Ich bin 30 Jahre alt, habe einen tollen Mann und zwei gesunde Kinder. Einen Sohn mit 5 und eine Tochter mit 2. Wir sind also eine ganz normale „0815-Familie“ mit ihren, zum Glück, normalen Höhen und Tiefen.
Aber, eigentlich habe ich nicht zwei Kinder, ich habe drei! Ich war dreimal schwanger und ich habe drei Kinder unter Schmerzen zur Welt gebracht. Nur zwei dürfen mich an meiner Hand begleiten, das dritte, Sophia, lebt im Stillen in meinem Herzen.
Es war 2007, ich war gerade 23 Jahre alt, beschlossen mein Mann und ich (damals war er noch mein Freund) mit der Familienplanung zu beginnen. Nach kurzer Zeit war ich dann auch wirklich schwanger. In den ersten Wochen war alles in Ordnung, das Baby wuchs und ich habe mir in meiner jungen Unbefangenheit überhaupt keine Sorgen gemacht. Von Nackenfaltenmessung, Feindiagnostik, Fruchtwasseruntersuchung habe ich nie etwas gehört oder gelesen. Dass dieses Kind in meinem Bauch nicht gesund sein könnte, habe ich einfach nicht bedacht.
Dann war ich endlich in der 20. Woche, Halbzeit. Ich hatte einen normalen Vorsorgetermin bei meinem Gynäkologen. Er fragte mich noch ob ich das Geschlecht wissen will, ich bejahte und er schallte. Dann kam lange nichts, er schallte und schallte. Stupste das Baby an, es bewegte sich nicht und ich dachte mir immer noch nichts dabei. Dann sagte er trocken, da ist etwas nicht in Ordnung mit dem Baby. Es ist viel zu klein und ausserdem sind die Organe nicht dort wo sie hingehören. Achja, Frau Sowieso, es ist ein Mädchen! Ich möchte Sie gerne zu einer Fruchtwasseruntersuchung überweisen, wann hätten Sie denn Zeit?
Und dann wurde ich nach draussen komplimentiert, vor die Tür der Praxis. Und da stand ich nun und freute mich irgendwie. Ich bekomme ein Mädchen!!! Genau das hatte ich mir gewünscht! Ich hatte irgendwie überhaupt nichts verstanden oder nicht verstehen können!
Am nächsten Tag in einem grossen Pränataldiagnostikzentrum. Ich hatte es irgendwie immer noch nicht verstanden, war immer noch der Meinung ich bekomme ein kleines Mädchen. Ich freute mich immer noch! Bis mich die, wieder sehr trockenen, Worte der Ärztin auf den Boden holten: „Also aus dieser Schwangerschaft wird nichts mehr, das Kind ist nicht lebensfähig. Wir müssen jetzt alles untersuchen um bei der nächsten Schwangerschaft auszuschliessen, dass es keine genetischen Ursachen hat.“ Ab da war es ein absoluter Alptraum!
Die Fruchtwasseruntersuchung ergab keine genetische Krankheit. Aber trotzdem, alle Organe waren an einem anderen Platz, unser Baby hat eine schwere Zwerchfellhernie und sicherlich irgendwas an der Genetik. Wir wurden zu einem Abbruch gedrängt, mit der Begründung, dass wenn ich nach der 23. Woche einen Abbruch tätigen würde, sie sich trotz der Behinderung um ein Leben der Kleinen kümmern müssten. Ob wir das so wollen? Ich wusste nichts mehr, ich habe nur noch wie eine Marionette alles gemacht was mir die Ärzte gesagt haben. Wir waren so falsch beraten, es musste alles ganz schnell gehen und ich hatte gar keine Zeit mich von meinem, noch lebenden Kind, in meinem Bauch zu verabschieden.
In der 22. Woche kam, nach einer eingeleiteten Geburt, unsere winzige Sophia zur Welt. Nach der Biopsie war klar, sie war wirklich nicht lebensfähig. Aber sie hat noch bis zum Ende in meinem Bauch gelebt und das ist es was ich mir immer noch vorwerfe. Ich habe sie nicht in meinem Bauch, in Ruhe und Sicherheit, sterben lassen. Wir waren so falsch beraten, viel zu jung und zu wenig selbstbewusst den Ärzten gegenüber.
Danach hielt es uns irgendwie nicht länger in Deutschland und wir wanderten aus. Studierten beide noch und plötzlich war ich wieder schwanger! Zu dem Zeitpunkt, war ich sehr viel reifer und selbstbewusster. Ich suchte mir einen ganz tollen Arzt, der mir die nötige Ruhe und Sicherheit gab. Mit mir zusammen in der neunten Woche einfach so lange schallte bis das winzige Baby in meinem Bauch wild Purzelbäume schlug (Sophia hat das immer nur stereotyp und verlangsamt gemacht). Wir brachten, nach einer psychisch anstrengenden Schwangerschaft, einen kleinen, sehr wohlgenährten gesunden Jungen zur Welt. 2012 forderten wir das Glück nochmal. Auch da brachten wir ein zwar sehr kleines, aber gesundes und munteres Mädchen zur Welt!
Ich habe mich in beiden Folgeschwangerschaften zwar für eine Fein- und Frühdiagnostik entschieden, aber nur um zu wissen wo wir uns befinden. Mit den Ärzten habe ich abgemacht, dass ich nur wissen will wenn es nicht lebensfähig ist. Sämtliche andere „Behinderungen“ waren mir egal und sollten mir nur genannt werden, wenn wir dem Kind mit irgendwas helfen können! Es sollte einfach nur LEBEN dürfen, mit was für Einschränkungen oder Behinderungen war mir nicht mehr wichtig.
Schlussendlich haben wir durch Sophias kurzes Leben trotzdem so viel gewonnen!
Mein Mann und ich haben eine grosse, psychisch extrem belastende Situation zusammen bestanden. Ich weiss, er wird immer da sein wenn ich ihn brauche. Einfach weil wir schon so eine Situation geschafft haben.
Und wir wissen beide was gesunde Kinder für ein Glück bedeuten. Denn, keiner hat ein Anrecht darauf. Man muss jeden Moment des Glückes nutzen, ausleben und speichern, er kann so schnell vorbei sein.
Und ganz zuletzt schleicht sich der Gedanke ein, hätte ich diese zwei tollen Kinder wenn Sophia ganz normal auf die Welt gekommen wäre?
Ich bin ihr so unendlich dankbar. Für alles was in meinem Leben durch Sophia reicher geworden ist!
Deine Geschichte berührt mich sehr. Wir haben auch sternenkinder, 3 in der 9. SSW und eines in der 14. besonders die Trauer um dieses Kind überrollt mich immer wieder, obwohl es schon 5jahre her ist. Aber wir haben danach noch 2wundervolle Kinder bekommen und ich habe unendlich viele Gründe dankbar zu sein. Alle Kinder sind in Sicherheit und in besten Händen. Herzliche Grüße-Edith
Danke Mama Sophia, dass Du uns an Deiner Geschichte Anteil haben lässt. Soetwas zu durchleben ist wirklich eine absolute Grenzerfahrung und verändert einen nachhaltig!
Ich habe vor vielen Jahren ein Buch gelesen, dass mich total berührt und innerlich tief betroffen gemacht hat. Und während ich diesen Blog-Beitrag gelesen habe, musste ich sofort an dieses Buch denken.
Ich kann hier keinen Link reinkopieren – was mit Sicherheit eine sehr sinnvolle Einstellung ist 🙂
Aber hier der Titel: Der Flug der Lerche; von Sarah Williams.
liebe Grüße
Doro
Solche Geschichten lese ich echt gerne. Weil ich eine ähnliche hatte, und dadurch oft denke, Wow, dir geht es nicht alleine so. Das macht Mut und gibt Kraft. So viele Menschen erleben Fehl- und / oder Totgeburten. Man erfährt es immer erst, wenn es einem selbst so geht.
Eure Sophia! Eure Tochter! Sie lebt in euren Herzen weiter.
Es ist so schön, dass ihr einen Namen für sie habt, sie vielleicht gesehen und sogar berührt habt.
Ich habe vier Kinder verloren, aber es war immer so früh, das wir nicht mal deren Geschlecht wussten. Sie sind namenlos. Im Ultraschall waren es, wenn überhaupt, “Gummibärchen “.
Ich hätte den Kindern gerne Namen gegeben, um mich zu erinnern.
Liebe Grüße
Kate
Oh Kate, das tut mir so leid für dich. Ich hatte auch eine Fehlgeburt in der 9. SSW und wir wussten auch das Geschlecht noch nicht. Aber wir haben uns dennoch für einen neutralen Namen entschieden – Toni. Und das ist ein Grund, weshalb ich diesen Verlust verkraften konnte. Wenn dich das so traurig macht, dann geh doch nochmal in dich, es gibt bestimmt noch mehrere neutrale namen, z.b. Sam oder Chris? Lg Tanja
Ich bewundere wirklich alle Eltern, die mit dem Verlust eines Ungeborenen so umgehen können und keine Wut in sich tragen. Jemand, der mir sehr nahe steht, hat vor kurzem ihr völlig gesundes Kind in der 21.SSW entbunden, niemand weiß warum. Auch sie ist trotzdem voller Dankbarkeit und blickt positiv in die Zukunft.
Eure Geschichte hat mich sehr berührt. Vielen Dank für’s Teilen. Es ist so schön, dass Sophia in deinem Herzen lebt und dein Leben beeinflusst (hat). Wie traurig wäre es sonst… Alles Gute.
Anne
Ich bewundere absolut deine Stärke und dass du trotz dieses unvorstellbaren Schicksalschlags die Kraft zur Dankbarkeit hast.
Sehr sehr gut geschrieben. Mir kommen die Tränen. Ich finde euch echt bemerkenswert und Stark. Ihr seit eine super Familie! Ihr habt den größten Respekt von mir!