Ich bin Bianca und 38 Jahre alt. Ich erzähle euch heute meine Geschichte.
Ich bin Lehrerin und arbeite seit über zehn Jahren an einer Förderschule.
Das mag sich so wenig aktuell und fast langweilig anhören, in Zeiten von Inklusion.
Als Katharina mich fragte, ob ich mal etwas über die Förderschulen schreiben möchte,
habe ich sofort innerlich ganz laut „Ja, bitte, unbedingt“! geschrien. Warum?
Weil wir Lehrer an den Förderschulen in den aktuellen Diskussionen oft nicht mehr vorkommen, unsere Arbeit außerhalb der Regelschule wird infrage gestellt.
Oft fühle ich mich an den Rand gedrängt, in allen Diskussionen um die richtige Schule.
Sie ist gegen Inklusion, denkt ihr gerade? Oh nein, im Gegenteil, ich finde Inklusion gut und wahnsinnig wichtig, wenn diese auch richtig läuft, wenn sie gelebt wird und nicht nur auf dem Papier steht. Wenn die Rahmenbedingungen geschaffen sind und das Kind wieder im Vordergrund steht. Ja, zu viele „Wenn“- Sätze….. Der Alltag ist anders!
Der Alltag an der Förderschule ist wie unsere Schüler- jeden Tag anders, laut, wild, persönlich.
Ich liebe meinen Beruf! Täglich neu, weil jeder Tag anders ist. Langeweile- gibt es nicht! Anstrengend? Ja, ist es. So oft höre ich,“ das wäre nichts für mich“. Beneidet werde ich, wenn ich Ferien habe, sonst – na eher nicht.
Herzlich Willkommen an unserer Schule!
Auf den ersten Blick und auch auf den zweiten ist es eine ganz normale Schule, wir haben viel Platz, Klassenräume wie jede andere Schule, bunt und hell ist es. Wir haben ein großes Außengelände, Räume zum Toben und Ruhigsein, Fachräume und Werkräume. Warum schreibe ich das? Weil wir leider noch immer gegen so viele Vorurteile ankämpfen. Liebend gerne lade ich Eltern ein, kommt vorbei! Guckt euch unsere Schule an, macht euch ein eigenes Bild!
In den Klassen lernen maximal 14 Schüler, manchmal auch nur 9.
Gut so, aber auch bei uns lernt fast jedes Kind anders.
Eine Geschichte – seine Geschichte- bringt jedes Kind mit.
Es gibt Tage, da bin ich Mama- Papa- große Schwester- Kumpel, dann wieder die strenge Lehrerin, die viel zu viele Hausaufgaben aufgibt und einfach nur doof ist. Schule eben!
Ich weiß viel über meine Schüler, sie erzählen, ich höre zu, bin da, den ganzen Tag und morgen wieder.
Eine Beziehung ist wichtig, ohne geht es nicht, dann fängt Vertrauen an und häufig kommt das Lernen dann von selbst. Wir lachen viel, aber es gibt auch ganz klare Regeln und Grenzen.
Viele ehemalige Schüler kommen auch nach Jahren wieder zurück, an ihre Schule.
Sie erzählen, zeigen Stundenpläne oder Zeugnisse und holen sich einfach nur für kurze Zeit ein Gefühl des Bekannten zurück. Nachhausekommen, denke ich manchmal und fühle genauso.
Wenn ich über den Schulhof blicke, sehe ich viel weniger Schüler als früher.
Nur wenige Kinder werden an unserer Schule eingeschult. Die meisten kommen im Laufe ihrer Schullaufbahn, leider sind sie oft frustriert und müssen wieder lernen, Erfolge zu haben, etwas richtig gut zu können. Manchmal dauert es lange, zu lange, bis sie ankommen.
Ich habe selbst zwei Kinder, mein ältester Sohn besucht die erste Klasse der Grundschule.
Wir alle wollen das Beste für unsere Kinder, wir probieren alle Möglichkeiten aus, wir nutzen viele Fördermöglichkeiten. Wir lesen, diskutieren, informieren uns.
Wir sind aber auch häufig verwirrt, verunsichert, angespannt, unentschlossen, aufgebracht. Und oft geschieht auch alles zusammen!
Aber: Verliert eure Kinder nicht aus den Augen, vertraut auf euer Gefühl!
Es gibt nicht nur den einen Weg.
Aus meiner Erfahrung heraus gibt es Kinder, die brauchen einfach mehr!
Mehr Zuwendung, mehr Förderung, mehr Zeit, mehr Entwicklungsspielraum.
Für diese Kinder gibt es in den Regelschulen oft keinen Platz.
Die Förderschule als Schonraum? Ja und warum auch nicht?
Deshalb wird kein Kind in „Watte gepackt“ oder am normalen Leben vorbei beschult.
Auch wir bereiten unsere Schüler auf das Leben nach der Schule vor. Berufsorientierung und die Förderung von Interessen und Talenten und die gemeinsame Suche nach geeigneten Berufsfeldern ist ein wichtiger Schwerpunkt.
Müssen wir nicht allen Kindern gerecht werden? Wenn wir von Integration sprechen, dann müssen wir die Augen und den Blick offen halten und schauen, welcher Weg für jedes einzelne Kind der richtige ist.
Ich wünsche allen Eltern und ihren Kindern, dass sie diesen, ihren eigenen Weg finden.
Da schlägt mein Förderschullehrerinnenherz ! Schaut genau, was euer Kind braucht. Vielleicht doch erst mal den Förderrahmen als Sprungbrett in die allgemeine Schule? Oft sind Kinder in der zweiten oder fünften Klasse dafür besser gerüstet. Besonders Asperger-Autisten.
Es gibt aber durchaus Kinder, die in der allgemeinen Schule direkt gut klarkommen. Ich denke, die Aufgabe der Eltern ist hier, genau hinzuschauen, Änderungen schnell zu bemerken und den Mut haben, früh genug in andere Systeme zu wechseln, falls es nicht klappt. Es kommt natürlich immens auf die Lehrer an. Es gibt viele schwarze Schafe (in Förderschulen erstaunlicherweise nicht ganz so oft). Wie oben schon gesagt: , ein Lehrerwechsel kann Wunder wirken. Es liegt meist nicht an den Kindern 🙂
Viel Erfolg!!
Für ein Kind mit Lernschwierigkeiten ist es sicher von Vorteil auf eine Förderschule zu gehen. Dort sind die Klassen viel kleiner und es kann entsprechend gefördert werden. Immer nur hinten anstehen und nicht so schnell beim Lernen zu sein wie die andern Kinder in einer ,, normalen Grundschule“ ist für die Seele eines Kindes nicht gut. Eltern tragen hier eine große Verantwortung bei der Entscheidung Förderschule oder Inklusion. Hier geht es ausschließlich um das Wohl des Kindes. Ich bin mir ganz sicher, dass sich keine Eltern die Entscheidung leicht machen. Eine Förderschule kann auch ein Sprungbrett sein.
Inge Knodel
Danke für diesen tollen Einblick in eine „andere“ Welt. Es tut gut als sehr Außenstehende solche Sichtweisen zu lesen. Sie erweitern meinen Horizont. Danke
Super !
Ich finde den Beitrag toll, offen und ehrlich. Bei uns hier im Ort kommt man auf eine Warteliste, so einen Andrang hat unsere Förderschule. Ich stand auch schon vor der Entscheidung, mein Sohn ist selektiv mutistisch. ( 29. SSW) Wir hatten keinen guten Start in der Grundschle, da hatte ich oft Zweifel, ob das der richtige Weg war. Nach vielen, unendlich langen Gesprächen mit allen Beteiligten hat er die Grundschule mit einer guten drei bestanden. Geht nun in die Mittelschule 6. Klasse und macht seinen Weg. Wir können unsere Kinder nur leiten und nicht dauerhaft begleiten. Ein gutes Stück müssen sie allein gehen. Eine starke Familie im Rücken ist hier das wichtigste. Die immer zuhört und den nötigen Halt gibt.
Liebe Bianca, du sprichst mir aus der Förderschullehrerinnenseele :). Ich habe auch schon im Gemeinsamen Lernen unterrichtet und muss gestehen, ich bin glücklich, wieder an einer Förderschule (GG) arbeiten zu können. Es gibt halt beide Seiten, und das ist gut so. Sowohl für die Kinder als auch für uns Lehrer, denke ich.
Hallo Bianca
Da kann ich als Mutter einer geistigbeh. Tochter nur zustimmen!Christiane braucht einen beschützten Raum , früher im Kindergarten , dann in der Schule und jetzt in einer Werkstatt. Wir haben so gute Leute kennengelernt , die mit Christiane viel Zeit und Liebe investiert haben, Danke an die Fachkräfte und Sonderpädagogen !
Wir würden uns genau so wieder entscheiden , wenn wir heute vor der Frage stehen: Welche Schule ist für unser Kind die richtige!
Christiane ist heute 36 Jahre alt.
JA, ein ganz großes JA von mir zu deinen Worten! Mir geht es genauso. Auch ich bin Lehrerin an einer Förderschule und ich betreue im Mobilen Sonderpädagogischen Dienst Inklusions-Kinder und andere Kinder, die aus irgendeinem Grund an der Grundschule Schwierigkeiten haben. Wie du sagst: Inklusion ja, aber. Aber weil die Bedingungen leider oft nicht optimal sind und ein Gelingen auch ganz stark von der jeweiligen Lehrkraft abhängt. Und natürlich vom Kind, seinen Ressourcen, Bedürfnissen und seinem Umfeld. Inklusion kann gelingen und kann gut gelingen, gut sein. In manchen Fällen ist es aber gut, dass es (noch?) Förderschulen gibt. Denn für manches Kind ist das die Rettung, ist es einfach das, was es braucht. Wie du schreibst: Man muss genau hinschauen und immer wieder neu überlegen, was braucht genau das Kind, was ist gut für genau dieses eine Kind. Nicht Inklusion unbedingt für alle, genauso wenig wie Förderschule für alle. Ich sehe es eher als Individualisierung statt als Inklusion um jeden Preis. Ich wünsche allen, die an diesen Individualisierungsprozessen beteiligt sind, viel Kraft und den Mut, immer wieder neu anzufangen, immer wieder neu sich auf den spannenden Weg zu machen, immer wieder neu zu überlegen, was ist jetzt gerade das, was genau dieses eine Kind jetzt im Moment braucht. LG Elke