2007 war für uns ein Jahr vollgepackt mit Emotionen. Von Regenbogen-bunt bis tief schwarz. Alles hielt dieses Jahr bereit. Anfang 2007 war ich hochschwanger. Voll Vorfreude auf unser erstes Kind. Alles bestens bei den Vorsorgeuntersuchungen. Im Mutter Kind Pass lauter „unauffällig“ Vermerke und bespickt mit vielen hübschen Ultraschallbildern. Völlig sorgenfrei ging ich diese Schwangerschaft an. Beneidenswert naiv.
Unser erster Sohn kam eine Woche nach dem errechneten Termin auf die Welt. Auf natürlichem Weg – wie man sich das so wünscht beim ersten Baby. Komplikationen gab es keine. Zumindest keine offensichtlichen. Ich war in Gedanken eigentlich schon fast zu Hause mit unsrem Burschen, als dann plötzlich alles anders kam.
Niklas hatte an seinem fünften Lebenstag – noch im Krankenhaus – eine massive Gehirnblutung. Musste per Hubschrauber in das nächste Landeskrankenhaus geflogen werden. Es folgte eine stundenlange Notoperation. Sein Gehirn wurde stark geschädigt. Die Ärzte machten uns danach nicht viel Hoffnung. Schickten ein Krisenteam zu uns und baten eine Nottaufe an. All diese Dinge passierten, während wir noch wie in Trance waren. Betäubt vom Schicksal. Niklas hat damals wie ein Löwe gekämpft und überlebt.
Noch während unser Sohn auf der Intensivstation gelegen hat, habe ich mich erstmals in meinem Leben mit der Frage auseinandergesetzt: Was ist denn lebenswert? Wann ist man es „wert“ zu leben? Und ist es überhaupt möglich, das Leben zu genießen, wenn man behindert ist? Was ist das für ein „Leben“, wenn man vielleicht nicht einmal selbst Atmen oder Essen kann?
All diese Fragen stellt man sich nicht, wenn alles gut läuft. Aber vieles kann man sich im Leben eben nicht selbst aussuchen. Der Mensch versucht es dennoch. Das Thema Pränataldiagnostik ist ein besonders heikles. Eltern möchten „sicher“ gehen, dass alles „in Ordnung“ ist. Man hat ja schon so viele Pläne, Wünsche und Vorstellungen. Diese wollen auch erfüllt werden. Wir waren nicht anders. Sehr viel ist medizinisch schon möglich. Einiges ist unglaublich wertvoll. Oft aber wird der Eindruck erweckt, man kann sich damit einen Freibrief für ein fehlerfreies, glückliches Leben lösen. Bei all der Vorsorge wird nämlich eines vergessen: Das Schicksal macht auch vor einem perfekt genetischen Bausatz nicht Halt.
Heute ist unser Niklas acht Jahre alt. Ein unglaublich toller großer Bruder (seine Schwester Anika ist mittlerweile fast drei). Niklas mag es zur Schule zu gehen. Ist meistens gut gelaunt aber immer noch sehr ungeduldig. Er ist ein ordentlicher Dickschädel. Unser Bursche liebt Wasser und Musik und hasst es, zu basteln. Und wenn er lacht, dann verlieb ich mich jedes Mal aufs Neue in diesen wunderbaren Sohn.
Niklas ist schwer behindert – durch die Gehirnblutung. Er hat einen sehr seltenen Gendefekt – dieser nennt sich Hämophilie B. Eine Blutgerinnungsstörung mit der man eigentlich nahezu „normal“ leben kann, wenn man entsprechend Kenntnis davon hat und wenn nicht der völlig unwahrscheinliche Fall eintritt, dass ganz unbemerkt eine Gehirnblutung auftritt. Von seinem Defekt wusste damals niemand von uns.
Wir hätten vor neun Jahren nie gedacht, dass wir einmal ein schwer behindertes Kind haben werden. Und schon gar nicht hätte ich uns zugetraut, dass wir so ein Leben schaffen können und dabei noch sagen: Es ist gut so.
Unser Bursche kann nicht sprechen, er kann nicht gehen oder sich selbst aufsetzen. Nicht einmal das Kauen funktioniert. Er wird sein Leben lang auf (unsere) Hilfe angewiesen sein. Ja, unser Leben ist oft sehr anstrengend. Die Pflege, das Kämpfen um verschiedenste Finanzierungen oder die ständigen Termine rund um die Behinderung von Niklas. Der ganze Alltag ist vollgepackt mit Dingen, die gemacht werden müssen.
Aber bedauernswert ist Niklas nicht. Er wird bedingungslos geliebt. Und er hat das Privileg (fast) wertungsfrei leben zu können. Niklas spielt in einer ganz anderen Liga. Völlig abseits der Norm. (Und wisst ihr was?: manchmal beneide ich ihn darum!) Er muss nicht mithalten können – denn das kann er ohnehin ganz offensichtlich nicht. Er darf Kind/Mensch sein, ohne Druck. Natürlich wird unser Sohn gefordert und gefördert. Jeder noch so kleiner Fortschritt muss hart von ihm erkämpft werden. Aber er kämpft nur für sich. Nicht für andere. Niklas vergleicht nicht. Er macht das, wonach ihm ist. Lebt für den Moment. Und geniest diesen.
Jetzt mal ehrlich: Wer kann das schon von sich behaupten? Keine Frage – eine ganz andere Welt. Irritierend fremd. Aber absolut lebenswert! Nur etwas anders lebenswert halt……
Wer von euch ein bisserl reinschnuppern will in unsere Welt, ist herzlich eingeladen: www.niklaskainz.blogspot.co.at
Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag, auch die Reihe (Mein Leben mit dem Besonderen) finde ich ganz toll. Leider funktioniert der Link zu Niklas' Blog nicht (man kann ihn natürlich selbst eintippen), aber es wäre toll, wenn der noch korrigiert wird.
Der Artikel hat mir die Augen hinsichtlich des druck- und konkurrenzfreien Aufwachsens geöffnet. Ein wirklich schöner Gedanke! Vielen Dank dafür!
Was für ein wunderschöner Text! Vielen Dank!
jetzt habe ich zu schnell abgedrückt, der link funtioniert nicht**
ich habe gänsehaut und mir fehlen die worte,ihr seid eine tolle familie.deinen blog werde ich verfogen***
lg barbara
Gänse Haut Pur! Ein paar Tränen! ich lese auch sehr gerne den Blog von Niklas!
Danke für diese wunderschöne Wörter.
Virginie
Danke für diesen wunderbaren Beitrag ♡
Liebe Grüße von aennie
Was eine Sicht auf die Welt, das Leben und vielleicht das, was darüber hinausgeht! Ich bin mehr als beeindruckt und bedanke mich für diese erbaulichen Gedanken, Franziska
Ja, Niklas ist ein entzückender Bursche!
Und es gibt sehr viele Menschen, die Kinder wie ihn lieben. Wie mich.
Und genauso viele, die lernen können, das Besondere zu lieben. Auch wenn sie es sich nicht vorstellen konnten. Ich treffe viele Jugendliche in Ausbildungen in diesem Bereich, die super hineinwachsen,
und dann nochmal viele, die es nicht können. Deren Kinder im Alter von wenigen Jahren in betreuten WGs landen, oder zu Hause nicht annähernd entsprechend versorgt sind, weil die Familie es eben aus verschiedenen Gründen doch nicht schafft.
Diese Kinder sehe ich beruflich immer wieder und sie haben das Lachen von Niklas nie so gelernt – und dann bin ich froh um die Pränataldiagnostik. Dass es sie gibt und geben darf. Dass sich manche gegen das Besondere entscheiden dürfen. Sie tun das sicher auch nicht leichtfertig. Sie haben genauso Verständnis und Begleitung verdient dafür und dabei.
Extrembergsteigen und Hochseesegeln ist schließlich auch nicht für jeden was – und manchmal ist es genau das im Alltag mit dem Besonderen.
Anna
Ich war überrascht, als ich in der Vorschau Niklas unter Sonnea Sonnenschein sah…ich lese nämlich gerne bei ihm, wie er die Welt erlebt, über seine Freuden & über seine Sicht auf die kleine Schwester.
Danke für diesen Beitrag!
Bon week- end!
Astrid
Wenn ich mir das Bild von eurem Niklas und seiner Schwester anschaue, könnte man gar nicht denken, dass er Defizite hat. Er sieht so zufrieden aus, lacht, freut sich am Leben und an seiner Schwester, auf die er sicher mächtig stolz ist. Ich denke auch oft, mit einem Besonderen zu leben, macht es manches Mal leichter, weil die Erwartungshaltung der Anderen oft sehr niedrig ist. Und warum? Warum traut man Menschen mit einer Besonderheit nicht so viel zu? Ich finde oft können die mehr, als die vermeintlich "normalen". Ich wünsche euch alles Liebe für die Zukunft und viel Kraft. Niklas wünsche ich weiterhin so ein tolles Umfeld und noch viele Jahre voller Lebensfreude. Danke, dass du euer Leben ein Stück mit uns geteilt hast.
LG Katrin
Es ist eine sehr große Aufgabe
und ich wünsche euch viel Kraft und die Geduld,
damit Niklas sein Leben lang bei euch sein darf.
Liebe Grüße
Nähoma