. Jeder sollte hören was für ein großartiger Mensch er war. Beim Rausgehen bekam jeder einen Ballon in die Hand und so zogen wir dann mit vielen, vielen Menschen zu seinem Grab. Dort ließen wir alle gemeinsam mit persönlichen Worten für Thomas die Ballons fliegen. Es war für mich ein absolut furchtbares Gefühl dort am Grab zu stehen und die Beileidserkundungen von allen entgegen zu nehmen. Ich umklammerte die Hand meiner großen Schwester und wünschte mich ganz weit weg. An einen Ort, an dem mich keiner findet. Ich glaube das war der Moment wo ich das erste mal daran gedacht habe mir das Leben zu nehmen. Ich wollte kein Teil mehr von dieser Welt sein, die sich weiterdrehte. Ich wollte stehen bleiben und zur Ruhe kommen.
Ich weiß noch wie ich eines Abends wieder in Thomas seinem Büro saß. Ich kuschelte mich in einem seiner Pullis ein und weinte. Vor mit standen alle seine Medikamente, die er die Jahre über genommen hatte. Ich riss die erste Packung auf, riss die zweite Packung auf usw.
Ich nahm sie alle ohne darauf zu achten was es war, bis ich mich übergeben musste. Ich weiß nicht ob ich mich übergeben musste wegen der Medikamente oder weil ich so sehr weinte, dass ich keine Luft mehr bekam. Die Nacht war der absolute Horror, ich hatte Schweißausbrüche, Panikattacken und Heulkrämpfe.
Eine Freundin, die bei einem Psychotherapeuten arbeitete machte einen Termin für mich aus. Der Therapeut war super nett zu mir. Da ich im Büro nicht reden konnte saßen wir bei schönem Wetter draußen am Sandkasten und haben mit Förmchen Sandkuchen gebaut. Dabei erzählt ich ihm wie ich mich fühle und was passiert ist. Ohne mich in die Enge zu treiben überwies er mich in die Psychatrie.
Diese erste Psychatrieerfahrung war der absolute Horror. Ich war damals völlig fehlplatziert mit meiner Trauer dort. Ich bekam wirklich viel Besuch, aber gleich ab dem zweiten Tag stellte ich komplett die Nahrungsaufnahme ein und das für ganze 14 Tage. Ich bekam Infusionen für die Flüssigkeitszufuhr und hoffte ich würde einfach immer dünner werden, mich einfach im Nichts auflösen. Eine meiner Mitpatienten auf dem Überwachungszimmer hatte heimlich eine kleine Schere reingemogelt, dies war verboten. Eines abends hatte ich an meinem Oberteil einen kleinen Faden und sie gab mir die Schere damit ich diesen abschneiden konnte. Als sie zum Abendessen verschwand nahm ich die Schere und schnitt mich ins Handgelenk. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Bis dahin hatte ich das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können, mich nicht mehr zu spüren aber dieser eine Schnitt löste Emotionen aus, die unfassbar befreiend waren.
Meine große Schwester wurde zu meiner gesetzlichen Betreuerin ernannt und sorgte dafür das ich in eine andere Klinik verlegt wurde, da die Zustände dort einfach nicht mehr tragbar waren. Anfangs wurde ich auch dort auf einer geschlossenen Station untergebracht, später als ich augenscheinlich etwas stabiler war auf einer offenen. Von da an wurden Scheren, Messer und Scherben meine besten Freunde. Es gab fast keinen Tag mehr an dem ich mich nicht verletzte um mich zu spüren, um etwas zu spüren. Die Schnitte wurden länger und tiefer und mussten meistens auch chirurgisch genäht werden. Ich hatte das Gefühl das dies das einzige ist was mich am Leben halten kann. Die Therapeuten versuchten mir Alternativen aufzuzeigen, aber ich war nicht bereit dafür. Mit meiner Familie wurde es immer schwieriger, ich hatte das Gefühl kein Teil mehr von ihnen zu sein. Es gab immer wieder Spannungen, weil sie einfach mit mir überfordert waren. So kam es dann kurz vor dem ersten Weihnachten nach Thomas Tod zu einer Kontaktsperre und ich entschied mich Weihnachten in der Klinik zu bleiben. Ich wollte nicht besinnlich sein, glücklich sein oder Geschenke auspacken. Kurz vor Weihnachten geriet ich wieder an einen Tiefpunkt. Eines Abends zog ich mir warme Kleidung an und rannte durch den Schnee. Ich nahm eine ganze Packung Schlaftabletten und rannte und rannte… bis zu einer Autobahnbrücke. Ich kann mich nicht mehr erinnern was dann genau geschah, ich weiß nur das mich jemand fand und die Polizei rief. Ich war nicht mehr ansprechbar und wurde mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme gebracht.
Dies war von nun an mein Weg, ein falscher Weg… es folgten unzählige Klinikaufenthalte, fast zwei Jahre habe ich mehr in der Klinik verbracht als zu Hause. Ich verletzte mich wohl ingesamt über 500 mal, in einer weiteren absoluten Krise kam es erneut zu einer Überdosis mit Tabletten, die auf der Intensivstation endete. Ich schwankte zwischen selbstverletzendem Verhalten, tiefen Depressionen, Panikattacken und akustischen Pseudohalluzinationen und Todeswünschen. Ich wusste das die Stimmen in meinem Kopf nicht real sind, aber doch waren sie da und trieben mich in den Wahnsinn. Ich war in einer Sackgasse angekommen, aus der ich nur sehr sehr langsam wieder rauskam. Ich erlebte Dinge, die ich nie zu träumen gewagt hätte, ich tat meinem Körper Dinge an, die sich keiner vorstellen mag. Ich war nur noch ein Schatten.
Aber Jahr für Jahr fand ich mich ein kleines Stückchen wieder. Ich fühlte wieder wie es ist Spaß zu haben, wie es ist zu lachen und anderen zu vertrauen. Ich lernte Alternativen zur Selbsverletzung, auch wenn ich diese nicht immer anwenden konnte, wurde es immer ein bisschen besser. Stück für Stück kämpfte ich mich in mein Leben zurück. Ich lernte mich wieder kennen, orientierte mich neu und es wuchsen kleine Knospen meiner Zukunft.
Auch heute, 7 Jahre nach Thomas Todestag sitze ich hier mit Tränen in den Augen und schreibe diese Zeilen. Gerade Anfang des Jahres war ich wieder in der Klinik. Noch heute arbeite ich mit meiner Therapeutin an meinem Umgang mit Gefühlen, mit Trauer und Erinnerungen, ich habe das Thema Selbstverletzung nahezu abgeschlossen, habe gelernt auf die Alternativen zu vertrauen. Ich sehe in eine Zukunft, ich weiß nicht wie sie aussieht, aber ich weiß das ich in ihr lebe! Ich habe gelernt Hilfe anzunehmen, wenn es mir schlecht geht. Ich schäme mich nicht für das, was ich getan habe. Im Gegenteil, ich gehe mit meiner Vergangenheit und meinen Gefühlen ganz offen um. Ich verstecke mich nicht. Ich verstecke nicht meine Narben. Ich versuche anderen meine Geschichte zu erzählen. Nicht um Mitleid zu bekommen, sondern um aufzuklären.
Ich danke meiner Familie so sehr, dass sie immer für mich da sind, mich nie aufgegeben haben und mir gezeigt haben wie schön das Leben auch jetzt noch sein kann. Ich liebe euch.
Ich bin nicht so belastbar wie andere. Ich bin oft sehr nachdenklich, bin nicht so selbstbewusst wie andere und ich verhalte mich manchmal „anders“,
Aber ich bin ich, ich bin ich und bin gut so wie ich bin.
ich sitze hier die tränen laufen mir übers gesicht , danke da ich dir vertrauenswürde erscheinen bin. ich wünschte wir würden uns auch real kennen und nicht nur virtuell du bist ein tolle und starke frau und du lässt dich nicht unterkreigen und kämpfts dich ins leben zurück stück für stück . danke das es dich gibt du mit vielen kleinen geschichten , fotos und filmen über fb auch mir immer ein lächeln ins gesicht zauberst . danke lana, danke das du deine geschicht mit mir teilst.
fühl dich umarmt
<3
Mit Tränen in den Augen , danke fürs Erzählen.
die Sammlerin
Danke für diesen ehrlichen Post. Ich weiss gar nicht was ich mehr dazu schreiben soll……….
Hallo,
ganz bestimmt kommt der Tag, wo alles anders wird. Die Sonne scheint wieder in Dein Herz und alles was vergangen ist gehört zu Deinem Leben dazu aber es tut nicht mehr so weh und Du kannst neu durchstarten. Lass es bitte zu. Die besten Wünsche auf Deinem Weg liebe Grüße Inge
Du bist sehr mutig, deine geschichte mit uns zu teilen. Ich wünsche dir alles, alles gute und dass dich dieser letzte satz, den du geschrieben hast, der so wahr und wichtig ist, weiterhin als erkenntnis bleibt!
Liebe grüße, Lisa *