Es gibt wenige Termine im Jahr, die sofort nach ihrem Erscheinen fest und unverrückbar geblockt werden. Einer davon ist die jährliche Theateraufführung meines „kleinen“ Bruders Nils (32), den ihr in meinem letzten Beitrag schon kennengelernt habt. Das ist zwar seit Jahren so und ich bin auch noch nie zu spät gekommen, aber das heißt natürlich nicht, dass ich nicht deutlich und mehrfach erinnert werde. In diesem Jahr zuletzt einige Tage vor dem großen Auftritt – mitten in der Nacht, schlafend im Hotelbett mit (böser Fehler) dem Handy als Wecker neben mir. Facebooknachrichten machen so einen fiesen „pling“-Ton, mehrere hintereinander wecken einen recht effektiv. Ich gebe zu, meine Antwort war nur bedingt nett. Aber hey – Schwestern dürfen das und selbstredend war ich pünktlich da 😉
Nils lebt in einer Wohngruppe der Lebenshilfe und die liegt in direkter Nachbarschaft zum örtlichen Gymnasium. Schon zum dritten Mal stand nun Ende Juni die gemeinsame Theateraufführung in der Schulaula an. Verschiedene Schülergruppen waren an den Vorbereitungen beteiligt: das Theaterstück wurde von Schülern und Bewohnern der Lebenshilfe gemeinsam entwickelt, das Bühnenbild und die Requisiten erstellt, die Technik AG unterstützte bei der Technik, die Film AG erstellte einen Mitschnitt der Veranstaltung.. Bei den Requisiten half in diesem Jahr außerdem die Kunstschule Noa Noa mit tollen Ergebnissen.
Nils spielt schon lange Theater. Auch in der Vergangenheit gab es liebevoll gestaltete Theaterstücke, in denen Schauspieler mit Behinderung eine tolle Show geliefert haben! Normalerweise waren es aber rein von Profis begleitete Stücke und der Zuschauerkreis bestand überwiegend aus Menschen, die ohnehin bereits Berührung mit Menschen mit Behinderungen hatten. Das ist hier anders. Schüler der Oberstufe spielen mit den Bewohnern der Lebenshilfe und die Zuschauer sind bunt gemischt.
Bei der ersten Aufführung in dieser Zusammensetzung 2013 glänzte Nils in der Hauptrolle des Kapitäns, der das verschwundene Meer (und die ebenfalls verschwundene Meerjungfrau) suchte. Für die Jahre danach heißt das natürlich Nebenrollen, denn jeder darf mal eine große Rolle übernehmen und – wie mir Nils gern erklärt – jede Rolle ist wichtig!
Die Story in diesem Jahr drehte sich um die etwas andere Liebesgeschichte von Romeo und Julia, die eine Reise in die Berge und ans Meer unternahmen und am Ende stand der angenommene Heiratsantrag. Nils spielte den Teilnehmer einer Gruppe Skifahrer mit einem frechen Spruch, der den Saal zum gröhlen brachte. Etwas Mitleid hatte ich ja mit ihm bei der Hitze in Jacke und Mütze, aber ein echter Schauspieler beklagt sich da natürlich nicht.
Eine Besonderheit entwickelt sich über die Jahre immer weiter und das ist die Einbeziehung des Publikums in das Stück. In diesem Jahr fuhr die (rollitaugliche) Eisenbahn einmal um die Zuschauer, es regnete Schnee, Konfetti und Wasserbälle, Eis wurde (zur Begeisterung der Kinder) verteilt, der Lokführerstreik ergriff den ganzen Saal und zwei Schiffe fuhren per Stage Diving über das Meer der Zuschauer.
Das Schöne daran: alle machen mit! Politiker, Eltern, Geschwister, Freunde – die Stimmung ist fröhlich und alle lassen sich anstecken. Das spricht sich auch langsam herum, in diesem Jahr wurden schon fast 200 Zuschauer gezählt. Kommt doch auch mal vorbei? Der Termin wird auf der Homepage der Lebenshilfe Springe veröffentlicht.
Im Anschluss gibt es jedes Jahr noch die Einladung zum Tag der offenen Tür der Lebenshilfe mit „rüber“ zu kommen. Dort wird dann gegrillt, es gibt Kuchen, (meistens) Sonne, Getränke und einen netten Ausklang des Tages. Alles gegen eine freiwillige Spende, jeder zahlt was er mag und kann.
Und für mich ist es ganz nebenbei DIE Gelegenheit ein paar Fotos zu schießen und das Problem des im September anstehenden Geburtstags meines Brüderchens zu lösen. Denn eins steht fest: Der Familiengrundsatz „Erwachsene schenken sich nichts“ zählt in diesem Fall nicht 😉
Oh, das hört sich ja ganz toll an, ich glaube, ich bin beim nächsten Mal auch dabei!!!
Zumal es bei mir ja gleich umme Ecke ist.
LG, Gudrun
Kürzlich sah ich im Fernsehn eine Sendung über verschiedene Bäckereien die ihren abendlichen Überschuß an Backwaren unterschiedlich entsorgten. Beeindruckt hat mich ein Betrieb, der Semmelknödel aus seinen übriggebliebenen Brötchen herstellte. Menschen mit Handicap formten und verpackten die hergestellten Knödel und brachten ihre Ideen für neue Knödel mit ein. Jeder von Ihnen machte einen glücklichen Eindruck. Ein gutes Produkt herzustellen in einem normalen Betrieb, gebraucht zu werden, nach seinen Fähigkeiten zu arbeiten ohne Zeitdruck und ein gutes Betriebsklima kann ja auch nur glücklich machen. So ähnlich ist es warscheinlich mit der Schule und der Lebenshilfe bei diesem Theaterstück. Menschen mit und ohne Behinderung machen etwas gemeinsam. Für alle eine Bereicherung. Inge Knodel
Ich finde das ganz wundervoll, es gibt den Menschen mit dem Besonderen dieselbe Aufmerksamkeit wie jedem anderen auch. Hier bei uns in der Dorfgemeinschaft Lautenbach wird das auch gemacht und die Musikkapelle von Lautenbach ist auch sehr bekannt und viel unterwegs. Ich erlebe diese Menschen jeden Tag, finde es eine wahnsinnige Bereicherung für unser Leben, zu sehen, dass man glücklich durch den Tag gehen kann, auch wenn man eine Sonderausstattung hat.
LG Katrin