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Mein Leben mit dem Besonderen #23 Das Leben mit dem Tod beginnen

Ich weiß eigentlich noch gar nicht so recht, wie ich diesen Text beginnen soll. So ging es mir auch am Anfang meiner „Diagnose“. Wie darüber reden? Es war Stille. Und oftmals flossen Tränen. Deshalb beginne ich ganz von vorne.

Eine Woche nach meinem schriftlichen Abitur. Im Frühling 2012. Schwanger. Nach drei Monaten Beziehung. Trotz Verhütung. Und ich habe mich gefreut. Meine Mama hat sich gefreut. Mein Mann fing an sich darauf zu freuen. Vor allem als wir sahen, wie das Herz schlug und es später auch hören konnten. Wir wussten, dass es nicht einfach werden würde. Mit knappen 19 bzw. 20 Jahren hat man viele Pläne und Träume. Die gaben wir teilweise auf und bauten uns ein Nest. Eigentlich wäre ich im Sommer sechs Wochen durch Südafrika getourt. Das Ticket besaß ich schon. Und eigentlich hätte ich danach an einer normalen Universität studiert, je nachdem wie das geklappt hätte. Mein Mann wäre vielleicht ins Ausland gegangen für ein Semester. Wer weiß.

Also bauten wir uns ein Nest. Kauften Kinderkleidung, und alles, was man braucht. In rosa. Für unser kleines Mädchen. Hannah Abigail. Weil sie für uns ein Geschenk Gottes war. Doch das wurde uns genommen. In der 32ten Woche. Eigentlich lebensfähig. Wären da nicht zwei Nabelschnurknoten und drei Umschlingungen um den Hals gewesen.

Mehrere Tage zuvor merkte ich schon, dass etwas nicht stimmte. Ich glaube viele Schwangere haben da einfach ein gutes Körpergefühl. Die Bewegungen wurden weniger und schwächer. Mir ging es nicht gut. Im Geburtsvorbereitungskurs fiel dies meiner Hebamme auf. Sie wollte ein CTG machen, meinem Mann zuliebe. Und schickte uns daraufhin ins Krankenhaus. Keine Herztöne. Dort wurde es Gewissheit. Kein Herzschlag. Bumm! Ein Schlag ins Gesicht.

Eine Nacht durfte ich darüber schlafen. Ich konnte es nicht. Mir wurde schlecht. Mein Körper zeigte mir, dass er das Kind „verloren“ hatte. Am nächsten Morgen mussten wir es den Eltern sagen. Überall flossen Tränen. Wir hatten uns doch darauf vorbereitet. Der Bauch war sichtbar. Dann kam die Einleitung, eine einseitig wirkende PDA, eine stille Geburt. Die Hebammen rieten mir vom Kaiserschnitt ab, was ich nicht bereue, für mich war die Geburt ein Prozess um Abschied zu nehmen.

Bei der Beerdigung hielt mein Bruder die Trauerrede. Wie beruhigend war es für mich zu hören, dass Hannah nun im Himmel bei Gott ist und auf uns herabschaut. Wie schön war es, dass wir meinen Mann noch im Nachhinein als Vater anerkennen konnten, und wie hilfreich war es, dass ich den Grabstein designen durfte. Wir hatten viel Hilfe. Mir half mein Glaube.

Kurze Zeit später wurde ich wieder schwanger. Ich sagte zu mir, wenn Gott mir wieder ein Kind schenken möchte, dann wird er dies tun, wenn nicht, öffnen sich neue Türen. Ich wollte keine verschließen. Im Januar ein positiver Schwangerschaftstest. Ein Jahr und 19 Tage später erblickte unsere Sophie Ziva die Welt. Sie sieht aus wie Hannah. Aber ich glaube, die Charaktere sind ganz verschieden. Ersatz ist sie nicht!

Mittlerweile ist Sophie fast 21 Monate alt. Wir studieren beide noch. Mein Mann steht am Ende seiner Bachelor Thesis und ich studiere von Zuhause aus. Wir bereiten uns innerlich auf ein nächstes Kind vor. Träumen insgeheim von zwei. Aber planen werden wir nichts mehr.

Ich habe ein Sternenkind und ein lebendiges. Ich spreche darüber, weil ich anderen Mut machen möchte. Und Kraft schenken. Ich weiß, dass jeder diese Situation anders verarbeitet, ich habe viel Hilfe bei der zweiten Schwangerschaft gebraucht (meine Frauenärztin war wirklich der größte Schatz), und ich kann dankbar dafür sein, dass wir das als Paar gemeistert haben. Mittlerweile sind wir 3,5 Jahre zusammen, und ich glaube, wir können wirklich jedes Tief meistern. Auch dank unseres Glaubens.

Noch einige Anmerkungen:

1. Sophie heißt mit Zweitnamen „Ziva“, was unter anderem die Lebendige bedeutet. 2. Der schlimmste Satz für mich war anfangs immer „Sie sind noch so jung, sie haben alle Zeit der Welt Kinder zu bekommen“ – absolut kein Trost. 3. Und: man sollte jeder Mutter von Fehl- oder Totgeburten, das Recht zugestehen, dass sie Zeit benötigt. Ich habe viel Ruhe gebraucht. Das verstanden nicht alle. Mittlerweile rede ich darüber. Hannah gehört zu mir. Mit ihr ist ein Teil von mir gestorben. Meine Kindheit!

Mehr zu mir erfahrt ihr auf ephissophie.blogspot.de,

eure Ephrata

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5 Kommentare

  1. Katja sagt

    Liebe Ephrata,

    deine Zeilen haben mich sehr berührt und ich habe mir die Tränen nicht verdrückt.
    Ich kann sehr gut nachvollziehen wie es dir ergangen ist nachdem du deine erste Tochter verloren hast. Und ich freue mich sehr, dass du nun deine Sophie im Arm hältst, gesund und munter.
    Meine Geschichte ist deiner ein bisschen ähnlich. Ich habe meinen ersten Sohn in der 25. SSW still geboren im Jahr 2005, 2006 wurden unsere Zwillinge still geboren. Die Kinder waren kerngesund und es gab für die Ärzte keine Erklärung warum ich die Kinder immer um die 25. SSW verloren habe. 2007 nach Hoffen und Bangen kam unser Sohn kerngesund in der 39. SSW zur Welt.
    Wir sind so froh, dass wir ihn haben, dass wir den Mut aufgebracht haben nochmal schwanger zu werden. Das wir Gottvertrauen hatten.
    2010 habe ich dann leider nochmal einen Sohn verloren, auch in der 23.SSW. Nun habe ich keine Kraft mehr auf noch ein Kind zu hoffen. Außerdem bin ich inzwischen 39Jahre alt.
    Mein Mann und ich sind durch die schwere Zeit zusammen gegangen. Es hat unsere Beziehung gestärkt.
    Nun, unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende: vor 2 Jahren erkrankte unser Sohn an Leukämie. Das Fragen nach dem „Warum“ haben wir aufgegeben. Zusammen schauen wir nach vorn und hoffen, dass doch noch irgendwie alles gut wird.
    In solchen Momenten merkt man wie viel Kraft man doch besitzt und wie viel Leid man als Mensch doch ertragen kann.

    Übrigens hat mir auch sehr geholfen, dass ich die Kinder nicht per Kaiserschnitt entbunden habe. Nach der Geburt durfte ich sie auch noch eine Zeit bei mir haben, nach dem sie gewaschen und in ein Tuch gewickelt wurden. Das hat mir sehr geholfen für die seelische Verarbeitung.
    Ich wünsche dir viel Zuversicht bei deiner nächsten Schwangerschaft.
    Alles Liebe Katja

    • Hallo Katja,

      Deine Geschichte berührt mich sehr. Da ist meine „harmlos“. Wie viel Kraft muss in dir / euch stecken? Sehr bewundernswert.

      Die Frage nach dem „warum“ stelle ich mir auch nicht. Ich habe einen Bekannten, der seine Tochter (circa 14) in einem Skiurlaub verloren hat. Er sagte mir, man muss sich wirklich fragen „warum nicht ich?“. Und genau diese Einstellung habe ich für mich übernommen. Aber wahrscheinlich würde gerne ich mich in eurer Situation doch dabei ertappen, dass ich immer wieder die Frage stellen würde „wie viel Leid noch?“

      Ich hatte Hannah übrigens auch direkt bei mir. Erst mein Mann, dann ich. Ich wusste erst einmal gar nicht, wie ich damit umgehen sollte. Und hatte Berührungsängste.

      Ich wünsche euch und eurem Kind alles Gute. Und vor allem gute Besserung und Kraft und Geduld.

    • Liebe Katja,

      mir stockte beim Lesen auch der Atem. Leben ist manchmal so unfassbar ungerecht, dass es fast schon nicht auszuhalten ist.

      Ich wünsche Euch alles erdenklich Gute und ganz viel Kraft und vor allem Gesundheit.

      Liebe Grüße
      Katharina

  2. Sehr traurige, bewegende, aber auch schöne Geschichte. Ich meine das Ende, wie sagt man so schön „Ende gut, alles gut“. Vielleicht nicht alles, aber dennoch habt ihr jetzt den größten Schatz, den man haben kann, eine kleine Maus. Ich wünsche euch ein noch ganz langes und glückliches Familienleben, jede Menge Zuwachs und dennoch auch die Erfüllung eurer beruflichen Träume. Ich ziehe meinen Hut, dass du neben deiner Tochter das Studium fortführst und sicher gut zum Abschluss bringen wirst.

    LG Katrin

  3. Ulrike sagt

    Hallo Ephrata, eine sehr Bewegende Geschichte und noch dazu sehr schön geschrieben. Ich hab Tränen in den Augen nachdem ich das gelesen habe … Tränen auch für all die Stillen Kinder die ich schon kennen gelernt habe, wie wundervoll perfekt sie nach der Geburt aussehen und wie liebenswert sie sind. Ich wünsche euch alles Gute

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