Allgemein, Mein Leben mit dem Besonderen

Mein Leben mit dem Besonderen #61 Das Leben ist immer besonders

Besonders bei uns. Oder doch überall? In schweren Stunden sehne ich mich nach so einem Geranienidyll! Ein Baukastenhaus, Neubau versteht sich, zwei Kinder, beide gute Schüler und mit einer Herde guter Freunde. Ich als Mutter stets wie aus dem Ei gepellt, der Haushalt ebenfalls. Der überschaubare Garten grünt und blüht. Zweimal im Jahr fahren wir in den Urlaub und kehren entspannt und gestärkt in den Alltag zurück. Mein Mann hat einen guten Job, der ihn nicht nach Feierabend verfolgt, ich arbeite halbtags bei voller Anerkennung. Nebenbei engagieren wir uns in Vereinen und ehrenamtlich für den guten Zeck.

Peng! Da ist die Traumblase zerplatzt.

Das ist eben nur meine Phantasie der schweren Stunden. Und so ein Leben würde auch überhaupt nicht zu mir passen. Es sollte nur ab und zu nicht so ungemein anstrengend sein.

Ich habe drei Kinder, nur Jungs. Sohn eins ist relativ entspannt. Die anfänglichen Hürden, die ein junges Leben mit ADS und Legasthenie mit sich bringt haben wir erfolgreich genommen. Die Schule ist abgeschlossen, das Studium läuft erstaunlich entspannt. Dass das nicht nebenbei passierte brauch ich nicht weiter erläutern. Das war ein harter und anstrengender Weg, auf dem zwei wiederholte Klassen und unzählbare Stunden gemeinsamer Arbeit lagen. Sohn drei war ein Schreibaby. Das weiß ich im Nachhinein. Unterstützung hatten wir weder von der Hebamme noch vom Umfeld. So als Dreifachmami hat man das doch im Griff! Aber auch als Dreifachmami kommt man mit einem Kind, das ab Geburt 15 Minuten Tagesschlaf hat und jeden Abend fünf intensive Stunden Betreuung braucht an seine Grenzen. Täglich. Und mitunter wuchs der Gedanke, wie einfach das Leben ohne dieses Wunschkind war. Sohn drei ist jetzt fünf und ein richtig guter Typ! Als er sieben Monate alt war brachten drei Sitzungen beim Osteopathen die entscheidende Wende. Der erste Mittagsschlaf! Welch eine Feier. Inzwischen sind diese Strapazen fast vergessen. Das Kind ist fröhlich, frech, neugierig und wortgewaltig in der Welt unterwegs.

Sohn zwei ist aber das eigentlich zehrende Thema. Mein Sohn hat Mukoviszidose. Das ist eine chronische, unheilbare Krankheit, die am schwersten die Lunge betrifft. Häufige Lungenentzündungen gehören zum Alltag, tägliche Inhalationen, im Jahr bestimmt sechs Durchgänge mit oralen Antibiotika über drei Wochen, dazu etwa drei Durchgänge mit intravenösen Antibiotika über zwei Wochen. Bei nahezu allen Kindern hat die Bauchspeicheldrüse keine Funktion. Jede Mahlzeit muss genau abgeschätzt werden, die Verdauungsenzyme werden danach berechnet und in Tablettenform genommen. Mit den anderen Medikamenten kommt ein Kind da auf locker 20 Tabletten pro Tag, im Infektfall noch mal mehr. Drei mal feucht inhalieren und zwei mal trocken gehörten irgendwann ganz normal zum Alltag. Eigentlich soll man dann auch jeden Tag ne Stunde Physio machen und auch ne Stunde Sport, aber das klappt einfach nicht immer. Einmal in der Woche fuhren wir zur Physiotherapie, unsere war 30km entfernt. Man findet halt nicht an jeder Ecke jemanden, der sich damit auskennt. Und trotz aller Zeit, der intensiven Therapie und dem ganzen Aufwand verliert man gegen diese Krankheit.

Egal wie gut man die Therapie macht, wie konsequent und bedacht, das eigene Kind wird irgendwann ersticken.

Vielleicht hat das Kind ein wenig Aufschub durch eine Lungentransplantation, aber das bringt im Schnitt auch nur 15 Jahre weiter. Irgendwann geben die anderen Organe wegen der starken Medikamente auf. Und eine Spenderlunge gibt’s eben auch nicht auf Rezept in jeder Apotheke. Etliche Patienten versterben auf der Warteliste. Und dann der Gedanke, dass da erst mal jemand sterben muss, damit das eigene Kind weiterleben kann. Das ist wirklich nicht erbaulich.

Was ein elendiger Scheiß!

Zu wissen, dass in den letzten fünf Jahren das mittlere Sterbealter bei 25 lag. Zu wissen, dass man kämpfen kann wie ein Bär und dennoch verlieren wird. Zu wissen, dass das eigene Kind 23 ist und Statistiken zwar nicht die Realität abbilden, aber doch irgendwie realistisch sind.

Ich möchte ihm diese Krankheit abnehmen. Ich will viele Stunden am Tag Therapie machen und ihm die Freiheit schenken.  Ich möchte ihm das Gefühl schenken, frei atmen zu können und unbeschwert zu leben. Ich würde ihm gern eine Zukunft schenken und die Ängste nehmen.  Vor allem aber will ich, dass er alt und grau wird und auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann.

Diese Gedanken machen mich hilflos.

Da trösten keine Geranien und keine geschleckte Bude.

5 Kommentare

  1. Bianca sagt

    man möchte das eigene Kind nicht überleben…. so traurig, das zu lesen. Ich wünsche dir viel Kraft!

  2. Wahnsinn was manchen Familien alles aufgebürdet wird. So viel musstet ihr schon durchstehen. Ich wünsche euch weiterhin ganz viel Kraft und deinem mittleren Sohn so gute Zeiten wie es nur möglich ist, dass er noch lang hier sein darf.

  3. Zufällig gefunden. Ich schlucke jetzt den fetten Kloß in meinem Hals runter und nehme mir fest vor, wieder weniger über meine Luxussorgen zu jammern.
    Euch wünsche ich ganz viel Sonnenschein und Kraft und drücke die Daumen für eine Spenderlunge!
    Liebe Grüße, Carla.

  4. Knodel Inge sagt

    Ich habe großen Respekt vor Eurer Verantwortung und Liebe die Ihr Euch schenkt. Ich werde demütig wenn ich an Eure Situation denke. Wir durften unsere Tochter damals 23 Jahre in ihrer Kranheit( Schizophrnie) nur ein 3/4 Jahr begleiten, dann hat sie sich gegen diese Erkrankung entschieden und wir haben sie am 7.1.1991 verloren. Es macht uns immer noch furchtbar traurig. Wir hoffen, ihre 3 Brüder, ihr Vater und ich, dass sie ihren Frieden gefunden hat. Trost, in Eurer Lage, kann man als Außenstehender wenig spenden. Zusammenhalt innerhalb der Familie ist sehr wichtig. Sie stützt einen und gibt Halt damit man nicht den Boden unter den Füßen verliert.
    Liebe Grüße Inge

  5. Ani Lorak sagt

    ‚Ohje – Trost kann ich nur schwierig spenden. Achtung habe ich, dass Du Dich der Aufgabe (auch vielleicht falsch der Begriff) stellst und kämpfst mit dem Wissen zu verlieren. Respekt! Macht mich demütig! Danke, dass Du das teilst. Ich hoffe, Du findest Unterstützung und verlierst Dich dabei nicht! Denke an Euch!

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