Ich bin als Jugendliche sexuell missbraucht worden und das über einen längeren Zeitraum. Diese viele Frauen betreffende „Besonderheit“ in meinem Leben wirkt sich in viele Bereiche meines Lebens aus. Ich könnte also gleich mehrere Berichte schreiben. Wie sich mein sexueller Missbrauch auf meine Gesundheit ausgewirkt hat, auf meinen Beruf, meine Beziehung, mein Sozialverhalten, meine eigene Sexualität, mein Umgang mit meinen Kindern, meine Ängste….
Ich möchte aber gern über die Geburt meiner Kinder berichten. Denn ich finde immer wieder, dass dieses Thema viel zu wenig in den Köpfen der Menschen präsent ist: was passiert eigentlich mit einer Frau, die sich traut, trotz Gewalterfahrungen, Kinder zu bekommen. Ich habe mal gelesen, die wenigsten Frauen sprechen diese Erlebnisse bei einer Vorsorge oder in der Klinik bei der Geburtsplanung an. Werden sie aber gefragt, berichten erstaunlich viele Frauen von ihren Erlebnissen. Und dies ist so wichtig – denn eine Geburt ist etwas Sexuelles. Als solche sollte sie wahrgenommen werden und die mit ihr einhergehenden Ängste – getriggert aus schlimmen Erfahrungen, sollten wahr und ernstgenommen werden.
Aber nun zu meiner Geschichte:
Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, war ich sehr glücklich. Zwei Jahre hatten wir auf dieses Kind gewartet und es war gänzlich überraschend als es dann doch endlich klappte. Damit gingen jedoch meine ersten Probleme los: Zur Gynäkologin gehen, um einen vaginalen Ultraschall machen zu lassen? Undenkbar für mich (bei meinem ersten Besuch bei der Gynäkologin fragte diese nur: Schonmal Sex gehabt? Nach meiner Bejahung tat sie mir mit ihrem Spekulum sehr weh. Als ich weinte und sagte, das tue weh, antwortete diese mir: wer Sex haben kann, kann auch eine Untersuchung aushalten. Leider hatte ich nicht freiwillig Sex gehabt und fühlte mich nun noch missbrauchter.) Allein der Stuhl triggerte meine Ängste dermaßen, dass mir schlecht wurde. Die Beinschalen schreien für mich: du kannst hier nicht herunterspringen und weglaufen! Ich schaffte diese Untersuchung aber mit der liebevollen und geduldigen Unterstützung meines Mannes und der einfühlsamen Gynäkologin. Danach verdrängte ich die Schwangerschaft erst einmal. Zu groß mein Unwohlsein bei Gedanken an Muttermund tasten, Gebärmutterhals messen etc.
Eines Nachts, ich war inzwischen ungefähr in der 20. Woche, redeten wir über die Geburt. Wie sie abläuft, was gemacht wird – es flossen viele Tränen, gefolgt von Panikattacken und Angstzuständen. Es war für mich unvorstellbar mit einer unbekannten Hebamme (womöglich mit Schichtwechsel) und einem (männlichen?) Arzt, mein Kind zu bekommen. Allein bei dieser Vorstellung rutschte mir das Kind wieder ganz nach oben in den Geburtskanal. Auch das Wissen, dass ich die Kreissaaltür nicht verschließen kann und die Betten im Kreissaal meist Richtung Tür ausgerichtet sind, schürte meine Ängste noch mehr.
In dieser Nacht beschlossen wir, eine Hausgeburtshebamme zu suchen. Ich wohne in einer Stadt mit 170000 Einwohnern und es gab genau drei Hebammen, die Hausgeburten machen. Und wir fanden sogar tatsächlich eine Hebamme, die Zeit für uns hatte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie meine Herzhebamme werden sollte. Und sie fragte mich tatsächlich nach meinen Erfahrungen, Ängsten und Wünschen und ich berichtete ihr alles. Sie nahm dies sehr ernst und immer wieder wurden meine Ängste Thema und Abläufe der Geburt besprochen.
Von der eigentlichen Geburt möchte ich gar nicht so sehr berichten, aber sie war schwierig, weil mein Kind sich nicht richtig einstellte. Ich turnte nach der Übergangsphase drei Stunden mit Presswehen durch die Wohnung. Ich sagte oft: ich kann nicht mehr. Ich habe Angst. Ich schaffe das nicht. Ich hyperventilierte. Aber: ich hatte keine Sekunde Angst, ich wurde nicht retraumatisiert. Ich ging aus dieser Geburt als eine neue gestärkte Frau heraus. Meine Hebamme erklärte mir unter der Geburt jeden Handgriff. Sie untersuchte meinen Muttermund nur ein einziges Mal und auch das war durch unser Vertrauen kein Problem. Ich durfte tun und lassen, was ich wollte und sie war einfach da. Als mein Kind auf meinem Bauch lag, sah ich meinen Mann an, der heimlich ein bisschen weinte und sagte: ich habe unser Kind geboren! Ich habe es geschafft. Ich kann ALLES schaffen. Und so fühle ich mich bis heute gestärkt.
Ich muss immer noch mit meinem Missbrauch leben und so wie ich es eingangs schrieb, wirkt er sich immer noch unglaublich stark in viele Bereiche aus, aber diese Art von Geburt zu erleben, hat mir gezeigt, dass ich stark bin und dass ich nicht hilflos bin. Obwohl mir alles im Bereich meiner Sexualität genommen worden ist, konnte ich mich mit mir selbst wieder verbinden.
Auch mein zweites und mein drittes Kind habe ich zu Hause geboren. Jedes Mal mit meiner Hebamme – jedes Mal stärker werdend – jedes Mal mehr meine Wunden heilend.
Wenn die Hausgeburtshilfe, die Beleggeburten, die Geburtshausgeburten immer weniger werden, aus politischen und finanziellen Gründen, dann vergessen wir die Frauen, die unbedingt auf eine solche Geburt angewiesen sind. Vor allem aber lassen wir außer Acht, dass Geburten Frauen zu wahren Superhelden machen können und das sollte unbedingt erhalten werden. Jede fünfte Frau hat sexuellen Missbrauch erlebt, viele bekommen Kinder – wieso sprechen wir nicht darüber? Das ist unser Recht und wir haben das Recht, Hilfe zu bekommen – sowieso, in der Schwangerschaft, während und nach der Geburt. Die Geburtshilfe muss darauf sensibilisiert werden, deshalb habe ich diesen Text geschrieben. Liebe Frauen, steht für euch ein, erzählt eure Erfahrungen, ihr seid es wert! Ich denke an euch!
Nachtrag: Dies ist sehr persönlich. Jeder Mensch ist anders, jeder verarbeitet anders, jeder erlebt anders. Dies sind nur meine Erfahrungen, andere Frauen gehen mit ihren Erlebnissen anders um, haben andere Ängste. Und selbstverständlich können auch Geburten im Krankenhaus achtsam und erfüllend sein. Ich möchte da auf keinen Fall werten.
Vielen Dank für deinen Bericht, als ich ihn gelesen habe kamen bei mir wieder die Erinnerungen hoch.
Ich wurde im Kindergarten missbraucht. Meine Mutter will bis heute mit mir nicht darüber reden. Sie meint noch heute, inzwischen werde ich 43Jahre alt, dass ich mir das einbilde. Für die Verarbeitung wäre es so wichtig für mich, auch wenn ich schon in psycholigischer Betreuung zu Studentenzeiten war.
Die Erfahrung mit den Gynäkologen habe ich auch machen müssen. Nach Jahren habe ich erst eine verständnisvolle Ärztin gefunden, die ohne Spekulum untersucht. Und selbst jetzt noch muß ich immer würgen und mich fast erbrechen wenn ich auf dem Stuhl sitze. Es sitzt so tief in einem drin. Trotzdem bin ich sehr dankbar, dass ich einen Sohn habe und einen sehr verständnisvollen Ehemann.
Ich hoffe, dass ich irgendwann die Bilder aus meinem Kopf bekomme und Ruhe finde.
Ich danke dir sehr für deine Offenheit und es zeigt mir, dass auch andere die gleichen körperlichen Symptome aushalten müssen, ungewollt, wie ich. Ich bin nicht alleine.
Dir wünsche ich alles Gute!
Wow – Gänsehaut!
Danke für deinen Bericht und ich freue mich, dass du deinen Weg finden konntest.
Selbst als Frau, die keinen sexuellen Mißbrauch erfahren hat, habe ich den Umgang bei vielen Frauenärzten (männlich sowie weiblich) als grenzüberschreitend und unachtsam erlebt. Von dem Verhalten gegenüber den Frauen bei einer Geburt mal ganz zu schweigen. Guckt frau sich die deutsche Geburtshilfe an, so ist es leider auch heute noch immer üblich, über die Köpfe der Gebärenden zu handel, indem ihr suggeriert wird, sie sei in Gefahr. Wenn sie nicht alles „notwendige“ zuließe, würde sie unverantwortlich handeln und würde ihrem Kind schaden. Das ist Mißbrauch in Reinkultur, der gesellschaftlich nicht nur akzeptiert sondern fast schon gefordert wird.
Wie mag es da den Frauen gehen, die einen Mißbrauch jeglicher Art erlebt haben und die dann diesem System ausgeliefert sind?! Ich stimme dir zu, dass wir alle die Stimme erheben sollten und nicht müde werden sollten, dagegen vorzugehen!
Vielen Dank für diesen sehr persönlichen Bericht. Es tut mir unendlich leid, was dir passiert ist – und genauso unendlich freue ich mich für dich, dass du drei Geburten gemeistert und auch noch positiv und stärkend erlebt hast. Respekt!
Ich habe mich vor kurzem für meine erste Geburt im Geburtshaus angemeldet und dort gibt es schon auf dem Anamnesebogen (den man zum ersten Gespräch mitbringt) die Frage, ob man Gewalterfahrungen hinter sich hat. Vielleicht ist das eine wichtige Information für betroffene Frauen: so wird das Thema auf jeden Fall angesprochen. Bisher erlebe ich die Betreuung durch die Hebammen im Geburtshaus als sehr einfühlsam und persönlich, meilenweit von dem entfernt, was bei der Gynäkologin passiert (auch wenn meine sehr nett ist – es ist einfach eine ganz andere Art der Begleitung).
Ich hab Deinen Beitrag gleich am ersten Tag gelesen als er online war …. aber ich mußte ihn erst verdauen.
Ich wollte Dir „DANKE“ sagen für deine Offenheit und möchte Dich einfach nur in den Arm nehmen.
Alles gute Dir und Deiner Familie
Lg Ivonne
Ich bin froh, dass du einen verständnisvollen Partner und eine tolle Hebamme gefunden hast, die dich auf deinem Weg begleiten und dich stärken, so wie du es brauchst. Deinen Artikel finde ich SEHR wichtig. Dass es mit einem Partner problematisch sein kann nach sexuellem Missbrauch, war mir klar. Dass es rund ums Thema Schwangerschaft, Geburt und Nachsorge so schwierig sein kann, hatte ich bisher nicht auf dem Schirm. Alles Gute weiterhin!!!