Allgemein, Mein Leben mit dem Besonderen

Mein Leben mit dem Besonderen #105 Von einem anderen Stern

Heute möchte ich euch ein paar Dinge über hochsensible Menschen erzählen. Ich tue dies, weil ca. 15 % – 20 % aller Menschen hochsensibel sind, und doch viele nicht wissen, dass es diese „Hochsensibilität“ gibt. Mache wissen gar nicht, dass sie selbst betroffen sind, haben aber seit Kindheit an das Gefühl, „von einem anderen Stern“ zu kommen. Auch ich habe erst durch meine Kinder, die ebenfalls hochsensibel sind, als Erwachsene verstanden was mit mir los ist. Aber nun von Anfang an:

Kennt ihr das, wenn ihr immer wieder zu hören bekommt man solle doch nicht so empfindlich, nicht so eine Heulsuse sein und sich nicht immer alles so zu Herzen nehmen? Dann herzlich willkommen in meiner Welt! Schon als Kind hieß es oft, ich sei so verträumt und verspielt, bräuchte halt ein bisschen länger für alles. Tiere und kleine Kinder mochte ich schon immer sehr gerne, und wenn es jemand anderem nicht gut ging konnte ich extrem mitleiden, war sehr betroffen. Auf der anderen Seite konnte ich auch ein äußerst fröhliches, ausgelassenes Kind sein – alles erlebte ich sehr intensiv, sowohl Trauer als auch schöne Dinge. Immer war ich um Gerechtigkeit bemüht, und meine Eltern hatten häufig Sorge um mich, da ich mir meist „Problemfreundinnen“ suchte, das heißt Freundinnen, denen es nicht gut ging weil z.B. die Mutter sehr krank war oder Eltern sich scheiden ließen, und denen ich helfen wollte. Zu Beginn der Pubertät hatte ich kaum noch die Möglichkeit, mich um mich zu kümmern, weil ich die Schwingungen in meiner Umwelt so massiv wahrnehmen konnte. Mittags, wenn ich aus der Schule kam, merkte ich sofort, wenn meine Mutter sich wieder mit meinen Großeltern, die neben an wohnten, gestritten hatte, und anstatt meine Hausaufgaben zu machen kümmerte ich mich um sie. Mein Vater ist leider nach wie vor ein SEHR rationaler Mensch, was viel zu Konflikten und Missverständnissen führte. Ich weiß noch genau, dass ich schlechte Noten vor ihm verheimlichen wollte – nicht, weil ich Angst vor Strafen oder ähnliches hatte, sondern weil ich das Gefühl, ihn zu enttäuschen und nicht so gut zu sein wie meine Schwester, nicht ertragen konnte. Einmal hat er meine versteckte Mathearbeit gefunden und mir einen Vortrag darüber gehalten, wie enttäuscht er von mir sei, dass ich ihm nicht die Wahrheit gesagt habe. Und während ich wie ein Schlosshund heulend vor ihm saß und er mich nicht einmal gefragt hat warum ich die Arbeit versteckt hatte, hat er mich mit seinem Verhalten in meinem Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt, bestärkt. Um nicht ständig verletzt zu werden habe ich schon sehr früh gelernt, „dicht zu machen“, das heißt: mich in meine Welt zurück zu ziehen und nichts mehr an mich ran zu lassen. Meine Eltern würden heute noch behaupten, dass ich einfach nur stur war wenn ich bei Konflikten konsequent das Gespräch eingestellt habe – ich weiß heute, dass ich nur aus Selbstschutz so gehandelt habe, denn diese Konflikte waren selten von gegenseitiger Wertschätzung, sondern gerade seitens meines Vaters von einem Niedermachen meiner Person geprägt.

Und heute?

Ich bin mit einem tollen Mann verheiratet und Mutter von drei Kindern – zwei Mädchen, geboren 2010 und 2011, und einem kleinen Jungen, geboren 2015. Bei beiden Mädchen hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass sie ein sehr intensives Gefühlsleben haben. Beide Mädchen haben von Baby an ihre Umwelt ganz intensiv wahrgenommen – die Große lag mit zwei Monaten „Sit ups“ machend im Kinderwagen um besser rausschauen zu können – und benötigen Zeiten der Ruhe um wieder runter zu kommen. Sollten wir abends mal den Zeitpunkt zum ins Bett gehen überschritten haben kann es sein, dass eine Kleinigkeit dazu ausreicht, die Situation völlig eskalieren zu lassen weil die Mädels sich dann nicht mehr im Griff haben. Der Gerechtigkeitssinn der beiden ist unheimlich stark ausgeprägt, genauso wie ihr Mitgefühl für Menschen und Tiere. Schon oft mussten wir den Fernseher auch bei kindgerechten Serien/Filmen ausmachen, weil gerade die jüngere der beiden die Spannung nicht ertragen konnte und weinte. Mussten wir uns im Urlaub von lieb gewonnenen Tieren verabschieden, gab es regelmäßig Weinkrämpfe, die teilweise eine halbe Stunde Autofahrt andauerten. Freundschaften und damit manchmal einhergehende Konflikte beschäftigend und belasten beide zeitweise sehr. Nachdem letztes Jahr zwei Konflikte parallel auf mich einprasselten – die Große litt massiv unter einem Konflikt mit ihrer damals besten Freundin, die Kleine hatte massiv Albträume, die sie nächtelang hysterisch schreien und weinend durch unser Haus laufen ließen während unser Jüngster gerade mal wenige Monate alt war – begann ich im Internet zu recherchieren und kam recht schnell auf den Gedanken, dass die beiden hochsensibel sein könnten. Und während ich mich mit diesem Thema auseinander setzte, wurde mir sehr schnell klar, dass auch ich „betroffen“ bin.

Mittlerweile haben wir als Familie Strategien heraus, um mit unseren ganzen Emotionen umzugehen. Mein Mann ist zwar nicht hochsensibel, aber auch ein sehr einfühlsamer Mensch. Er hat mir beigebracht, in Konflikten nicht „dicht“ zu machen und keine Angst mehr davor zu haben zu sagen was ich denke. Trotz allem habe ich nach wie vor z.B. Hemmungen, vor anderen einen Vortrag zu halten, oder fühle mich – obwohl ich eigentlich sehr kommunikativ bin – schnell unwohl in einer Gruppe mir nicht so vertrauten Menschen.

Im Umgang mit unseren Kindern sind wir sehr bemüht, sie in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken da ich weiß, wie schnell hochsensible Kinder sich gekränkt fühlen und sich „falsch“ fühlen. Schon oft haben wir bemerkt, wie massiv gerade unsere jüngere Tochter reagiert, wenn man sie bei einem Fehlverhalten maßregelt – da ist es manchmal wirklich eine Gradwanderung, sie zu erziehen und sie trotzdem nicht in ihrer Persönlichkeit zu kränken. Bei massiven Gefühlsausbrüchen versuchen wir, die Gefühle der Kinder ernst zu nehmen und nicht klein zu reden, was manchmal wirklich nicht leicht ist, gerade wenn sich die Wut gegen einen selbst richtet. Eine Hauptaufgabe von mir ist es, nicht zu sehr mitzuleiden wenn es den Kids wegen irgendetwas nicht gut geht. Das ist bei der Kombination hochsensible Mutter – hochsensible Kinder wirklich eine Herausforderung.

Aber die Hochsensibilität hat auch gute Seiten: Hat man sein „anders sein“ einmal akzeptiert, fällt einem auf, dass man Fähigkeiten hat, die andere nicht haben. Mir ist es sehr oft passiert, dass ich schon vor einem Gespräch genau wusste, was mein Gegenüber mir sagen wollte. Vielen habe ich z.B. schon Schwangerschaften angesehen. Auch einen Unfall oder den Tod von Menschen, die ich mochte, habe ich schon erspürt. Ich habe gelernt mich von Menschen, die mir nicht gut tun und die nicht damit klar kommen wie ich bin, fern zu halten. Mittlerweile nehme ich meine Gefühle, die ich während des Kontaktes mit anderen Menschen habe, sehr erst. Denn egal was es war – Unwohlsein, Widerstand, aber auch ein sehr positives Gefühl – hatten im Nachhinein immer seine Berechtigung. Und wenn man gelernt hat, seinen Gefühlen, die vielen Hochsensiblen „abtrainiert“ wurden, wieder zu vertrauen, kann diese Besonderheit auch eine Gabe sein.

Solltet ihr rausfinden wollen, ob ihr auch betroffen seid, oder einfach weitere Informationen wollen seid ihr auf folgenden Seiten richtig:

http://www.zartbesaitet.net/survey/site.php?a=su_onepage&su_id=1

https://hsp-academy.de/hsp-test/

 

 

6 Kommentare

  1. Karin sagt

    Vielen Dank für den Artikel.Ich weiss nun auch dass ich Hab bin.Leider hat man dann nicht mehr sehr viele Bekannte da die Energien nicht zusammenpassen.Man schwimmt nicht mehr mit,wird teilweise zum Aussenseiter.Auch nicht immer optimal…

  2. Constanze sagt

    Danke für den Artikel. Obwohl ich um die HS in meiner Familie schon einige Zeit weiß, war gerade wieder viel für mich dabei.

  3. Annika sagt

    Wow, ich bin gerade … ich weiß nicht … das, was du über dich als Kind geschrieben hast, trifft zu 100 Prozent auf mich zu! Leider auch das mit dem Vater. Ich habe oft das Wort „Mimose“ zu hören bekommen. Crass! Wow!

    Heutzutage gehen mir Schicksalsschläge anderer Menschen sehr nahe. Oft muss ich mitweinen (meine Spiegelneuronen) und ich habe extreme Probleme mit dem Tod naher Menschen (immer wieder und auch langfristig). Emphatisch bin ich auch und sehe das als Gabe.

    Liebe Grüße

    • Annika sagt

      Ja, die Tests waren so etwas von eindeutig!

  4. Claudia Thissen sagt

    Meine Tochter (9 J.) und ich gehören auch zu dieser Spezies Mensch. Leider habe ich es zu spät erkannt und bin dadurch in eine tiefe Depression gerutscht. Ich arbeite es jetzt mit meinem Psychotherapeuten auf und kann meine Tochter auch viel besser unterstützen. Dein Bericht ist toll. Ich teile ihn auf jeden Fall weiter, damit noch viel mehr Menschen ihre besondere Stärke auch als Stärke verstehen lernen! !!

  5. Mara sagt

    Hallo, Danke für diesen Beitrag! Ich finde mich darin absolut wieder. Meine Gefühlswelt ist ebenfalls geprägt von Extremen und zu viele Sinneseindrücke auf einmal kann ich gar nicht ertragen. Arbeite seit Jahren daran, nicht alles so sehr an mich heranzulassen. Leichter gesagt als getan! Inzwischen bin ich 21 und Studentin im bald 5. Semester. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt für die Berufswelt geschaffen bin… Eben wegen meiner Empfindsamkeit. Gleichzeitig bin ich neben hochsensibel auch noch hochbegabt… Ich wünsche dir und deinen Kindern, dass ihr mit euren Gefühlen umzugehen lernt. Der erste Schritt ist mit Sicherheit, sich so zu nehmen wie man ist. Alles Gute!

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