Allgemein, Mein Leben mit dem Besonderen

Mein Leben mit dem Besonderen #82 Luna

Diagnosen:

  1. unklarer Symptomenkomplex mit Mikrocephalie, Epilepsie mit nicht klassifizierbaren Anfällen, CSWS-Syndrom (Epileptischer Status), Innenohrschwerhörigkeit bds, Wachstumshormonmangel mit Kleinwuchs
  2. frühkindlicher Autismus
  3. ADHS
  4. deutliche Intelligenzminderung
  5. kombinierter Entwicklungsrückstand
  6. Leukopenie unklarer Ursache

Luna kann nicht sprechen, sich nicht allein an-und ausziehen, muss gefüttert werden, braucht Windeln und ist auf ständige Hilfe und Betreuung angewiesen.

In einer kalten Januarnacht hat Luna beschlossen, dass dies der richtige Moment ist, um uns kennen zu lernen. Sie hat uns überrascht, eigentlich hatte sie noch ein bisschen Zeit – aber da war sie: klein, zerbrechlich und wunderschön. Ich musste sie ständig anschauen und war völlig überwältigt von ihr.

Beim Hörscreening fiel auf, dass Luna nicht richtig hören kann. Egal, dachte ich, dann bekommt sie eben Hörgeräte.

Die Zeit mit Luna war anstrengend und irgendwie nicht so, wie ich mir die Tage mit einem Baby vorgestellt habe. Luna hat ganz schlecht geschlafen, sie wollte nur auf meinem Arm sein, unsere Nächte haben wir sitzend im Schaukelstuhl verbracht. Und dann hatte Luna immer wieder komische Phasen, die ich nicht einordnen konnte. Sie schrie ganz merkwürdig, war ganz steif und überstreckt wie eine Banane. Der Kinderarzt meinte, es ist alles ok. Sie entwickelte sich auch langsamer als andere Babys. Die Ärzte haben dies auf die Schwerhörigkeit geschoben, Luna bräuchte einfach viel Zeit. Ich habe den Ärzten vertraut, auch wenn ich tief in mir drin etwas anderes fühlte…

Als Luna 1 ¾ Jahre war, hat sie eine kleine Schwester bekommen. Kurz darauf hatte Luna ihr erstes EEG wegen der Schlafstörungen. Luna konnte noch nicht sprechen, war zu klein und konnte nur mit Hilfe laufen.

Im EEG hat man einen Epileptischen Status im Schlaf festgestellt, d.h. das Gehirn entlädt sich während der ganzen Schlafzeit. Was dies für Luna bedeutet, habe ich erst viel später realisiert. Luna hat verschiedene Medikamente bekommen, die aber nicht angeschlagen haben. Ihr ging es inzwischen sehr schlecht. Sie zitterte, als hätte sie Parkinson, sie ist ständig umgefallen, weinte viel und war aggressiv – zu sich selbst und zu anderen. Irgendwann ist sie einfach zusammen gebrochen und konnte nicht mehr stehen und laufen. Wir waren so hilflos, weil wir nichts für sie tun konnten. Ich stellte Luna in einem Epilepsiezentrum vor, dort wurden wir auch sofort stationär aufgenommen. Ich bin dieser Klinik heute immer noch sehr dankbar. Die Ärzte sagten mir damals, dass sie es nicht schaffen werden Luna gesund zu machen, aber sie werden alles versuchen. Ich war ein bisschen verwirrt, ich war bis dahin davon überzeugt, dass Luna einmal völlig gesund sein wird. Es folgten viele Untersuchungen, viele Medikamente wurden ausgetestet, aber Luna ging es nicht besser.

Wir wohnten mittlerweile im Krankenhaus. Mein Mann besuchte uns mit Livia immer am Wochenende. Und so sehr ich mich darauf freute, so war es mir immer zuviel, wenn wir zusammen waren. Livia war noch zu klein, um die Situation zu verstehen, für sie war das immer ein Spaß. Für Luna waren die Besuche einfach nur Stress, genauso wie die kurze Zeit, die wir zwischen den Aufenthalten zu Hause waren. Ich wollte nur, dass es Luna gut geht. Gleichzeitig hatte ich Livia gegenüber ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich nicht genug bei ihr sein konnte. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Und dann kam der Moment als ich keine Kraft mehr hatte, nicht für mich und nicht für meine Kinder.  Die Klinikärzte haben mich damals nach Hause geschickt, weil ich Luna in diesem Zustand nicht mehr gut tue. Ich habe mich in meinem Leben noch nie so schlecht gefühlt, ich hatte das Gefühl völlig versagt zu haben.

Livia besuchte inzwischen den Kindergarten und lebte sich da voll aus. Wir versuchten ihr alles zu ermöglichen, damit sie unter dieser Situation nicht so leidet.

Bei Luna haben es die ganzen Medikamente nicht geschafft, den epileptischen Status zu durchbrechen. Die Ärzte hatten eine winzige Hoffnung, dass dies mit einer hochdosierten Cortisontherapie vielleicht gelingen könnte.  Eine 1% Chance hatte Luna, eine 1% Chance auf ein bisschen Normalität. Die Therapie dauerte 6 Monate. In den ersten Wochen traten so viele Nebenwirkungen auf, dass ich am liebsten alles abgebrochen hätte. Aber Luna hat ihre Chance genutzt! Der Status war weg! Luna war wie ausgewechselt, sie war fröhlich, lachte viel und fing endlich an, zu sprechen.

Mir fiel es schwer mich zu freuen, wir sind schon zu oft enttäuscht worden. Nach einigen Monaten sind die Anfälle wieder gekommen, Luna ging mit ihrer Entwicklung wieder zurück, viel Gelerntes hat sie wieder vergessen, auch das Sprechen. Luna bekam wieder neue Medikamente und wir waren wieder in der Klinik. Aber diesmal haben wir die Wochenenden besser genutzt, wir haben kleine Ausflüge gemacht und haben die ruhigen Momente genossen.

Luna macht seit ihrer Geburt immer kleine Schritte nach vorn, und dann wird sie aus ungeklärten Gründen immer wieder zurück geworfen. Wir leben ständig mit dem Gedanken, dass Luna immer wieder Fähigkeiten verlernt. Und je älter sie wird, desto weniger kommt von dem Gelernten zurück. Unsere Ärzte haben keine Erklärung dafür.

Luna hat unheimlich viel Energie, sie ist ständig in Bewegung und bleibt keine Sekunde ruhig. Essen, Anziehen – alles machen wir im Laufen und Rennen. Wir haben unser Haus komplett auf Luna eingestellt, sie hat Platz um sich aus zu toben, alles Unnötige haben wir weggeräumt, damit sie nicht gleich überfordert ist.

Zur Zeit geht es Luna, dank ihrer Medikament, gut. Livia ist völlig gesund, wir sind oft überwältigt und erstaunt zu sehen, wie sich ein gesundes Kind entwickelt.

Wir haben über die Jahre unser Leben für unsere Kinder umgestellt, wir haben viel gelacht und geweint, wir haben gehofft und sind wieder enttäuscht worden, wir haben uns gestritten und haben immer wieder gemerkt, wie sehr wir uns als Familie brauchen. Und wir haben gelernt, die schönen und ruhigen Momente ausgiebig zu nutzen und zu genießen.

Luna ist jetzt 8 ¾ Jahre und seit kurzem umarmt sie mich aktiv, von ganz allein. Sie klammert sich an mir fest und sagt „Mam“. In diesen Momenten weiß ich, dass sich all die Jahre gelohnt haben und das alles perfekt ist, so wie es ist.

Wir haben immer noch keine Diagnose, wissen die Grunderkrankung nicht und haben keine Prognose. Wir leben von Tag zu Tag, unser Handeln wird immer von Luna`s Zustand bestimmt. Aber es ist in Ordnung so wie es ist, es ist unser Leben-ist es anders? Ich weiss es nicht, für uns ist es ganz normal.

Über eine Studie, die von einer Stiftung finanziert wird, werden die Untersuchungen durchgeführt, deren Kostenübernahme die Krankenkasse abgelehnt hat. Luna wird davon nicht gesund, aber vielleicht helfen die Erkenntnisse einem anderen Kind.

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4 Kommentare

  1. Kerstin sagt

    Vielen Dank für deinen tollen Bericht. Ich wünsche deiner wunderschönen Prinzessin ein wunderbares Leben in genau der richtigen Familie und der Schwester (due bestimmt genauso hübsch ist) natürlich auch.
    LG Kerstin

  2. Saskia sagt

    PUh, ich bin echt beeindruckt. In deinen Worten liegt so viel Liebe, Hingabe und Altruismus. Danke für den kleinen Einblick. Alles Gute, viel Kraft und mehr Neues als wieder Vergessenes, mehr gute Momente als Rückschläge.

  3. Petra sagt

    die Geschichte zeigt jeder Mensch ist einmalig. Und jeder Mensch ist gleich viel wert. Ich weiß wovon ich rede, ich arbeite seit über dreißig Jahren mit Erwachsenen behinderten Menschen und Kindern. LG Petra

  4. radattel sagt

    Ich bin manchmal wie geplättet von den Lebensgeschichten hier, in deiner für mich sehr wertvollen Rubrik Leben mit dem Besonderen. Diese vielen beeindruckenden Geschichten von Liebe, Hoffnung, Geduld, Kraft, oftmals unvorstellbar und trotzdem unglaublich bereichernd. Danke, dafür, dass Du deinen Blog dafür öffnest, danke, allen die ein Stück von ihrem Leben zeigen. Ich wünsche von Herzen ganz viel Kraft und Hoffnung…alles Gute, marit

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