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Mein Leben mit dem Besonderen #42 Meine Schwester Carina

Hallo 🙂
Ich bin Isabelle und ich bin 18 Jahre alt. Ich hab schon ab und zu mal daran gedacht auch mal einen Text fĂŒr diese Rubrik zu verfassen, habe den Gedanken dann aber doch relativ schnell wieder verworfen …
Letzendlich hab ich mich dann jetzt doch dazu entschieden es mal zu versuchen.
Erstmal denke ich, dass eigentlich jeder Mensch mit etwas Besonderem lebt, es gibt immer etwas was sein Leben von dem der anderen unterscheidet.
Oft bemerkt man das aber gar nicht mehr wirklich, weil man es nie anders kannte, oder es ist einfach „normal“ geworden.
Meine kleine Schwester Carina ist jetzt 17 . Sie trÀgt Windeln, lÀuft komisch, redet oft in ihrer eigenen Sprache mit sich selbst oder singt Lieder vor sich hin. Manchmal wird sie ohne Grund sehr laut und schreit .
Das sind alles Dinge die mit ihrer geistigen Behinderung zusammenhÀngen. Aufgrund dieser wohnt sie mittlerweile auch in einer (wirklich tollen) Jugendwohngruppe.

Ich denke, dass ich, bis ich ungefĂ€hr 10 Jahre alt war, nie wirklich darauf geachtet habe, dass meine Schwester anders ist. Warum auch, fĂŒr mich war es normal, Carina ist halt so. Ich bin mit ihr in einen integrativen Kindergarten gegangen, war im gleichen integrativen Reitverein, sehr viele meiner Freunde hatten eine BeimtrĂ€chtigung und ich habe sie nie von meinen anderen Freunden auf irgendeine Art und Weise abgegrenzt.
Doch als ich Ă€lter wurde und in die PubertĂ€t kam verĂ€nderte sich mein VerhĂ€ltnis zu meiner Schwester. Ich begann mich zu fragen warum sie wohl so ist wie sie ist, warum das gerade meiner Schwester passieren musste, was wĂ€re eigentlich wenn ich die „Behinderte“ wĂ€re und nicht sie.
Teilweise war ich sehr traurig, weil ich sah, dass meine Freundinnen sich mit ihren Schwestern super verstanden und fragte mich natĂŒrlich wie unsere Beziehung wohl wĂ€re … ( tue ich immer noch manchmal 🙂
Es gab aber auch die Zeiten der Wut. Diese Phasen ĂŒber die man eigentlich nie spricht, weil solche GefĂŒhle darf man Behinderten ja gegenĂŒber nicht haben. Sie kann ja nichts dafĂŒr.
NatĂŒrlich kann sie nichts dafĂŒr, das war und ist mir immer bewusst.
Aber es hat mich genervt, dass sie immer bis abends Fernsehen gucken durfte, weil sie sonst die ganze Zeit auf ihren Zimmerfussboden klopfte; dass wir einige AusflĂŒge ihretwegen nicht machen konnten oder meine Mutter weniger Zeit fĂŒr mich hatte; dass ich ihre Windeln wechseln musste …
Eigentlich verstÀndlich, dass eine 13- jÀhrige sowas doof findet.
Aber, und das war die einzige Sache die mich wirklich immer gestört hat, alle Leute, sowohl die Familie als auch Freunde als auch völlig Fremde (es hat ja immer jeder eine Meinung :D) meinten, dass ich herzlos wĂ€re und mich zusammenreißen soll. Man darf nicht auf seine behinderte Schwester sauer sein ….
Warum darf man das denn bitte nicht ?
Meine Schwester ist zwar anders, aber noch lange nicht dumm, und sie weiß genau was sie darf und was nicht und wie sie mich Ă€rgern kann.
Und genau wie sie sich auch manchmal ĂŒber mich Ă€rgert, Ă€rgere ich mich manchmal ĂŒber sie.
Und das gehört zu was ich am Anfang damit meinte – dass Dinge fĂŒr mich normal sind, die fĂŒr andere nicht normal sind (wie zum Beispiel sich ĂŒber seine behinderte Schwester zu Ă€rgern), was mir aber gar nicht auffĂ€llt.
Und das ist der Punkt, wo die Leute starren und flĂŒstern und sich ihr Urteil bilden, ohne uns kennen gelernt zu haben und ohne einfach nachzufragen.
Ich lache und habe Spaß mit meiner Schwester, genauso wie wir mal sauer aufeinander sind. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es fĂŒr sie oft sehr frustrierend ist Dinge tun zu wollen, aber nicht zu können, etwas sagen zu wollen, aber nicht zu wissen wie …
Und das ist der Punkt wo ich einfach ihre Schwester bin. Ich versuche fĂŒr sie zu sprechen, wenn sie es nicht kann, zu erraten was sie möchte, zu vermitteln .. Ob ich das immer richtig mache ist eine andere Sache.
Aber das ist das, was den Unterschied in der Beziehung zu ihr und der zu meinen gesunden BrĂŒdern ausmacht .
Es ist ein ganz anderer Umgang, eine andere Basis, dadurch dass eben einer etwas mehr Hilfe als der andere braucht. Und trotzdem hilft sie mir auch, lerne ich auch von ihr und habe ich durch das Zusammenleben mit ihr gelernt.
Ich habe frĂŒh gelernt selbststĂ€ndig zu arbeiten, ich kann Windeln wechseln, bin anderen Menschen sehr offen gegenĂŒber und habe keine BerĂŒhrungsĂ€ngste.
Und ich kann mich ĂŒber kleine Dinge und kleiner Erfolge genauso wie ĂŒber die großen freuen und auf neues einlassen.

Mit niemand anders kann ich zum 247384954039494 mal die selbe „BĂ€r im blauen Haus DVD“ gucken und mich trotzdem noch ĂŒber das Abschiedslied freuen ohne auszurasten 😀

Und auch nur fĂŒr meine Schwester setze ich mich 2 Stunden auf eine Wiese und schaue ihr zu wie sie Gras aus dem Boden reißt und sich unglaublich darĂŒber freut.

Ich hoffe ihr konntet mir bis hierhin folgen und versteht was ich euch sagen möchte 🙂

Jedes Leben mit dem Besonderen wird fĂŒr die, die es Leben irgendwann normal. Das heißt aber nicht, dass sie nicht wissen wie ihr Leben sich von anderen unterscheidet und nicht trotzdem noch einen Sinn fĂŒr die alltĂ€glichen oder seltenen kleinen Besonderheiten haben …

Viele Dank fĂŒrs Lesen 🙂

9 Kommentare

  1. Hallo Isabelle!
    Ich finde deinen Text und die Art wie du schreibst wunderschön und deine Ansichten super beeindruckend. Man spĂŒrt beim Lesen, wie gern du deine Schwester hast und ich kann mir richtig vorstellen wie ihr zusammen lacht, spielt, lebt und euch auch ĂŒbereinander Ă€rgert. Und ich finde es toll, dass du so selbstbewusst zu deinen GefĂŒhlen stehst. Das schaffen die meisten nicht. Ich wĂŒnsche dir und deiner Familie alles Gute!
    Liebe GrĂŒĂŸe, Isabella

  2. Knodel Inge sagt

    Hallo Isabella!
    NatĂŒrlich darfst Du auch mal sauer auf Deine Schwester sein. Behinderung hin oder her, es ist doch egal. Bleib so wie Du bist, verrenke Dich nie fĂŒr die, die anders denken. Maschiere so weiter Du machst es gut. Deine Familie kann und darf stolz auf Dich sein. Liebe GrĂŒĂŸe Inge

  3. Ich finde den Beitrag super. Oft wird auch vergessen, dass auch negative GefĂŒhle zum Leben gehören. Ich finde es aber wichtig, dass darĂŒber auch in diesem Zusammenhang mal geschrieben wird. Ich denke, jeder Mensch verdient es, wie ein Mensch behandelt zu werden und dazu gehört auch, dass man andere mit seinem verhalten mal wĂŒtend macht. Ich finde es wichtig und wunderschön, dass Carola so normal fĂŒr dich ist. Und ich finde es schön fĂŒr Carina, dass du auch mal wĂŒtend auf die bist/warst. Denn das macht sie zu deiner Schwester, zu deiner Familie. Ich denke, Familie bedeutet -unter anderem-, dass man sich streiten kann und aufeinander wĂŒtend sein kann, ohne die Liebe fĂŒreinander zu verlieren.

  4. Liebe Isabella
    Ich habe irgendwo und irgendwann einen sehr Ă€hnlichen Text geschrieben. Ich habe auch einen jĂŒngeren behinderten Bruder (das „auch“ bezieht sich auf jĂŒngeres Geschwister, du hast ja eine Schwester :D. Ich ĂŒbrigens auch noch, aber sie ist gesund). Und die Fragen die du dir gestellt hast, insbesondere auch „Warum ist das ihm passiert, warum ist das gerade mir/meiner Familie passiert?“ habe ich mir auch schon oft gestellt. Eine Antwort darauf wird es nicht geben.
    Was du auch schreibst, dass du frĂŒh selbstĂ€ndig wurdest, ist ein sehr positiver Aspekt dieses Geschwisterdaseins. Das wurde bei mir frĂŒh bemerkt und man hat oft gestaunt, wie erwachsen ich schon als Kind war. Das hat mir auch die eine oder andere TĂŒr geöffnet im Leben.
    Ich wĂŒnsche dir weiterhin viel Freude mit deiner Schwester und Ă€rgere dich auch weiterhin ab und zu ĂŒber sie oder deine BrĂŒder, es ist total normal. Und lass dir von Menschen die diese Situation nicht kennen nichts einreden. Sie wissen nicht wovon sie sprechen und dass diese Situation als Geschwister einer behinderten Person auch nicht nur einfach ist. Es ist eben besonders und darum gehörst du mit deinem Bericht genau in diese schöne Rurik :).
    Alles Liebe, Sabrina

  5. Ich hatte zum Schluss TrĂ€nen in den Augen!❀ ich wĂŒnsche deiner FAMILIE alles Gute. Liebe GrĂŒĂŸe.

  6. Ingeborg Schöpf sagt

    Einfach herrlich herzlich.
    Am Schluß hatte ich Pippi in den Augen.
    Danke fĂŒr Deine Worte. 🙂

  7. Kerstin sagt

    Liebe Isabella!
    Du machst es genau richtig. Was kann denn besser sein, als seine Schwester – im Rahmen der Möglichkeiten- gleichberechtigt zu behandeln? Du bist manchmal sauer auf sie? Völlig normal und deine Schwester kann froh sein, dass sie dich hat, die ihr genau das zeigt. Viel schlimmer wĂ€re es doch, wenn du sie nur in Watte packen wĂŒrdest und ich kann mir vorstellen, dass sie dann spĂŒren wĂŒrde, dass du sie nicht ernst nimmt. Wer dich dafĂŒr kritisiert, hat keine Ahnung und lebt vermutlich weder mit dir noch mit ihr zusammen.
    Ich wÀre sehr stokz, wenn du meine Tochter wÀrest.
    Viel GlĂŒck fĂŒr dich und deine Familie, Kerstin

  8. Hallo liebe Isabelle,

    Ich finde es toll dass Du Dich doch getraut hast so offen und ehrlich zu schreiben, Dankeschön! Es ist bestimmt nicht immer leicht fĂŒr Geschwister wenn einer mehr Aufmerksamkeit braucht, deshalb auch wichtig sein eigenes Leben nicht hinten an zustellen…wĂŒnsche dir und natĂŒrlich deiner ganzen Familie alles Gute,
    Astrid

  9. Ani Lorak sagt

    Gerne. Danke fĂŒr Deinen Einblick. Respekt dafĂŒr. Ich habe auch eine Meinung, wenn wir ‚Behinderte‘ / Menschen mit Handicap integrieren und ’normal‘ behabdeln wollen, gehört das dazu und sollte sich von srlbst verstehen, dass mann auch wĂŒtend auf sie sein darf und sich Ă€rgern darf und auch mal streiten. Alles das gehört dazu. Ich finde das wird immer mehr ausgesperrt, auch als Mutter werde ich schrĂ€g angesehen, wenn ich sage, dass ich meinem Kind sage, dass ich Uois richtig doof finde und dass ich trotzdem dorthin gehen mit unseren Kindern, weil sie die Wahl haben sollen, weil ich es Ihnen nicht vorenthalten will. Dass sie dann auch RĂŒcksicht nehmen mĂŒssen, wenn ich z.B. im Museum mal lĂ€nger als sie schauen möchte. Jör auf Dein BauchgefĂŒhl und ich bin sicher, dass Deine Schwester damit umgehen kann und es grlernt hat. Lieben Gruss
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