Es war 1999, ich saß mit einem guten Freund im Kino, im dem der Film „Jenseits der Stille“ wiederholt wurde. Der Film handelte von einer Familie, in der alle bis auf eine Tochter gehörlos sind. Bei der hörenden Tochter, wird ein besonderes Talent für die Klarinette entdeckt. Für die ganze Familie eine Zerreißprobe! Nicht nur die Geschichte, das Instrument und die Musik in dem Film faszinierten mich, sondern vor allem die dort gezeigte Gebärdensprache. Es war das erste Mal das ich sie bewusst sah und ihre Schönheit wahrgenommen hatte. Ich blieb auch nach dem Film noch minutenklang sitzen und starrte vor mich hin. Diese Sprache wollte ich lernen, unbedingt! Am nächsten Morgen suchte ich den Gehörlosenverband unserer Stadt auf und hatte Glück, denn in der gleichen Woche begann ein Gebärdenkurs. In den nächsten Jahren besuchte ich alle Gebärdenkurse in meiner Umgebung und trat den Gehörlosenvereinen bei. Dort traf ich auch viele junge Menschen mit einer Hörbehinderung, der Sprung ins kalte Wasser für eine Hörende. Denn sie waren unter sich, gebärdeten schnell und ich musste mich anstrengen mitzukommen. Eine junge Frau gab sich besondere Mühe mit mir. Wir kommunizierten über Notizblöcke und geduldig erklärte sie mir alle Gebärden, die ich nicht wusste. Wir trafen uns regelmäßig, in Lübeck und Hamburg, gingen zusammen aus und ich wohnte manchmal eine ganze Woche lang bei ihr. Dann sprach ich nicht, hörte keine Musik, kein Radio, sogar im Auto auf der Rückfahrt ließ ich alles aus. Und wenn ich dann wieder zu Hause war und das erste Mal das Telefon klingelte, kam es mir unheimlich laut vor und ich stotterte mir am Telefon etwas zusammen. Denn die Deutsche Gebärdensprache hat eine andere Grammatik, die ich manchmal richtig verinnerlicht hatte. Während meines Studiums arbeitete ich nebenbei ein paar Jahre in einem Afrikaprojekt für gehörlose Kinder und reiste für meine Diplomarbeit an eine Schule für Gehörlose in Uganda. Ich sammelte Spenden auf gehörlosen Veranstaltungen, schrieb in Zeitschriften darüber und fing an, die Gebärdensprache neben meinem Beruf zu unterrichten. Am liebsten Gebärdete ich mit meinen Schülern Lieder und noch immer kann ich meine Hände bei bestimmten Liedern im Radio einfach nicht still halten. Als meine beiden Kinder geboren wurden, lernten sie bereits als Babys die ersten Gebärden. Mit 11 Monaten, bevor die Lautsprache beginnt, gebärdeten Beide ihre ersten „Worte“. Was waren das für Glücksmomente! Nun ist mein Sohn 1 ½ Jahre alt. Gebärden gehören zu seinem Alltag. Er gebärdet mir deutlich ob er Milch, Saft oder Wasser trinken möchte, was er Essen mag, ob seine Windel voll ist, dass er schlafen oder Fahrrad fahren möchte, welches Kuscheltier er sucht und noch vieles mehr. Genau wie seine Schwester, liebt er diese Art der Kommunikation und unterstützt damit seine beginnende Lautsprache. Er gebärdet morgens, dass sein Papa zur Arbeit fährt, denn „arbeiten“ ist seine Lieblingsgebärde, auch wenn diese von den Bewegungen her noch nicht ganz richtig ist. Er übt fleißig, bei jeder Müllabfuhr und bei jedem Baufahrzeug, alle arbeiten! Auch nach der Lautsprache lernen beide Kinder weiter die Gebärdensprache, denn ich finde es wichtig, dass sie sich auch in Zukunft mit hörbehinderten Menschen und unseren Freunden verständigen können. Die junge, geduldige Frau von damals ist nun schon seit über 15 Jahren eine enge Freundin und eine der Patentanten meines Sohnes. Den kirchlichen Gottesdienst haben wir dolmetschen lassen, das war sehr bewegend für mich. Sie ist selber verheiratet, hat zwei süße Kinder im fast gleichen Alter, ich bin auch die Patentante ihres Sohnes und jedes Mal wenn wir uns sehen, freue ich mich besonders, dass unsere Freundschaft trotz unserer Unterschiede schon so lange hält. Manchmal ist es doch beeindruckend, wie sehr ein kleiner Moment als Jugendliche, das ganze Leben beeinflussen kann.
Wer uns kennenlernen möchte, findet uns auf dem Familienblog www.zuckersuesseaepfel.de
Liebe Grüße, Eure Tanja
(mein Kleiner 1 1/2 Jahre alt erklärt hier in Gebärdensprache, dass der Papa draußen einen Hasenstall für seinen Hasen baut/arbeitet)
Hey,
vor ein paar Monaten hatte ich die Ehre über Schwerhörigkeit bei dir im Blog zu schreiben.
Ich wusste noch gar nicht das du DGS kannst.Finde ich so toll deine Einstellung. Ich bin ja selbst gehörlos und kann Gebärdensprache. Mit hörende Menschen kann ich dank toller Hörsysteme fast normal kommunizieren. Meine Nichten dürfen die DGS nicht lernen. Meine Geschwister sind leider dagegen das ich in Ihrem Beisein Gebärdensprache nutze, da sie keiner von uns wirklich benötigt.
vlg Conny
Das ist ein sehr beeindruckender Beitrag. Wow! Wie toll, dass so eine tolle Freundschaft mit so viel Bestand entstanden ist! Manchmal beeinflussen so kleine Momente (obwohl das ja nichts Kleines war …. also die gegenseitige Hilfe) unser ganzes Leben!
Ich habe den Film damals auch gesehen und er hat mich sehr bewegt. Gerade heute (also gestern, es ist ja schon nach Mitternacht) – beim gemeinsamen Fahrradfahren als Familie – habe ich gedacht, dass es doch eine Schande ist, dass mein Mann ihn nicht kennt! Wir sind im fast Dunkeln mit dem Rad durch den Wald gefahren. Ich musste an die Szene denken, wo sie abends (oder war es nachts?) mit ihrer Tante in dem See badet. Und ich dachte mir, dass man viel öfter so kleine verrückte Kleinigkeiten machen sollte, weil diese das Leben lebenswert machen!
In Hamburg waren wir kurz vor dem Jahreswechsel mit unseren beiden Töchtern im Blindenmuseum. Im Foyer war auch den Taubstummenausstellung und wir alle hatten sehr viel Freude dabei, Wörter, Bedeutungen und ganze Sätze herauszufinden. Es war verdammt spannend (faszinierend wurde meine Große sagen) und sehr verständlich & eingängig.
Liebe Grüße von Arnika aus Berlin
Vielen Dank liebe Arnika, ich freue mich über deine Zeilen. Und Du hast recht, den Film sollten alle kennen. Er ist einfach zu schön und spiegelt noch so viele andere schöne und besondere Momente wieder. Ich kenne die Ausstellung in Hamburg von meiner gl Freundin, war selber aber noch nie dort. Sie war auf jeden Fall ganz begeistert. Ich sollte es dringend mal nachholen 😉
Liebe Grüße, Tanja
Liebe Tanja!
Ich bin schwer beeindruckt – Hut ab. Und das Du dies gleich auch an Deine Kinder weitergibst ist großartig.
Liebe Grüße,
Sabine
Hallo Sabine,
ganz vielen Dank für deine lieben Worte. Ich freue mich sehr darüber <3
Liebe Grüße, Tanja
Liebe Tanja!
Ich finde es richtig toll, dass du dich von einem einzigen Moment so hast mitreißen lassen! Es gibt so viele Formen der Kommunikation und die Gebärdensprache ist ein wichtiger Teil davon. Während ich von Kindheitsbeinen an mit der sogenannten „Unterstützten Kommunikation“ (sprich: ja-/nein-Fragen, Bliss-Symbole, Talker (elektronische Kommunikationssysteme, die in den späten 80ern/frühen 90ern noch sehr weit von der heutigen Technik entfernt waren)) groß geworden bin, habe ich gelernt auf die völlig verschiedenen Arten der Unterhaltungsmöglichkeiten zu achten und einzugehen. Und ich nehme selbst die klitzekleinsten Mimik- und Gestikbewegungen des Menschen mir gegenüber viel deutlicher als Gesprächsgegenstand wahr, als es andere tun.
Super, dass du die in eine dir völlig fremde Sprache hineingefuchst hast und dadurch tolle neue Freunde kennengelernt hast! Außerdem finde ich es sehr toll, dass deine Kinder von klein auf zweisprachig aufwachsen!
Liebe Grüße,
Frauke
Danke liebe Frauke. Das hört sich ganz spannend bei dir an, Du kennst Dich ja sehr gut aus. Ich nehme die Mimik und Gestik von Anderen auch sehr intensiv wahr. Viel schneller und mehr als Andere 🙂 Denke, dass kommt auch vom Gebärden. Da achtet man einfach auf so viele Kleinigkeiten.
Liebe Grüße, Tanja
Jetzt hab ich erstmal Gänsehaut 😀 ich habe selbst Gebärdensprache gelernt, wollte es auch studieren, was jedoch aus verschiedenen Gründen nicht möglich war…ich finde es eine unglaublich faszinierende Sprache, und gebärde oft noch zwischendurch, weil mir wieder ein Wort einfällt….Toller Bericht, danke dafür !!! lg
Gerne liebe Melli. Und mach was deinen Kenntnissen. Wenn kein Studium, dann vielleicht einfach ein Kennen lernen von hörbehinderten Menschen, ein Besuch im GL Verein, ein weiterer Kurs oder der Besuch eines Festes. Du scheinst die Gebärdensprache ja auch sehr zu mögen 🙂
Liebe Grüße, Tanja