Allgemein, Mein Leben mit dem Besonderen

Mein Leben mit dem Besonderen #99 Rollstuhltrampolin

Guten Morgen zusammen

Wir hatten schon das eine oder andere Mal das Vergnügen, erinnert Ihr Euch?

Ich schreibe ab und an ein paar Zeilen über meinen Lieblingsbruder Nils und unsere Version des Lebens mit dem Besonderen.

Heute geht eher am Rande um Nils, auch wenn er natürlich höchst engagiert dabei war.

Ich sitze grade im Zug, es ist 6 Uhr morgens und eigentlich deutlich zu früh dafür sich irgendwo anders zu befinden als maximal am Frühstückstisch. Trotzdem habe ich es irgendwie vermisst – darf man das sagen? Das kommt wahrscheinlich auf den Kreis der Leser an.

Denn im Gegensatz zu meinen letzten Gastauftritten hier, bin ich im vergangenen Jahr im Kreis der Mütter angekommen und arbeite seit einiger Zeit wieder. Das beinhaltet Dienstreisen in die Zentrale, wo ich vor meiner Elternzeit regelmäßig war und die dann mit dem Mutterschutz natürlich abrupt endeten. Die eine oder andere Mutter, die beruflich stark eingespannt war, flüstert es, laut sagen darf man es eigentlich gar nicht – es kann ganz schön langweilig werden, wenn man plötzlich daheim sitzt. Gefesselt an den Sessel mit dem entweder stillenden oder schlafenden kleinen Wesen, das unglaublich süß ist aber in Sachen anspruchsvoller Konservation doch noch etwas Aufholbedarf hat. In der heutigen Zeit rettet einen dann entweder der Kindle oder das Internet, gelegentlich auch beides. Shoppen funktioniert dabei durchaus, ist aber gar nicht gut für das elterngeldgeschädigte Bankkonto (ich habe allerdings einen kleinen Stapel wunderschöner Tragetücher, der aus dieser Kompensationsform hervorgegangen sein könnte. Oder natürlich aus dringender Notwendigkeit.). 

In einem solchen Moment der – nennen wir es.. geringeren geistigen Beanspruchung – entdeckte ich auf Facebook den Aufruf der R+V Versicherung, unter dem #zusammentun soziale Projekte für einen Social Media Wettbewerb einzureichen und so die Finanzierung zu gewinnen. Ha! Meine Chance! Eine kurze Abstimmung mit der Lebenshilfe später, war ein Projekt gefunden. Ein Rollstuhlfahrertrampolin, das wär’s! Sozialer Hintergrund, originelle Idee und ich hatte genug Zeit alle meine Kontakte zur Abstimmung zu nötigen – ich rechnete uns Chancen aus und stellte das Projekt online. Zunächst sah es auch wirklich gut aus, die ersten paar hundert Stimmen waren schnell zusammen (Nils informierte mich regelmäßig per Whats App über den aktuellen Zählerstand) und unser Projekt hielt sich wacker auf Platz 2-3. Dann kam der Absturz. Projekte mit extremer Zugkraft wurden eingestellt und deren Stimmen gingen in die tausende. Leicht ernüchtert, schrieben wir das Thema ab. Bis.. ja, bis die E-Mail von der R+V einging „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Jurypreis gewonnen!“. Den Jurypreis? Tatsache, nachdem in einer früheren Aktion deutlich geworden war, dass viele tolle kleinere Projekte durch die reine Abstimmung keine Chance gegen große Vereine hatten, war in diesem Jahr eine zusätzliche Jurywertung eingeführt worden. Neben den drei Siegern der Abstimmung, wurden hier drei weitere Projekte ausgewählt und finanziert. Die Originalität der Idee und der soziale Hintergrund unseres Projekts hatte die Jury überzeugt und wir konnten starten. Der Kontakt zur R+V war hoch professionell und schnell waren die Formalitäten geklärt. Glücklicherweise lagen die Pläne schon fertig in der Schublade, denn drei Monate zur Umsetzung sahen plötzlich ziemlich kurz aus! Der Lieferant musste rechtzeitig liefern, es waren Bodenarbeiten notwendig (wir hatten Winter!) und, und, und. Glücklicherweise war auf unseren norddeutschen Winter Verlass und alles klappte wie am Schnürchen. Da konnte auch der Brand in der grade liebevoll eingerichteten und vor wenigen Monaten neu eröffneten Außenwohngruppe des Vereins (es wurde glücklicherweise niemand verletzt), nichts mehr dran ändern. Im Gegenteil, die Vorfreude auf das Rollstuhlfahrertrampolin tröstete etwas über die ganze Aufregung hinweg.

Vor ein paar Tagen war es nun endlich soweit, die offizielle Eröffnung stand an!

Dienstagvormittag um 11 Uhr *seufz*, aber flexiblen Arbeitsbedingungen sei Dank, funktionierte auch das (so halbwegs). 11:15 Uhr flitzte ich also mit meiner Kamera bewaffnet über den Hof der Lebenshilfe und sah erleichtert, dass alle Beteiligten grade noch für das Gruppenfoto auf dem Trampolin posierten. Nils war auch dabei und begrüßte mich natürlich angemessen schon von Weitem. Seine Begeisterung (und die seiner Mitbewohner) über meine Ankunft wurde allerdings etwas gedämpft als er feststellte, dass ich meine Tochter nicht dabei hatte – irgendwie läuft sie mir den Rang ab? Nun gut. Die Presse war da und auch ein Vertreter der R+V ließ es sich nicht nehmen, sich das vollendete Projekt anzusehen. Ich war gespannt, denn eine richtige Vorstellung wie das mit einem Rollstuhl auf einem Trampolin funktionieren würde, hatte ich auch nicht. Irgendwie wirkte das mit einem leuchtend roten Sonnensegel überspannte Gerät auf den ersten Blick auch eher unscheinbar. Ebenerdig eingebaut, sah man nur eine Art Gummigitternetz mit einer Fläche aus Fallschutzmatten drumherum. Aber es funktioniert! Wer sich im Rollstuhl bewegen kann, kann es tatsächlich selbst zum Schwingen bringen, ansonsten sorgt ein Begleiter dafür, indem er hinter dem Rollstuhl selbst auf dem Trampolin springt. Ohne Rollstuhl gelingen auch richtige Sprünge, so dass es (ggf. mit Unterstützung) nicht nur für die Rollifahrer zu nutzen ist. Das versuchten auch direkt der Einrichtungsleiter und der Vereinsvorstand und siehe da – sie hatten genauso viel Spaß auf dem Trampolin wie die Bewohner! Und die waren begeistert. Wir hatten natürlich geglaubt, dass es gut ankommen würde, aber mit dem Ausmaß der Freude hatten wir dann doch nicht gerechnet. Überall strahlende Gesichter – ich glaube, das können wir getrost als vollen Erfolg verbuchen. Selbst Nils (der so gar kein Freund schwankender Untergründe ist) ließ es sich nicht nehmen, das Trampolin zu testen und für ein Foto zu posieren. Der Teamleiter des Wohnbereichs plant nun auch schon das nächste Projekt – er möchte einen ganzen Rollstuhlfahrerparcours bauen, mit dem Trampolin als Highlight

3 Kommentare

  1. Bettina sagt

    Toll! Bin total begeistert! Das werd ich mal meiner Schwägerin weiterleiten, die Sonderschullehrerin ist. Danke für den Beitrag!

  2. Anja sagt

    Hallo!
    Ich bin immer wieder beeindruckt von solch optimistischen und kreativen Menschen, die in der Lage sind alle um sich herum mit zu reißen und zu motivieren.
    Du machst deine Umgebung bunter und fröhlicher und deine Idee hat auch andere angespornt weiter zu machen (und einen ganzen Parcours zu entwerfen).
    Ohne Alltags-Helden wie dich, wäre die Welt nur halb so schön. Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!

  3. GRATULATION! Das klingt nach einem besonders gelungenen Projekt. Der Rollstohlfahrerparcour klingt auch sehr lohnenswert. Ich hab eine bildliche Fantasie, ich kann die Freude des Augenblicks und das Lachen förmlich hören.
    Hoffentlich hast du noch weiterhin so zauberhafte Ideen. LG Vivo

Kommentare sind geschlossen.