Wenn ich 2011 mein Leben mit einem Wort beschreiben hätte müssen, wäre es PERFEKT gewesen. Mit meinen 21 Jahren hatte ich alles, was ich mit immer gewünscht hatte: einen guten Job, eine tolle Wohnung, einen lieben Ehemann, eine Familie, die mich in allem Unterstützt hat und ein Ultraschallbild von meinem ersten Kind. Eine Prinzessin.
Voller Euphorie planten wir das Leben zu dritt, kauften ein Kinderzimmer, den Kinderwagen und unzählige süße Mädchenkleider. Die winzigen Sachen in den Größen 50/56 waren einfach unbeschreiblich süß. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es ewig dauern würde, bis unsere Prinzessin sie tragen kann.
Um Sylvester rum ging es mir von Tag zu Tag schlechter. Ich fühlte mich müde, antriebslos und mir tat einfach alles weh. „Stell dich nicht so an, andere Frauen sind auch schwanger und machen das ganz locker“ habe ich mir immer wieder gesagt. Ich ging weiter wie gewohnt jeden Tag zur Arbeit, obwohl ich das Gefühl hatte, kaum noch sitzen zu können. Aber bis zum Mutterschutz war es noch eine Weile hin.
Am Abend des 20. Januars bekam ich dann so starke Schmerzen, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Was war das. Alle paar Minuten hab ich geschrien vor schmerzen.
Mein Mann hat sich liebevoll um mich gekümmert, bis ich irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen bin. Am nächsten Morgen waren die Schmerzen immer noch da. Ich konnte auf keinen Fall zur Arbeit gehen, geschweige denn alleine mit dem Auto zum Arzt fahren.
Als mein Mann und ich bei meinem Gynäkologen ankamen ging alles ganz schnell. Das CTG zeigte Wehen im 5 Minuten Takt und die Überweisung fürs Krankenhaus war schnell geschrieben.
HALT! STOP! Ich kann noch nichts ins Krankenhaus. Ich habe noch gar keine Tasche gepackt, das Kinderzimmer ist noch gar nicht ganz fertig und ich war doch erst in der 31. Schwangerschaftswoche. Meine Eltern waren noch im Urlaub und ich konnte unmöglich ohne meine Mutter ins Krankenhaus. Sie muss doch da sein!
Im Krankenhaus angekommen ging es im selben Tempo wie beim Frauenarzt weiter. Das CTG war schlecht, der Herzschlag unserer Prinzessin immer wieder weg.
Ehe ich mich versah lag ich auf dem OP Tisch. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, mein Mann versuchte mich zu beruhigen, während er selbst fast durchdrehte.
Und dann kam der Schnitt. Die PDA hätte noch 5 Minuten wirken müssen, aber die Zeit war nicht mehr da.
Kein Schrei, kein Baby was einem gezeigt wird, kein „Herzlichen Glückwunsch, es ist ein gesundes Mädchen“. Mein Kind war weg. Auf unsere Fragen bekamen wir nur eine Antwort: „Ihre Tochter ist auf der Neonatologie und es wird sich um sie gekümmert“.
Ein paar Stunden später zwang ich mich wieder auf die Beine. Ich musste zu ihr.
Auf dem Flur begegnete ich unzähligen frisch gebackenen Eltern, die ihre Babys in den Babybay Bettchen umher schoben und bis über beide Ohren strahlen.
Und dann sah ich sie. Meine Prinzessin. 1300 Gramm leicht, 38 cm klein, mit einer scheinbar viel zu großen Atemmaske auf dem Gesicht und einer Windel, die bis zur Brust ging. Sie war wunderschön!
Ich fing an zu Fragen und verdaute langsam den ersten Schock. Frühchen sind stark. Sie wird das meistern. Unsere Kämpferin.
Doch dann blieb meine Welt, zwei Tage später, ein zweites mal stehen. „Ihre Tochter hat ein Herzgeräusch, wir müssen das abklären lassen und sie dafür ins nahegelegene Kinderkrankenhaus verlegen. Aber machen sie sich keine Sorgen, das haben viele Frühchen und dabei handelt es sich meist um den Ductus. Normalerweise verschließt sich der Ductus innerhalb von Stunden bis Tagen nach der Geburt spontan.“
Ich entließ mich aus dem Krankenhaus. Keine Sekunde länger konnte ich ohne meine Tochter dort bleiben. Mein Mann und ich fuhren dem Krankenwagen hinterher und waren heil froh, als unsere Tochter unversehrt im Kinderkrankenhaus ankam.
Nur wenige Stunden später konnte ich meine Tochter endlich wieder auf dem Arm halten und ihr meine abgepumpte Muttermilch über eine Magensonde zuführen.
Die Tür ging auf, eine Ärztin guckte rein und ich hörte nur noch ein lautes piepen. Es hörte nicht auf. Es Piepte nur noch. Was sie eigentlich sagte war: „Bitte packen sie das Kind wieder in den Inkubator. Wir verlegen sie sofort in die Uniklinik Hamburg. Ihre Tochter hat einen schweren Herzfehler und wir können sie unter diesen Umständen nicht hier behalten.“
Meine Eltern waren Zwischenzeitlich mit dem nächsten Flugzeug zu Hause angekommen. Ich fiel in die Arme meine Mutter und fühlt mich wie ein Kind. Ich war nicht bereit dafür, ich würde es nicht schaffen. Mein Herz fühlte sich an, als wenn jemand es raus reißen würde.
Die Diagnose stand einen Tag später fest und lautete: schwerer angeborener Herzfehler. Um eine OP kamen wir nicht rum. Allerdings brauchte mein Kind dafür ein Gewicht von 5 Kilo.
Durch die Abnahme in den ersten Tagen bedeutete das, dass sie ihr Gewicht verfünffachen musste.
Wochenlang lag Sie im Krankenhaus und ich konnte nicht mit aufgenommen werde. Jeden Morgen vor dem Berufsverkehr fuhren wir 40 Minuten quer durch die Stadt und Abends spät wieder nach Hause.
Die 27 Kilo, die ich nach der Entbindung noch drauf hatte, waren innerhalb weniger Wochen weg.
Ich verlor den kompletten Kontakt zur Außenwelt und das wurde auch nicht besser als wir unser Kind nach ein paar Wochen mit nach Hause nehmen durften.
Zuhause angekommen, hatte ich nur ein Ziel vor Augen: 5 Kilo.
Die Mahlzeiten wurden zu Qual. Nach 20 Millilitern auf der Flasche war die Kleine vollkommen durchgeschwitzt und erschöpft. Stillen war unmöglich. Der Rest wurde Sondiert.
Krabbelgruppen waren zu Gefährlich, jede Ansteckung mit einem Virus etc. hätte uns zurück geworfen.
5 Monate Später war es soweit. Die Kleider in Gr. 50 passten und ich konnte endlich die Babyborn Kleider aussortieren. Aber damit kam auch der Tag, an dem mir mein Kind beim Trinken so blau anlief wie ein Schlumpf. Die Op musste jetzt stattfinden, auch wenn ihr noch ein halbes Kilo fehlte.
Die Operation wurde in der Uniklinik in Kiel durchgeführt, Hamburg hatte zu dem Zeitpunkt keinen Chirurgen, der sich da ran traute.
Und dann war mein Mädchen wieder weg. Und wir standen vor der verschlossenen Tür auf der stand: OP – Kein Zutritt!
Wieder wurde mir das Herz raus gerissen. 8 Stunden sollte die Operation ca. dauern. 8 Stunden in denen wir wortlos durch Kiel gelaufen sind. Bis der Anruf kam, dass die OP gut verlaufen ist und wir auf die Intensivstation kommen können.
Von der Operation am offenen Herzen erholte sich unsere Kämpferin erstaunlich schnell. Und nur 2 Wochen später konnten wir endlich wieder nach Hause.
Unser gemeinsames Leben zu dritt begann endlich richtig.
Heute, fast 6 Jahre später erinnert nur noch eine große Narbe auf der Brust unserer Tochter an diese Zeit, auch wenn sie weiterhin als Herzkrank gilt und engmaschig kontrolliert wird.
Irgendwann kommt der Tag, an dem eine neue Herzklappe her muss. Aber diesen Gedanken schiebe ich momentan ganz weit weg.
Sie hat sich zu einem selbstbewussten Mädchen entwickelt und konnte jetzt, voller Stolz, mit der Vorschule starten. Wie unendlich dankbar und stolz ich auf sie bin kann ich nicht in Worte fassen.
Und doch ist das Leben mit einem Besonderen Kind anders. Diese Einsicht kam spätestens, als 2014 unser Sohn geboren wurde, der gesund ist.
Vier mal die Woche bekommt unsere Tochter Förderung in Form von Logopädie und Frühförderung. Ihr Bruder, der 2,5 Jahre jünger ist bringt das selbe Gewicht wie sie auf die Waage. Und über die Zukunft darf man sich als Mutter von einem besonderen Kind gar nicht so viele Gedanken machen. Ich merke zumindest, dass ich sonst verrückt werde.
Wir genießen den Moment, leben im jetzt und hier und feiern zwei mal im Jahr Geburtstag. Denn der Herzgeburtstag, an dem vor 5 Jahren das Herz unserer Kämpferin für Stunden nicht geschlagen hat ist ein besonderer Tag für uns.
Unser Leben ist halt einfach vollkommen normal, nur anders.
Auf der Seite von MiLu erfahrt Ihr noch mehr über Vanessa und könnt ihre tollen genähten Sachen bewundern.
Danke für Deine Geschichte Vanessa,
als ich sie gelesen hab, konnte ich Deine Ängste und Sorgen gleich verstehen.
Unsere Eliana hat uns einen Tag nach der Geburt mit dem Herzfehler und den Verdacht auf DS überrascht, das hat uns ganz schön die Schuhe ausgezogen. Nach 3 gesunden Kindern konnte ich mir nicht vorstellen, das wir ein „krankes“ bekommen sollten. Sie wurde dann mit 6 Monten operiert und hat auch kurz nach dieser OP einen Herzschrittmacher bekommen.
Seitdem entwickelt sie sich super und wir wissen manchmal gar nicht, wo sie die ganze Power herholt.
Ich wünsche Dir und Deiner Familie alles gute für die Zukunft und Viel Spaß im Leben
Lg Ivonne
Liebe Herzkind-Mutter,
vielen Dank, dass du eure Geschichte hier geteilt hast.
Und wie schön, dass ihr inzwischen in der Normalität angekommen seid, auch wenn auf den zweiten Blick eben doch noch einiges besonders und dadurch auch besonders herausfordernd ist…
Ich wünsche euch weiterhin alles Gute und einfach die nötige Portion Glück!
Im Hier und Jetzt zu leben, ist sicherlich das Wichtigste, was man durch Krisen lernt – und damit auch die Chance, das Leben und schöne Momente viel bewusster wahrzunehmen und insgesamt wertschätzender zu sein.
Wenn Aengste vor der Zukunft auftauchen, dann bitte „einfach“ auch daran denken, dass die medizinische Forschung voran schreitet und irgendwann viel mehr möglich sein wird als wir es uns heute vorstellen können.
Von Herzen alles Gute für euch und euer Herzkind, das von Anfang an ein Herzenswunsch war 😉
Liebe Grüße
Marion
Die Uniklinik in Kiel ist wirklich toll. Ich durchlebte das ganze mit meiner Tochter vor 12 Jahren, und auch wenn ihr Herzfehler evtl „nicht ganz so schlimm“ wie der Deiner Tochter war/ist, das kann ich nicht beurteilen, hat man die gleichen Ängste, wie alle anderen Eltern auf dieser Station.
Ich fühle mit Dir und wünsche Euch, Deiner Tochter und Deiner Familie noch ganz viel Kraft
Und denk dran, Herzkinder sind was besonderes, denn ihr Herz hat die Sonne gesehen!!
Fühl Dich gedrückt, Andrea
Danke, dass ich dabei sein darf Katharina <3