Inklusion in der Schule ist nicht das, was sich viele darunter vorstellen. Es ist kein Menschen mit und ohne Behinderung zusammenwürfeln und dann feststellen, dass das nicht funktioniert, um möglichst schnell wieder zur Exklusion zurückzukehren. Weil das einfach so rum viel bequemer ist.
Inklusion ist auch nicht der „leichterer Weg“, den Eltern wählen, weil sie „die Behinderung ihres Kindes einfach nicht akzeptieren wollen“.
Inklusion ist vor allem oft verbunden mit jeder Menge Zweifel, schlaflosen Nächten und viel mehr Rückschritten als Fortschritten.
Und trotzdem ermutige ich sämtliche Eltern, die sich an mich wenden, wenn sie genau an dem Punkt stehen: Förderschule oder inklusive Beschulung.
Wir haben selbst gerade ein sehr schlechtes Jahr hinter uns. Es gab nicht nur privat einige Herausforderungen, sondern auch die schulische Inklusion zeigte uns immer wieder Grenzen auf.
Wie lange kann das noch gut gehen?
Sieben Jahre Inklusion liegen nun hinter uns. Es lief nie rund, aber es gab immer Lehrer und Sonderpädagogen, die sehr bemüht waren, Inklusion im Klassenraum lebbar zu machen.
Oft half es im Gespräch aufzuzeigen, dass wir keine Zauberei erwarten. Wir haben nicht das Ziel, dass Sonea irgendwann mit dem Abitur in der Tasche die Schule verlässt. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht, ob sie überhaupt einen Abschluss an ihrer Schule schaffen wird.
Uns ist in erster Linie wichtig, dass Sonea die Möglichkeit hat gemeinsam mit ihren Mitschülern zu lernen. Chancengerecht – alles kann, nichts muss. Aber vor allem so, dass Sonea glücklich nach Hause kommt.
Zum Schuljahresbeginn geriet das alles ein bisschen ins Wanken. Neue Lehrer und die Corona-Situation führten dazu, dass Sonea neben 40 Vokabeln die Woche auch noch Winkelberechnungen und die verschiedenen Aggregatzustände von verschiedenen Stoffen bei 43,5 °C kennen musste. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Inklusion – eine Geschichte voller Missverstände
Inklusion bedeutet nicht, dass sich die Schüler*in den Bedingungen der Klasse und dem Lehrplan anpassen muss, sondern der Lehrplan muss sich der Schüler*in anpassen. Und genau diese Individualität ist es, die Inklusion so bedeutsam für uns alle macht.
Mit den Rahmenbedingungen, die für andere geschaffen werden, gibt es auch Vorteile für einen selbst. Egal, ob mit oder ohne Behinderung bzw. Förderbedarfen. Denn Inklusion ist für alle da und wir haben jede*r unsere ganz individuellen Stärken und Schwächen. Niemand kann in allen Bereichen gleichermaßen gut sein, oder?
Im Dialog bleiben
Nachdem der Start ins 6. Schuljahr sehr bescheiden war und viele Zweifel an der Inklusion mit sich zog, brachte ein Elterngespräch die Veränderung, die ich mir für Sonea wünschte: mehr Differenzierung.
Diese war wirklich notwendig und auch ein Gespräch mit den Lehrern, in dem wir unsere Erwartungshaltung deutlich machten. Diese ist nicht wirklich schwer zu erfüllen, denn außer, dass Sonea mit ihren Mitschülern gemeinsam und im Rahmen ihrer Möglichkeiten lernen kann, erwarten wir nichts.
Nun gut. Ganz so plüschlig ist die Sache dann leider nicht. Sonea ist genau so wie ihre Mitschüler in der Pubertät und hat oft andere Dinge im Kopf als zu lernen. Und da braucht es manchmal einen sehr langen Atem und jede Menge Fingerspitzengefühl. Sonea kann sehr resistent sein, wenn sie gerade andere Lernziele im Kopf hat, als die, die gerade der Förderplan vorsieht.
Der winzig schmale Grad zwischen Unterforderung und Überforderung
Es erfordert viel Einfühlungsvermögen die richtige Balance zu finden. Das haben auch schon Soneas Lehrer festgestellt. Lehrer, die mein Kind sehen und nicht starr an dem festhalten, was sie gerade meinen, was sie tun solle und müsse.
Es gab da einen Morgen, an dem kurz vor neun bereits alles eskalierte. Während ich meine Ex-Chefin am Telefon hatte, die mir mitteilte, dass der Betrieb in zwei Monaten schließen und sie mich kündigen müsse, ploppten auf meinem Handy eine Nachricht nach der nächsten von meinem Mann auf „Die Schule hat angerufen“. „Wir müssen Sonea abholen“. „Sie ist nicht beschulbar“. „Ist wohl total ausgeflippt“.
Vielleicht denken Sie jetzt mal über den Wechsel an einer Förderschule nach?
Als Soneas Papa sie kurze Zeit später abholte, fiel dieser Satz, der uns lange sehr beschäftigte und sich wie eine schallende Ohrfeige anfühlte.
Die ganze Sache setzte mir sogar deutlich mehr zu, als die Tatsache, dass ich womöglich bald ohne Job sein würde.
Ich will dazu nicht weiter ausholen. Mein Fazit aus der Sache ist, dass Sonea sich daneben benommen hatte. Aber nach aller Schilderung gab es Gründe dafür und ich kann sehr gut verstehen, dass Sonea sich entsprechend verhalten hatte.
Trotzdem horchte ich die nächsten Wochen intensiv in mich hinein und beobachte Sonea. War sie noch glücklich? Oder muten wir ihr doch zu viel zu? Ist es wirklich Zeit zu wechseln? Und ist das die Meinung einer einzelnen Person (die mein Kind einmal die Woche zu Gesicht bekommt und im Prinzip kaum kennt) oder sehen das die anderen Lehrer genau so?
Bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl, dass Soneas Lehrer ein Problem mit ihr hatten. Auf einmal war alles anders.
Aber da war auch Sonea, die mir immer wieder zeigte und auch sagte, dass sie die Schule mag und auch auf keine andere Schule gehen möchte.
Na ja, das mit dem „mögen“ darf man jetzt auch nicht sooo genau nehmen. Sonea wird Schule niemals richtig lieben. Aber das ist auch ein bisschen der Tatsache geschuldet, dass es ein frühes Aufstehen erfordert und eben auch manchmal echt langweilig ist.
Darstellen und Gestalten
In einem weiteren Gespräch mit den Tutoren und dem Sonderpädagogen der Schule konnten wir auch nochmal den angeratenen Wechsel zur Förderschule der externen Fachkraft thematisieren und uns wurde bestätigt, dass die Lehrer (die Sonea auch deutlich besser kennen) das nicht so sehen. Sonea hat durchaus Potential. Wenn sie motiviert ist, kann sie richtig gut arbeiten.
In wenigen Wochen startet Sonea bereits in das 7. Schuljahr und damit kommt auch ein weiteres Wahlpflichtfach dazu. Sonea hat sich für Darstellen und Gestalten entschieden und auch für ihre Lehrer war sofort klar, dass es einfach DAS Fach für Sonea ist.
Geboren für die Bühne… und für Inklusion.
Wer Inklusion will, muss leider auch durch den Bürokratie-Dschungel
Das klingt nicht besonders verlockend, ich weiß. Aber es lohnt sich. Wirklich!
Wir warten immer noch auf den Bescheid vom Amt, ob die Schulbegleitung für das neue Schuljahr genehmigt wird. Diese muss jährlich neu beantragt werden. Aber nach sieben Jahren bibbert man nicht mehr ganz so sehr einer Bewilligung entgegen.
Alleine die Suche nach der passenden Schulbegleitung ist für viele Familien oft eine große Herausforderung. Vom AOSF-Verfahren und sämtlichen Untersuchungen, die teilweise darauf zielen den Förderbedarf des Kindes festzustellen und einzuordnen, aber auch die Behinderung des Kindes noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Das Kind hat das Down-Syndrom? Das müssen sie erst einmal beweisen.
Ich kann so gut verstehen, wenn Eltern sich gegen all diese Prozeduren entscheiden.
Aber, wenn Ihr diesen Weg wollt, wenn er sich richtig anfühlt, wenn Ihr Vertrauen in Euer Kind und auch in Euch selbst habt das Ding zu rocken, dann go for it!
Hallo Katharina, ich habe deinen mehrmals gelesen. Mein mittlerer Sohn ist Deutsch – und Enlischlehrer in einem Gymnasium in Ebermannstadt, meine Schwiegertochter Lehrerin an einer Realschule in Heilbronn für Mathe, Geschichte und Französisch. Beide wurden für Inklusion nicht ausgebildet, weder in Bayer noch in Baden Württemberg. Beide haben mit Behinderungen egal welcher Art kein Problem. Meine Schwiegertochter war 3 Jahre Lehrerin in der Krankenhausschule im Klinikum Heilbronn. Nun sollen im nächsten Schuljahr 5 neue Schüler mit verschiedenen Behinderungen in ihre Klasse kommen. Schulbegleitung 1 Sunde pro Tag. Im 1. Halbjahr kommt noch eine Kollegin dazu, damit sie die Klasse aufteilen können. Sie hatte bereits Kinder mit einer starken Sehbehinderung oder im Rollstuhl, dass war alles kein Problem weil sie da ganz normalen Unterricht geben konnte. Aber mit einer geistigen Behinderung oder Aggression wurde sie noch nie konfrontiert im Unterricht. Sie hat vor dem nächsten Schuljahr angst, dass sie mit insgesamt 27 Kindern die Lernziele nicht erreichen kann. Bevor es zur Inklusion kam, hätten alle Lehrer eine Zusatzausbildung erhalten sollen. Dies wurde leider versäumt. Hier wird mal wieder alles auf den Rücken der Lehrer ausgetragen. Mir ist auch klar, warum es so viele Kranheitsausfälle bei den Lehrer gibt. Viele sind überfordert. Ich finde es toll, dass Sonea auf eine normale Schule gehen kann. Sie hat wahrscheinlich auch über die ganze Zeit eine Lernbegleitung. Leider nicht für alle Kinder möglich weil das Fachpersonal fehlt. Die meisten Schulen sind mit Lehrkräften unterbesetzt. Dann noch Mutterschaft oder Krankheit bei Lehrern und alles fällt in sich zusammen. Ich möchte kein Lehrer sein und bin froh, dass mein Sohn und meine Schwiegertochter immer noch gerne unterrichten trotz der schwierigen Bedingungen. Liebe Grüße Inge
Auf dem letzten Bild sieht sie Dir so ähnlich!