Allgemein, Down-Syndrom, Lillestoff, Werbung

Wie ein Helikopter

Vor ein paar Tagen habe ich diesen Artikel gelesen. Es ging um ein fünfjähriges Mädchen, das in einer Ferienanlage nachts um halb vier leblos im Pool vorgefunden wurde. Die Eltern schliefen zu dem Zeitpunkt.

Meine ersten Gedanken waren – wie kann so etwas passieren?

IMG_0988kUnd dann las ich  – das Kind hatte das Down-Syndrom.

Man könnte natürlich jetzt behaupten – das ist das i-Tüpfelchen der ganzen Dramatik. Aber als ich das las, verstand ich.

Plötzlich war alles anders. Ich hatte meinen süßen Sonnenschein vor Augen, wie sie den ganzen Tag voller Begeisterung und mit einem Riesen Spaß laut lachend im Pool plantscht und sich dann nachts heimlich im Badeanzug und mit Handtuch aus dem Zimmer schleicht… sie springt ins Wasser und… ich kneife meine Augen fest zu, schiebe den Gedanken hastig beiseite.

IMG_1003kTraurigkeit ergreift mich. Panik. Und Mitgefühl für das arme Mädchen und seine Familie. Aber ich versuche nicht weiter dran zu denken, denn jedes Mal wenn ich an das kleine Mädchen denke, habe ich mein eigenes Kind vor Augen.

Sie ist so groß geworden, so selbständig und doch viel zu oft sich Gefahren nicht wirklich bewusst.

Auf den Stuhl klettern, den Wohnungsschlüssel nehmen und sich heimlich aus der Wohnung schleichen, um die Nachbarin zu besuchen oder aber weil der Sonnenschein nicht mehr abwarten kann, dass wir auf den Spielplatz gehen. Hatten wir alles schon mal… nicht nur einmal.

Jeden Tag riskiert der Sonnenschein sich den Arm zu brechen, weil sie (ohne Stuhl) auf die Arbeitsplatte klettert, um von dort ganz hoch an den Schrank zu kommen. Sie weiß genau wo die Süßigkeiten versteckt sind. Ich kann sie leider nicht offen zugänglich aufbewahren, ohne dass sie sich nicht täglich daran überfressen würde (erst gar keine kaufen – keine Option!).

Wenn sie mit dem Fahrrad fährt oder schon mal auf dem Heimweg von der Kita vor rennt, kann ich ihr vertrauen, dass sie nicht einfach über die Straße fährt oder rennt… aber wirklich sicher sein kann ich mir nicht. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass sie mitten auf dem Weg plötzlich ohne zu gucken auf die andere Straßenseite gelaufen ist, weil sie spontan beschlossen hat ihren Freund Maik zu besuchen. Eigentlich ist sie unberechenbar.

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Oder der Tag, an dem Herr Sonnenschein die Streichhölzer nicht gut genug weg legte… zum Glück ist nichts passiert. Aber sie hatte die Streichhölzer bereits vor mir entdeckt.

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So gelassen wie Herr Sonnenschein und ich für gewöhnlich ja sind – mit dem Sonnenschein mutieren wir phasenweise zu den klassischen Helikopter-Eltern. Das Risiko, dass sie wieder irgendwas verrücktes anstellt, ist in den Momenten, in denen es so gefährlich still ist, einfach zu groß. Aber in den letzten Wochen passiert es häufig, dass ich in ihr Zimmer platzte, schon Luft zum Schimpfen hole und dann… schauen mich zwei völlig verdutzte, wunderschöne, große Augen an und der Sonnenschein sitzt ganz lieb am Schreibtisch und malt… oder sie ist mitten in einem ihrer Rollenspiele oder tanzt. Das Zimmer verwüstet. Aber das ist egal.

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Der kleine Löwe ahmt seine große Schwester in vielem nach und testet gerade kräftig seine Grenzen aus. Er möchte zum Beispiel lieber getragen werden als zu laufen. Leider spielen wir dieses Spielchen nicht zum ersten Mal und ich laufe einfach schon mal ein Stückchen vor. Plötzlich kann mein Kind laufen. Beim Löwen zieht das. Beim Sonnenschein hat das noch nie funktioniert. Sie ist resistent gegen solche Spielchen. Wenn ich gehe, bleibt sie. Wenn ich aus ihrem Sichtfeld raus bin, verzieht sie keine Miene und rührt sich nicht vom Fleck. Sie sitzt das aus… bis sie ihren Willen bekommt.

Zu gerne würde ich sie einfach mal sitzen lassen, so lange bis sie wieder von alleine aufsteht und mit nach Hause läuft. Ich würde sie auch gerne einfach mal lassen, wenn sie beschließt einen anderen Weg nach Hause zu nehmen als ihr Bruder und ich (es gibt zwei Wege… natürlich wollen meine Kinder nie denselben nehmen). Aber mich bremst jedes Mal die Angst, dass der Sonnenschein sich in Gefahr bringt, durch ihre Unachtsamkeit oder eben durch ihre grenzenlose Naivität, wenn ich sie aus den Augen verliere.

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In den letzten Wochen und Monaten haben wir ein ständiges Auf und Ab von – ich vertraue Dir, mein großes Mädchen bis hin zu fassungslosem Kopfschütteln – warum. machst. Du. das!

Die Antwort kennt der Sonnenschein wahrscheinlich selbst nicht. Sie steht sich momentan am meisten selbst im Weg.

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Der Stoff, den ich für das Kleid auf den Bildern vernäht habe, ist der neue Mini-Stars von lillestoff. Der Ringeljersey und der rote Bündchenstoff sind ebenfalls von lillestoff. Den Schnitt habe ich selbst „zusammengebastelt“.

9 Kommentare

  1. Eine wunderschöne Beschreibung der „eingeschränkten Alltagskompetenz“, wie es so schön im Amtsdeutsch heißt. Ich kann Vieles davon unterschreiben – auch ohne Down-Syndrom. Und oft genug macht es mich waaahnsinnig, weil ich ein Kind, das ein riesiges Theater macht und sich benimmt wie eine trotzige Dreijährige, eben weder einfach stehen lassen noch unter den Arm klemmen kann, weil sie eben körperlich schon neun ist.

    Ich hoffe immer, dass auch bei „besonderen Kindern“ alles „nur eine Phase“ ist. Die Phasen dauern nur manchmal ganz schön lange.

  2. Doro A sagt

    Liebe Katharina
    Danke für diesen Post. Ich kann total mit- und nachfühlen, was Du da beschreibst!
    Unser Kleiner ist zwar erst 2… aber vieles kommt mir jetzt schon vertraut vor. Oft bin ich echt dankbar, dass er für viele Dinge noch zu klein ist und z.B. noch nicht die Haustüre aufbekommt, wenn sie richtig zu ist. Aber irgendwann wird er die Klinke erreichen…
    Viel Kraft, und vor allem und trotz allem dennoch die richtige Portion Gelassenheit wünsche ich Dir
    doro

  3. Sophia sagt

    Oh, redest du von meiner Tochter.
    Es ist wirklich zum Mäuse melken. Im Moment schmeißt sie sich auf die Erde und rührt sich nicht mehr vom Fleck, weil der kleine Bruder sie überholt hat und da sitzt sie dann, was die anderen zwei so gar nicht interessiert.
    Dieses unberechenbare ist das schlimmste. Es läuft ja richtig gut zwischendurch und dann „BAM“ ist sie plötzlich weg, im Wald und wir wissen noch nicht mal in welcher Richtung…
    Sorgenkind, stolzes vorSchulkind, fürsorgliche Schwester, alles in einem.
    Wieder mal traumhafte Bilder von deiner Großen!
    Liebe grüße
    Sophia

    • Ja, das ist gerade als würdest Du Sonea beschreiben.
      Dieses Unberechenbare ist auch unser größtes Problem und das weiß sie und das nutzt sie gerne mal für sich.

      Liebe Grüße
      Katharina

  4. Oh man, ich wünschte mein Sohn würde das auch so mitmachen. Er will im Moment auch lieber getragen werden. Meistens ist das mit einem Terroranfall verbunden. Und wenn ich ihn dann stehen lasse und ein paar Schritte (versuche) zu gehen, dann artet das ganze in einem ausgewachsenen und unglaublich ausdauernden Wutgebrüllgeheulegehauegeschubse aus…. 2,5 Jährigen können sehr erschöpfend sein.

    Liebe Grüße
    SAbrina

  5. Oh ja, dieses tragische Unglück saß auch tief in meinem Kopf fest… vor allem weil ich Zuhause die Tür immer mit einem Haken verriegelt habe, in Hotels aber schon erlebt habe das die Tür, obwohl sie verschlossen ist, von innen ganz leicht durch drücken der Klinke zu öffnen ist…
    … und die vielen, vielen anderen Situationen tagtäglich… da ist es nicht einfach die richtige Balance zu finden …
    Ganz tolle Bilder von dem Sonnenschein 🙂
    Liebe Grüße
    Christine

  6. Dani sagt

    Hi,
    ich bin berührt von deinem Post. Das musste ich jetzt einfach mal sagen, auch wenn ich sonst nur stille Mitleserin bin….
    UND : Das letzte Bild von deiner Süßen ist total schön <3 .
    Ganz, ganz liebe Grüße Dani

  7. Oh wie wunderbar geschrieben.
    Wenn da natürlich auch ganz viel Angst um den Sonnenschein drinsteckt.
    Ich schicke ganz viel Kraft für die weitere Zeit! Vielleicht wird der Sonnenschein ja irgendwann vorsichtiger, ich wünsche es dir!
    Liebe Grüße, Hüpfeflo

  8. Katrin sagt

    Oh wie schön die kleine Lady doch ist liebe Katharina 🙂 ja, Kinder sind tickende Zeitbomben, meine gehört auch dazu. Aber vielleicht sind wir Eltern einfach nur zu fürsorglich und sollten ab und an unseren Kindern vertrauen, denn die sind ja schon groß, so meist die Antwort auf so viele Ansagen :))

    LG Katrin

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