Soneas Bruder und ich sitzen im Wartezimmer und warten auf Sonea.
„Mama, warum sind wir eigentlich hier?“
„Weil Sonea einen Logopädie-Termin hat… also Sprachtherapie“
„Hä? Aber Sonea spricht doch gut! Oder lernt sie hier Englisch?“
Ich muss schmunzeln. Das ist wieder so typisch. Typisch für Soneas Bruder, aber auch typisch für uns als Familie. Für uns ist eben alles normal, so wie es ist.
„Na ja, Du und ich verstehen Sonea sehr gut, weil wir jeden Tag mit ihr zusammen sind. Aber Dir ist doch sicherlich auch schon mal aufgefallen, dass andere Menschen sie nicht ganz so gut verstehen?“
Während wir warten, läuft ein kleines Mädchen immer wieder an uns vorbei mit dem Auftrag, Dinge von der Rezeption zu ihrer Logopädin zu bringen.
„Bring mir das Schaf!“.
Das Mädchen stürmt motiviert aus dem Raum raus, an uns vorbei, bleibt stehen und lächelt „Hallo!“, ruft sie und eilt dann weiter. Das wiederholt sich einige Male, immer wieder mit dem Auftrag dieses oder jenes Tier von der Rezeption mitzubringen. Aber bitte leise. Deshalb lässt sie es sich nicht nehmen im Vorbeigehen ein „pssssst!“ mit dem Finger vor dem Mund zu uns rüber zu gestikulieren.
Ich muss wieder kichern. Leise natürlich.
Später im Auto sagt Vincent „Das Mädchen eben war süß, oder Mama?“
„Ja, richtig süß! Ich mag Menschen mit Down-Syndrom!“
„Ich auch Mama.“
Schweigend, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, fahren wir weiter.
Sonea mag ihr Down-Syndrom auch und aktuell nutzt sie es für sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich weiß nicht wie es dazu gekommen ist, aber neuerdings höre ich gerne mal Sätze, wie:
„Wenn jemand Down-Syndrom hat, darf er kein Zucchini essen!“ während sie akribisch die Zucchini Stücke an den Tellerrand des Kichererbseneintopfs schiebt. Sie ist sicherlich kein Kostverächter, aber bei Zucchini hört ihr Appetit dann doch auf.
Oder vergangene Woche, als sie bei der Ferienbetreuung allen mit sehr ernster Miene erklärt hat, dass sie am Mittwoch leider nicht mit ins Museum Ludwig kommen kann, weil dort keine Menschen mit Down-Syndrom erlaubt sind. Grundsätzlich hätte ich es ja gerne darauf ankommen lassen, aber ich weiß eben auch, dass ein Museumsbesuch mit ihr einfach für alle Beteiligten (mit und ohne Down-Syndrom) kein Spaß ist, sofern sie nicht ständig Dinge ausprobieren, sich frei bewegen und Knöpfe drücken kann (dazu folgt übrigens in Kürze noch ein separater Beitrag).
Grundsätzlich findet Sonea es aktuell also ziemlich cool das Down-Syndrom zu haben. Wir dafür weniger. Nicht wegen des Down-Syndroms per se, sondern wegen der neuen Herausforderungen, die es aktuell mit sich bringt.
Das Down-Syndrom ist nicht das Problem, sondern unsere Gesellschaft. Das haben mir vor einigen Monaten die Diskussionen um den Bluttest wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Wer weiß welche Einstellung ich dazu hätte, würde es Sonea nicht geben. Aber zum Glück gibt es sie!
Sorgen bereitet uns aber vor allem die inklusive Schulplatzsuche, die uns nach fünf Jahren erneut auf die Probe stellt und die Erkenntnis, dass sich in den fünf Jahren nicht wirklich was hinsichtlich und zugunsten der Inklusion geändert hat.
Und dann klopft die Pubertät hier an. Ziemlich holperig sogar.
Das eine Kind in der Vorpubertät, das andere in der Wackelzahnpubertät und so bleibt es erst einmal die nächsten 10 Jahre.
Hallelujah!
Ich könnte Euch von zwei Kindern schreiben, die sich gerade ständig über Nichtigkeiten zoffen. Sonea weiß allerdings auch zu gut welche Knöpfe sie drücken muss, um ihren Bruder zu provozieren. Er ist aber umgekehrt so hochexplosiv und springt auf jeden winzigen Funken an.
Also plüschig ist es hier gerade wahrlich nicht. Aber es gibt eben auch viele Momente – und wenn ich darüber länger nachdenke, überwiegen sie eigentlich auch – in diesen Momenten sind die beiden ein starkes Team. Sie tun sich beide gegenseitig gut, ohne es selbst zu merken. Der eine zieht den anderen mit und jeder nimmt den anderen mit in seine Welt. Mal ist sie voller Zauberwesen und mal ist sie geprägt von Superhelden. Diese Mischung aus beidem ist unschlagbar.
So anstrengend es manchmal sein kann, weil diese Stimmungsschwankungen so plötzlich und fast unverhofft kommen, Und außerdem eben immer dann, wenn man gerade entspannt denkt „Nä, wat is dat schön!“, kommt aus dem Off ein lautes und wütendes Geschrei. Ich habe so oft ein Deja vu, schließlich habe ich selbst zwei Geschwister, aber es bringt einfach nichts immer wieder zu erklären „Ignorier es einfach, dann hört sie auf!“.
Mittelfinger zeigen ist eben kein Kavaliersdelikt. Und nicht richtig böse schimpfen, weil man nicht beurteilen kann, ob es wirklich so gewesen ist, auch nicht. Genau so wenig wie auf „Du blöde Idioten-Mama“ Schulter zuckend den Raum zu verlassen, mit den Worten „Wenn ich die blöde Idioten-Mama bin, wer ist denn dann der Idiot?…“
Nun ja, am Ende sind sie immer sauer auf mich, obwohl ich gar nicht angefangen habe.
Ach, Katharina, das kommt mir so bekannt vor. Vor allem der Satz am Ende, dass sie letztendlich doch immer alle böse auf mich sind. Ich trinke einen Solidaritäts-Latte-Macchiato mit dir. Und genieße meine Ruhe, obwohl hier gerade sechs Kinder durchs Haus toben, von denen 4 Verstecken spielen und eines versucht, seine frisch rosa sprühgefärbten Haare loszuwerden, mit denen es trotz meiner Warnung in den Regen geraten ist ist. Jetzt ist auch sein Gesicht pink….
Und manchmal wäre ich so gern wieder nur die Beste-Mama-der-Welt, das war schöner, als die Arschloch-Mami zu sein, die man jetzt immer mal wieder sein muss.
Ich drück dich.
Ich lese so gerne von euch , weil es mich immer wieder ein Stück an unseren Alltag erinnert. Mein autistischer Sohn ist gerade 10 geworden und der Kleine wird bald 7. Auch ich kenne das mit der Logopädie sehr gut;-). Der Kleine kann richtig wütend werden , wenn man behauptet, dass sein grosser Bruder vielleicht noch etwas Hilfe braucht, auch wenn sie sich ansonsten streiten können wie die Kesselflicker… so anstrengend das ist, ist dies aber ja eigentlich ein Symbol dafür , dass sie sich auf Augenhöhe begegnen, auch wenn die Kleinen -spätestens bei Schulbeginn- merken , dass sie wohl Dinge leichter erfassen. Ich sage oft , dass ich froh bin , dass der Grosse jetzt schon in der 4. Klasse ist und der Kleine gerade eingeschult. Da wird der Unterschied nicht so schnell so spürbar.
Dementsprechend bin ich aber auch in der Situation mich jetzt mit der nächsten Schule befassen zu müssen. Ich hatte bisher grosses Glück : wie wohnen recht ländlich und so umfasst die Grundschule insgesamt nur 100 Schüler. Mein Gefühl sagt mir , dass das einiges leichter gemacht hat. Der Grosse hatte so , so viele Möglichkeiten und wurde auch von der Handvoll Lehrer so angenommen und „erkannt“ wie er tickt. Es gab ganz ohne I-Helfer sehr viele Schlupflöcher. Manchmal denke ich , dass es einfacher wäre , wenn wir noch ländlicher wohnen würden. Sind gerade im tiefsten Schwarzwald und da sitzen 6 Kinder in der 1. Klasse. Wäre dies so möglich, bräuchte man über viele Aspekte der Inklusion nicht reden. Was mich einfach auch ärgert bei der ganzen Inklusionsdebatte ist , dass für mich das Wesen der Inklusion gar nicht erkannt wird. Es geht doch gar nicht nur darum, dass netterweise ein Plätzchen für die I-Kinder geschaffen wird , sondern schlicht und ergreifend darum , zu erkennen , dass wir den falschen Weg eingeschlagen haben , indem wir behaupten, dass alle Kinder gleich funktionieren müssen und alle im selben Tempo. Davon müssen wir weg für alle und von der Denkweise, dass nur das Abitur ein guter Schulabschluss ist.
Mein Grosser wird hier wohl auf eine Gesamtschule gehen, weil mein Bauchgefühl (noch) meint , dass dies die Schule ist , die am wenigsten Druck erzeugt , wo fast alles möglich ist und hier die besondere Situation, dass 5.bis 7. Klasse ein separates Gebäude haben.
Ich kann dir trotzdem nichts raten , nur etwas mit auf den Weg geben , was ich mittlerweile als Mantra betrachte: es wird weitergehen. Vielleicht ist eine Entscheidung mal grundfalsch,aber dann war es eben ein Umweg. Es wird immer weitergehen und unsere Kinder werden uns immer überraschen. Viele Wege führen heute nach Rom…wo auch immer Rom.ist. Es wird immer selbst mit schmerzhaften Entscheidungen gut weiter gehen , wenn wir bei allen Kindern darauf achten , dass sie wissen , was sie wert sind. .
.unabhängig von Noten und Schulabschlüsse, auch wenn wir dabei Haare lassen.
Viel Glück!
Du sprichst mir total aus dem Herzen. Wir brauchen einfach mehr Individualität. Nicht jedes Kind lernt gleich und deshalb brauchen wir auch die Inklusion und die Vielfalt, um diesem starren Schulsystem die Stirn zu bieten und zu zeigen, dass andere Wege auch nach Rom führen (und noch dazu sehr Lebensbereichernd sein können).
Entschuldige, ich muss ein wenig schmunzeln. Du hast so einen herrlichen schreibstil und ich lese so gerne von eurem Alltag.
Sonea ist ganz schön witzig und schlau. Man kann es ja mal probieren 😉
Und wie gut, dass wir Mütter immer einiges aushalten.
Wegen der neuen Schule drücke ich die Daumen. Ich hoffe so sehr, dass sich eine gute Lösung findet.
LG Tanja
Wundervoll geschrieben und ich würde so gerne einen Tag mal mit euch erleben!