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Mein Leben mit dem Besonderen #88 Depressionen

Heute habe ich mich endlich aufgerafft um meine Geschichte zum Leben mit dem besonderen aufzuschreiben. Auch wenn ich mir nicht wirklich sicher bin ob mein Leben so besonders ist. Den eigentlich ist mein Leben ganz normal, ich fühle weder mich besonders, noch mein Leben…
Erzählen möchte ich von meiner Familie. Mein Mann ist depressiv. Genau jetzt ist der Moment wo betretenes Schweigen einsetzt, wenn man einem Menschen davon erzählt. Depressionen gehören zu den Krankheiten welche in der Gesellschaft noch immer versucht werden zu verheimlichen. 
Denn schließlich ist es ja eine „Kopfmacke“ und wer gibt schon gerne zu, dass er im Kopf „nicht ganz richtig“ ist. 
Das macht mich sauer, denn das führt dazu, dass sich Betroffene erst viel zu spät ihr Problem eingestehen. Sich keine Hilfe suchen oder erst so spät. Dabei könnten sie sich viel ersparen, wenn sie sich gleich Hilfe gesucht hätten. 
Warum ich das schreibe, weil sich vorige Woche der Bruder meines Mannes zweimal versucht hat das Leben zu nehmen. Beide Male konnte er gerettet werden. 
Bis heute sieht er aber nicht ein das er an Depressionen leidet, das kann und darf nicht sein… 
Als ich von den Selbstmordversuchen erfahren habe, musste ich wieder ca. vier Jahre zurück denken.
Vor vier Jahren hat mein Mann seinen persönlichen Tiefpunkt gehabt. 
Er hatte schon immer Phasen wo es ihm nicht gut ging. Phasen, in denen er sich und sein Leben nicht mochte und alles scheiße war. Doch diese Phasen vergingen immer wieder. Es ließ sich halbwegs damit leben, ohne sich eine Depression eingestehen zu müssen. Doch mit der Zeit wurden die negativen Phasen immer länger und die Gefühlslage immer schlimmer. 
Ich weiß nicht wie es sich anfühlt, denn ich bin gesund. Aber eins weiß ich: wie es ist, die Ehefrau eines Mannes zu sein, der depressiv ist. Sich immer Sorgen zu machen und ständig in Angst leben zu müssen, dass der Mensch, den man über alles liebt, sich umbringen könnte.
Vor rund vier Jahren war es dann soweit: mein Mann hatte seinen persönlichen Tiefpunkt und war mehr als einmal kurz davor sein Leben zu beenden. Es wäre einfach gewesen. Er war zur damaligen Zeit LKW Fahrer… Sich totfahren, im Führerhaus die Pulsadern aufschneiden, oder, oder, oder… Es gibt unzählige Horrorszenarien, welche ich mir in der Zeit ausmalte. 
Kurz bevor eins dieser Szenarien Wirklichkeit werden konnte, zog mein Mann die Notbremse. Er sah endlich ein, dass das so nicht normal ist.
Jetzt ging allerdings erst das Problem los, eine/n Arzt/Ärztin finden. Ärzte gibt es einige, nur keiner hatte freie Termine, jedenfalls nicht zeitnah. 
Nur lief meinem Mann die Zeit davon, er konnte kein halbes Jahr mehr warten. 
Schließlich hat er eine Ärztin gefunden, welche ihm einen Termin geben konnte, zwar 1 1/2 h mit dem Auto entfernt von unserem Wohnort, aber egal, Hauptsache Hilfe.
Mittlerweile nimmt mein Mann Antidepressiva Medikamente, ohne wird er vermutlich nie wieder leben können. Aber sein Leben ist wieder lebenswert geworden. Er ist kein emotionsloser Zombie, er hat nach wie vor Höhen und Tiefen, nur sind diese nicht mehr so ausgeprägt. Es gibt keinen Drang mehr sich umzubringen. 
Ich kann wieder beruhigt schlafen und ein Leben ohne Angst um meinen Mann führen.
Wir gehen beide mit seiner Krankheit sehr offen um, erzählen es. All unsere Freunde, Familie und Arbeitskollegen wissen Bescheid. Es sollte einfach kein Tabu mehr sein. 
Das ist meine Geschichte. Ich würde mich freuen, wenn sie auf deinem Blog erscheint. In der Hoffnung, dass sich Betroffene schneller Hilfe suchen und es irgendwann mal nicht mehr verpönt und verschwiegen wird.

10 Kommentare

  1. Anna sagt

    Ich wollte auch gerne meine Geschichte schicken. Aber der Link funktioniert nicht. Ich habe deine Rubrik Leben mit Besonderem in einem Zug verschlungen. ich warte auf eine Antwort von dir, wie wie es machen können.

  2. Katrin sagt

    Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Ich kann voll und ganz nachvollziehen, was die Krankheit für eure Familie bedeutet. Ich habe tatsächlich gerade letzte Woche darüber nachgedacht, unsere Geschichte auch hier zu teilen: Auch mein Mann kämpft seit 4 Jahren gegen eine Depression. Bei ihm steht in diesem Jahr allerdings ein Klinikaufenthalt und in dem Zuge hoffentlich eine Veränderung/Verbesserung an. Vielleicht schreibe ich danach auch darüber.

    Euch wünsche ich alles Gute!

    • Ich würde mich sehr über Eure Geschichte freuen. Ich finde dieses Thema sehr wichtig und auch, wenn es gerade einen Beitrag dazu gibt, denke ich, dass jede Geschichte sich von der anderen unterscheidet.

      Liebe Grüße
      Katharina

  3. Bettina sagt

    Hallo,
    danke für Deinen offenen Bericht! Mir gehen gerade so viele Gedanken durch den Kopf und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich kenne Deine Situation so gut. Mein Mann war ebenfalls jahrelang, man kann schon fast jahrzehntelang sagen, depressiv. Wir kennen uns bereits seit ca. 20 Jahren (aus der Schulzeit) und als wir uns wiedergetroffen hatten und schlussendlich zusammengekommen sind, war mein Mann schwer depressiv und hatte gerade eben eine Verhaltenstherapie mit der Einnahme von Antidepressiva begonnen. Ein langer und schwerer Weg lag vor uns. Mein Mann hatte Jahre hinter sich, in denen er nur nachts lebte und seine sämtlichen Pflichten und Aufgaben vernachlässigte, sprich sein Leben lag im Dunkeln. Ich war unglaublich froh, dass er seine Krankheit als solches erkannte und auch etwas dagegen tun wollte. Aber so einfach war es natürlich nicht. 8 Jahre schwere Depression lassen sich nicht in einem Jahr Therapie einfach wegwischen. Ich habe immer versucht, Verständnis für ihn aufzubringen, habe viel gelesen, aber es war immer wieder unglaublich schwer für mich, seine zeitweise Lethargie, sein Aufschiebeverhalten, seine Energielosigkeit auszuhalten. Es entstanden dadurch oft sehr unangenehme Situationen. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal an dem Punkt stand, an dem ich sagte, entweder Du machst jetzt eine stationäre Therapie oder ich trenne mich von Dir. Das war hart aber ich war an meine Grenzen gestoßen. Mich quälten die Fragen, ob es jemals besser werden würde, ob er in der Lage sei, mit mir die von mir so sehnlichst gewünschte Familie zu gründen etc. Besonders schlimm war es, wenn gemeinsam mit dem Therapeuten versucht wurde, die Medikation auslaufen zu lassen und er wieder tief in seine Depression stürzte. Doch schrittweise, ganz langsam, im Laufe von Jahren wurde es besser. Wir heirateten nach 4 Jahren Beziehung und kurz vor der Hochzeit erzählte mir mein Mann, dass er bereits seit 4 Wochen keine Medikamente mehr nähme! Und es war nichts zu merken! Und jetzt? Inzwischen haben wir zwei Kinder, mein Mann ist therapie- und medikamentenfrei, ist lebenslustig, kann seine Verantwortung übernehmen, auch wenn er natürlich aufpassen muss, nicht wieder in diese fiese Depressionsspirale zu geraten. Aber ich weiß, dass er es mit viel Anstrengung und Arbeit an sich selbst geschafft hat, wieder gesund zu werden. Ich hoffe, meine Geschichte macht Dir Mut! Wir haben die Depression auch nie verschwiegen und sind oft gegen eine Mauer gelaufen, aber all das war es wert. Aber sowas von ;)! Ich wünsch Euch nur das Beste! Bettina

  4. Mara sagt

    Danke für deinen Beitrag! Ich (20 Jahre, Studentin) kämpfe auch seit ca. meinem 14. Lebensjahr gegen Depressionen und weiß, was das heißt. Meine Lehrer haben mich in meiner Schulzeit nie ernst genommen, meine Kameraden noch weniger. Aber das fing schon lange vorher an, nachdem ich eine Klasse übersprungen hatte. Ich war einfach immer viel erwachsener und ernster als alle anderen. Nur wenige Leute haben sich die Mühe gemacht, mich richtig kennenzulernen. Trotzdem hatte ich immer 1-2 gute Freunde. Heute spreche ich mit meinen Freundinnen von der Uni offen über meine schwierige Zeit. Das tut so gut. Viele fassen Vertrauen und kommen mit Problemen zu mir, weil sie wissen, dass ich in vielen Bereichen einfach mehr Lebenserfahrung habe. Immer noch habe ich depressive Phasen, aber ich habe gelernt, sie zu akzeptieren. Obwohl ich in solchen Momenten manchmal nicht mehr leben möchte, schaffe ich es immer irgendwie wieder raus und erinnere mich an glückliche Momenten. Und weiß, dass ich noch mehr davon erleben möchte!

  5. Annika sagt

    Ich wünsche euch beiden viele sorgenfreie Momente und nie wieder so ein Tief!

    Ich finde es auch immer traurig, dass es so viele Tabu-Themen in der Gesellschaft gibt! Alles ist unangenehm, peinlich, „nicht normal“ …. ich finde, es wird erst durch unseren gehemmten Umgang damit zu einem wirklichem Problem (weil dadurch u.a. oft nicht schnell genug und adäquat geholfen werden kann)!

    Liebe Grüße von Annika

  6. Ich wünsche dir ganz viel Kraft und hoffentlich nie ein solches Ende für deinen Mann. Die Krankheit ist tückisch, meines Erachtens nicht heilbar, aber sicher mit Medikamenten gut in den Griff zu bekommen. Das wichtigste hat dein Mann schon gewonnen, dich als Partnerin mit Verständnis und die Erkenntnis, dass er überhaupt ein Problem hat.

    Eine Freundin von mir hatte sich vor 10 Jahren auch die Pulsadern aufgeschnitten, damals habe ich sie wochenlang in der Psychatrie und dann zu Hause begleitet, mich gekümmert, sie gewaschen, die Haare gekämmt und oft angeschrien, sie solle sich für ihr Kind doch bitte etwas bemühen. Ich weiß, wie es dir geht und ziehe meinen Hut, dass du die Frau an seiner Seite bleibst! Das ist alles andere als ein Spaziergang. Leider hat sie sich später nicht mehr an die Medikation gehalten, einfach immer wieder Medikamente nicht genommen und letztlich den Kampf verloren. Sie hat es geschafft und nun ist sie erlöst, erlöst von den bösen Geistern, die in ihrem Kopf waren, erlöst von all dem, was ihr so viel Angst und Mühe bereitet hat. Das können viele nicht verstehen, weil, wie du schon sagst, sie eine Depression nicht als Krankheit akzeptieren wollen, doch ich kann es nachvollziehen, dass sie diesen Schritt gegangen ist und hoffe, sie ist nun an einem besseren Ort, an dem sie glücklich ist und ihren Frieden gefunden hat.

    Alles Liebe dir und deiner Familie!

  7. Martina sagt

    Danke für deinen Bericht.

    Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man offen dazu steht, „kriechen plötzlich alle aus ihren Löchern“. Ich habe – auch wegen Depression – als Studentin eine Therapie gemacht und war sehr erstaunt, wieviele plötzlich in meinem Bekanntenkreis auch eine machten 😉
    Bei mir war (und ist) es eine reaktive Depression, also jeweils mit konkreten Auslösern (z.B. Prüfungen), allerdings nie mit Suizidgedanken. Die Therapie hat mir geholfen, depressive Phasen schneller zu erkennen und Mit bestimmtem Verhalten gegenzusteuern. Meist hilft das gut. Und wenn nicht, weiß ich, dass mir Serotoninwiederaufnahmehemmer helfen, wieder stabil genug zu werden, bis der auslösende Grund vorbei oder zumindest „aushaltbar“ geworden ist. Medikamente sind meiner Meinung nach absolut okay – es würde ja auch niemand einem Gichtkranken oder so seine Medikamente vorenthalten.

    Ätzend finde ich auch die berufliche Stigmatisierung. Viele meiner Mitstudenten haben trotz Depression keine Therapie gemacht, weil sie dann nicht verbeamtet werden. Wie bekloppt.

    Ich wünsche euch, dass dein Mann soweit stabil bleibt, dass keine Suizidgefahr besteht. Und dass ihr immer besser lernt, damit umzugehen und möglichst frühzeitig gegen Tiefs gegensteuern könnt. Genießt die Hochs 😀

    Liebe Grüße

    Martina

  8. Ute Heinelt sagt

    Danke, dass du hier über die Depressionen deines Mannes schriebst. Ich selber leide seit ein paar Jahren unter Depressionen und kann nur bestätigen, dass die Umwelt und auch die Familie nur schwer damit umgehen kann. Es wurde bei mir oft als schlechte Laune und, und, abgetan. Ich habe mich dann immer mehr in mein Schneckenhaus zurück gezogen. Zum Glück habe ich eine sehr gute Ärztin mit der ich es geschafft habe damit zu leben, darüber zu sprechen und ich kann sagen, es geht mir jetzt gut.

  9. Ani lorak sagt

    Danke für das Teilen und Respekt, dass Dein Mann ew einfesteht und dass er offen damit umgeht. Wenn man es laut ausspricht, ist es wahr und deshalb schweigen wir oft. Was selten richtig ist. In meiner Familie wird viel geschwiegen und daher kenne ich es. Ich wünsche, dass Dein Mann stabil und mit der Depression leben kann, dass Ihr glücklich seid, Du keine Ängste ausstehen musst. Alles Gute.

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