Down Syndrom – Trisomie – dieses Thema begleitet und beschäftigt mich schon sehr viele Jahre.
Anders als viele betroffene Eltern und Familien habe ich mich lange Zeit bevor ich an eigene Kinder dachte damit auseinandergesetzt wie es denn für mich wäre wenn…
Aber eins nach dem Anderen. Ich bin 45 Jahre und Kinderphysiotherapeutin aus Leidenschaft. Babys und Kinder mit allen erdenklichen Erkrankungen und mit den unterschiedlichsten Handycaps wurden mir seither zur Therapie anvertraut . Viele schlimme Schicksale habe ich kennengelernt und leider sind auch viele Kinder heute nicht mehr am Leben.
Das Down Syndrom habe ich aber irgendwie nie so richtig dazu gezählt. Zu den schweren Schicksalen meine ich. Das klingt jetzt seltsam wenn ich es so aufschreibe aber es war tatsächlich so. DS sah und sehe ich mehr als eine Eigenart. Als Einzigartigkeit , Besonderheit , Merkmal… Aber noch nie als Krankheit oder gar als Behinderung.
Für mich waren meine kleinen und grossen Patienten mit DS schon immer eine Bereicherung. Aber ich kannte sie ja nur als Therapeutin. So hatte ich ja leicht reden.
Dann wurde ich selber schwanger, nach vielen ungewollt kinderlosen Jahren. Erst die Reproduktionsmedizin konnte uns helfen. Endlich war ich schwanger und hatte kaum einen Mutterpass da war ich schon von allen Seiten konfrontiert mit Pränataldiagnostik. Irgendwie verstand niemand um mich herum warum ich nicht alles untersuchen lassen wollte um die Garantie auf das perfekte Kind zu erhöhen. Schon damals vor über 18 Jahren war für mich klar dass ich jedes Wesen würde lieben können- egal ob “ normal“- wie die Gesellschaft so gern sagt- oder nicht.
Heute habe ich 3 Kinder, fast 18 , 14 und 3 Jahre alt und stehe inmitten von Liebe, Freude , Pubertätsproblemen, Angst vor der Zukunft, Sorgen und Glück und weiss dass es auch nicht anders wäre wenn eines meiner Kinder das Down Syndrom hätte. Denn heute kenne ich auch die zauberhafte Milla. Mein kleines Patenkind . Sie ist nur mit Worten zu beschreiben wie ich auch meine eigenen Mädchen beschrieben hätte als sie 2 Jahre alt waren.
Milla ist suess, putzig, witzig, lustig, fröhlich, liebevoll, sonnig, eigensinnig, neugierig, energiegeladen, interessiert, motiviert, goldig, schmusig, clever, offen – einfach genau richtig.
Und sie hat das Down Syndrom. Vielleicht könnte sie im Sitzen etwas mehr Spannung vertragen oder etwas sicherer rennen, vielleicht sollte sie ein wenig mehr Worte plappern und ihre Brille besser tolerieren… aber das wäre mir zum einen nicht in den Sinn gekommen wenn ich sie jemandem beschreiben soll zum anderen passt das auch auf so viele andere Kinder ohne Down Syndrom.
Auf das Leben mit Milla freue ich mich sehr. Es wird spannend und aufregend und schön so wie mit jedem anderen Kind auch. Aber wenn Andere denken es sei so besonders und so bemitleidenswert dieses Leben so stressig und so gar nicht lebenswert dann macht mich das traurig. Wer erlaubt sich solche Aussagen? Wer stellt denn unsere Normen auf und wer definiert unser Menschenbild? Ok unsere Gesellschaft ist hart und es ist ein steiniger Weg wenn man bestehen will. In den Augen der Anderen, in den Augen der Perfekten, der Arbeitswelt. In unserer Gesellschaft in der jeder 2. einen Therapeut braucht um durchhalten zu können. In der man jetzt gerade sein Burn Out hat oder einen Selbstzweifel und Depressionen auffressen. Wo jeder Teeny schon seine Beauty Op plant wenn er 18 ist weil wir mithalten müssen. Wenn ich meine eigenen Kinder höre wie sie an sich selber zweifeln weil alle anderen besser und toller sind wie sie unter Leistungsdruck leiden und manchmal Zukunftsangst haben.
Dann stehe ich in meiner Praxis mit meinen kleinen und grossen Patienten ob mit oder ohne Syndrom und darf ihre Lebensfreude teilen. Sehen und erleben wie sie sich selber lieben und toll finden. Sich schön finden und an sich glauben. Sie keine Ängste quälen und einfach glücklich im Hier und Jetzt sind. Oft stelle ich mir dann immer wieder die gleiche Frage. Welches Leben ist denn nun das erstrebenswerteste? Zum Glück kann man es sich auch nicht aussuchen. Aber wenn ich sehe wie ein Kind ,das als geistig beeinträchtigt gilt , glücklich zufrieden und völlig in seiner Mitte ruhend mit mir turnt dann glaube ich manchmal die Gründe unseres Herrn zu verstehen. Vielleicht erkennen wir es nicht auf den ersten Blick aber nicht unbedingt wir “ Gesunden“ sind der beneidenswerte Mensch- vielleicht ist es ja auch genau anders herum….
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Tausend Dank an Manuela für diesen tollen, bewegenden Beitrag zu dieser Blogreihe. Mir gefällt diese Sichtweise auf das Down-Syndrom und Milla hat sich definitiv die richtige Patentante ausgesucht.
Wunderwunderschön geschrieben.
Lg Zwirbeline
So ein schöner Gastpost! ♥
liebe Grüße
Alex
Genau so geht es mir, ich bin jetzt mit dem 2. schwanger. Ich habe vor jedem Ultraschall ein bisschen Angst… Vor schlimmen "Defekten", schweren Organveränderungen und so weiter.
Vor Trisomie 21!? Nein!
Warum auch, diese Menschen haben ein schönes Leben wie jeder andere "normale" auch, sie können genauso alt werden.
Ich finde es toll, dass ch hier auch von Menschen lese, die das ähnlich sehen, viele verstehen diese Sichtweise nicht 😔
LG Steffi
So ist es doch, jeder Mensch ist inzigartig. Und erstrebenswert im Leben ist es glücklich zu sein! Und da können die Normen und das scheinbar normale noch so anders sein, als man vielleicht selber, am Ende zählt doch nur, ob man glücklich ist… Sicherlich wird es der Familie an vielen Stellen schwer gemacht, einfach glücklich zu sein, müssen doch unzählige Kämpfe ausgetragen werden… Aber das heißt wahrlich nicht, dass Menschen, die scheinbar ganz normal sind, glücklicher sind. Und wir sind doch alle nur scheinbar ganz normal, wenn man hinter die Türen guckt, hat doch jeder seine Geschichte…
VLG Julia
Ganz wunderbare Worte.
Danke für diesen Beitrag und auch für die bereichernde Themenreihe.
Liebe Grüße
Jessica
Ich bin völlig deiner Meinung, Manuela! Das hast du wirklich schön geschrieben!
Liebe Grüße von
Claudia (auch Kinderphysio)