Freud und Leid, Leben und Tod liegen manchmal erschreckend dicht beieinander. Den 26. August werden das Löwenkind und mein Vater sich immer irgendwie ein bisschen teilen.
Es gibt Tage an denen denke ich: hätte mein Vater nicht noch ein Jahr warten können? Dann hätte er Vincent noch kennengelernt. Wenigstens für kurze Zeit. Für einen Monat. Ihn zumindest mal im Arm gehalten. Traurig, dass er diese Möglichkeit nie gehabt hat.
Wenn ich an heute vor zwei Jahren denke, an den Anruf meiner Mutter an jenem Nachmittag, dann schießen mir die Tränen sofort an die Augen und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Begreifen werde ich es wohl nie. Akzeptieren lernt man mit der Zeit. Und man lernt zu verstehen, irgendwie, dass der Mensch, um den man trauert, den man verloren geglaubt denkt, doch noch da ist… irgendwie. Manchmal reicht diese Form des Daseins und dann gibt es Tage, an denen scheint sie einem unerträglich und viel zu abstrakt.
Es gibt Tage, an denen schaue ich in den Himmel und lächele. Der Himmel ist eine neue Energiequelle für mich geworden. Ein Blick nach oben, Kraft und Mut tanken. Fast schon wie früher, wenn ich einen Rat von meinem Vater brauchte und anschließend aus dem Gespräch gestärkt heraus ging.
Das Vermissen wird nicht weniger, aber anders. Der Alltag hilft einem abzustumpfen, zieht in einem Sog mit sich, nimmt in Gefangenschaft.
Das eine Leben wird einem genommen und drei Monate später erfährt man, dass einem ein neues geschenkt wird. Als wolle eine höhere Macht sich für einen unterlaufenen Fehler entschuldigen, ein Leben ausgelöscht zu haben, das noch gar nicht zu Ende gelebt war. Eine kleine Wiedergutmachung. Als sollte ein Kreis wieder geschlossen werden, von dem man erst kürzlich brutal ein großes Stück raus gerissen hat.
Manchmal denke ich mit einem kleinen Schmunzeln, dass das Löwenkind ein Geschenk vom Opa an uns ist. Das gewünschte zweite Kind, das wir aus Angst vor den Risiken bis dahin nicht gewagt hatten. Eine Entscheidung, die uns abgenommen wurde und es scheinbar gut mit uns meinte.
Und wenn ich manchmal traurig darüber bin, dass der große Löwe den kleinen Löwen niemals kennengelernt hat, dann denke ich im nächsten Moment – eigentlich ist er doch die ganze Zeit da, um uns herum, nur nicht eben sichtbar und hörbar und dennoch irgendwie greifbar.