Das Jenke-Experiment ist ein Grund, der mich Montag abends vor den Fernseher zieht, obwohl ich sonst eher wenig fernsehe. Auch diesen Montag oder vor allem diesen Montag. Es ging um Magersucht. Ein Thema, das mir sehr vertraut ist. Das jahrelang auch ein Teil meines Lebens war.
Auch wenn dieses Kapitel heute glücklicherweise keine Rolle mehr in meinem Leben spielt, wahrscheinlich, weil ich mein Ventil in meiner eigenen Familie gefunden habe, erinnere ich mich noch gut an diese Zeit. Ich weiß noch wie es sich anfühlt zu hungern, weiß welche Stärke es einem verleiht und dieses Kontrollgefühl – es gehört nur Dir allein und Du hast es voll und ganz unter Kontrolle. Ich erinnere mich an meinen (optisch) totalen Tiefpunkt, abgemagert auf 32 Kilo und das Wissen, wenn ich nicht augenblicklich anfange zu Essen, der morgige Tag im Sarg endet. Der Tod zum Greifen nah. Und auch, wenn Essen heute kein zentrales Thema in meinem Leben spielt (außer vielleicht Schokolade… das ist meine Schwachstelle), erinnere ich mich noch genau an die Zeit, in der sich mein ganzer Alltagsinhalt um Essen drehte. Ich weiß noch wie ich Kochbücher wälzte, statt Geschichtsbücher, Kalorientabellen studierte, statt Vokabeln zu lernen und mich nicht mehr aufs Wesentliche konzentrieren konnte, denn in meinem Kopf drehte sich alles ums Essen und darum nicht essen zu müssen.
Heute esse ich gerne. Ich mag gutes Essen, achte weder auf Fettgehalt noch Kalorien oder sonst was. Wenn meine Laune nach Schokolade verlangt, bekommt sie diese. Wenn mein Bauch nach einer dicken Portion Pommes mit Mayo schreit, soll er die haben. Und wenn mein Wohlbefinden einfach mal einen schönen Salat mit Wallnüssen und Avocado wünscht, gibt es eben einfach mal nur Salat.
Kaum vorstellbar, dass es mal eine Zeit gab, in der mich die Vorstellung auch nur ein einfaches Salatblatt essen zu müssen panisch gemacht hat. Innerlich war der Wunsch nach Nahrung vorhanden, aber es gab keine Speise, die meiner würdig war. So gerne ich wollte, ich konnte einfach nicht essen. Noch nicht einmal eine verflixte Scheibe Salatgurke.
So hungerte ich mich innerhalb relativ kurzer Zeit jenseits von Gut und Böse. Die Ärzte hatten mich schon aufgegeben. Viel schlimmer als die Zeit der offensichtlichen Magersucht, war aber die Zeit danach. Eine Zeit, in der ich wahllos alles in mich hineinstopfte, kein Hunger- und Sättigungsgefühl mehr verspürte und die Kontrolle über mich und alle Nahrungsmittel verlor. Ich war ihnen ausgeliefert, hatte eine Fressattacke nach der anderen. Meistens nachts im Halbschlaf. Und da ich mich anschließend nicht übergab (glücklicherweise), nahm ich rapide wieder zu.
Für die Außenwelt war alles wieder in Ordnung. In mir drin war Chaos. Mein Körper rebellierte. Mir ging es gesundheitlich wirklich schlecht. Ich fühlte mich nur noch schlapp und müde und zudem absolut nicht zu Hause in meinem eigenen Körper. Mir fielen alltägliche Dinge plötzlich unsagbar schwer. Während ich früher gerne zur Schule ging, war es mir fast unmöglich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, ohne einzuschlafen. Gelerntes wollte nicht den Weg in meinen Kopf finden. Ich war plötzlich unglaublich schwerfällig in vielen Dingen. Magersucht ist eben nicht nur starker Gewichtsverlust, sondern auch begleitet von starken Depressionen und körperlichen Mangelerscheinungen und Defiziten. Es ist nicht nur der Körper der hungert.
Ich erinnere mich noch an diese innere Leere und diese Kälte, die sich auch nicht durch eine voll aufgedrehte Heizung und eine dicke Wolldecke beheben ließ. Es war eine emotionale Kälte und Leere. Man ist innerlich stumpf und emotionsarm.
Irgendwie habe ich die Kurve bekommen. Das war optisch ein schneller, aber innerlich ein langer Prozess und ist leider auch nicht die Regel. Jedes dritte Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren leidet heute unter einer Essstörung. Und das ist nicht nur eine Phase, sondern gesundheitlich wirklich kritisch und gefährlich.
Ich habe heute ein gesundes Verhältnis zu mir und meinem Körper. Sicherlich würde es mir schwer fallen, wenn ich plötzlich 10 Kilo mehr wiegen würde und gewichtsmäßig bin ich in einem Bereich, in dem mir 10 Kilo mehr noch lange nicht schaden würden. Aber ich befinde mich auch in einer Komfortzone, die ich ungern verlassen möchte, weder nach unten, noch nach oben. Ich esse gerne, und oft auch mal aus Langeweile oder Geselligkeit. In Stress-Situationen (egal ob positiv oder negativ) bekomme ich dagegen keinen Bissen runter. Ich bin eher ein Sportmuffel, aber wenn ich das Gefühl habe, dass ich ein bisschen mehr Bewegung brauche, dann schwinge ich die Hanteln.
Selbstverständlich ist das leider nicht. Essstörungen sind ein treuer, hartnäckiger Begleiter. Manchmal sogar ein Leben lang.
Meine liebe Lisa Harmann hat nach dem Jenke Experiment einen sehr interessanten Artikel geschrieben, den ich Euch an dieser Stelle zum Thema noch ans Herz legen kann. Einfach, weil Essstörungen so ein wichtiges und leider viel zu präsentes Thema sind.
Stoff: Re(tro)vival von Kluntjebunt für lillestoff
Schnitt: Goldmarie von Goldkrönchen
Ihr findet mich heute außerdem bei RUMS.
Uff…mein Thema. ..erst bei mir jetzt bei meinen großen Töchtern teilweise…kann das nur schwer aushalten. Danke für den Post! !!LG tanja
Hallo Katharina,
zuerst ein schönes Kleid , tolle Fotos und danke für diesen Bericht der dir warscheinlich nicht einfach gefallen ist. Oft kann man sich Dinge von der Seele schreiben und verspürt eine große Erleichterung. Ich spreche über einscheidende Ereignisse in meinem Leben wie z.B. der Suizid meiner Tochter und kann ihn so besser verarbeiten. Jeder hat ein Päckchen zu tragen. Das Leben hat so mache Tücken die man zu meistern hat. Packen wir es an, verarbeiten wir es besser und dann geht es uns gut.
Liebe Grüße Inge
Liebe Katharina, ich bin von deiner Offenheit sehr beeindruckt.
Wunderschöne Bilder 🙂
Lg, Anke
Vielen Dank für deinen offenen und mutigen Bericht. Ich bin mit 41 Jahren erstmals magersüchtig geworden. Meine große Tochter konnte nicht damit umgehen und hungerte auch. Ein schwieriges Thema und von heute auf morgen wird man nicht gesund. Nochmals vielen Dank.
Auch danke für deinen Bericht, mutig. Und wunderschön siehst du aus in deinem Kleid.
Herzliche Grüße
Sabine
Krass!Oh Katha! Vielen lieben Dank für deine ehrlichen bzw. persönlichen Worte zu diesem Thema. Ich weiß gar nicht was ich schreiben soll… Magersucht, eine Sucht von der ich persönlich total Angst habe, dass sie mich mal treffen wird…
Jetzt aber zum schöneren Thema, was für ein tolles Kleid und wieder so tolle Fotos von dir!
Ganz liebe Grüße, deine Mona
Danke!
Liebe Katharina!
Ich bin als Kind einer Magersüchtigen groß geworden. Mit 2 Jahren habe ich sie fast verloren. Dann kam mein Bruder und sie musste essen. In meinen nun 33 Jahren habe ich 2 schwere Rückfälle erleben müssen. Er war jedesmal furchtbar. Ich finde es super wie du mit umgehst und ich drücke dir die Daumen, das es nie zu einem Rückfall kommt.
Du bist so unglaublich ehrlich und authentisch! Man fühlt direkt mit, deine Offenheit ist klasse und sehr hilfreich für andere, die sich vielleicht in einer ähnlichen Situation befinde oder befanden. Toll, dass du mit dem Thema so tabulos umgehst, das ist nicht die Regel! Und natürlich sehr schick vernäht der Retrovival, die Farben stehen dir!
Liebe Grüße
Stephie
Wow, so ein schönes Kleid und tolle Fotos. Du bist echt fotogen. Und noch mal WOW für Deinen offenen Bericht. Da freue ich mich sehr für Dich, dass Du es geschafft hast, wieder zu genießen. Ganz liebe Grüße, Griselda K