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Mein Leben mit dem Besonderen #91 Beziehungswaise

Ich bin 24 Jahre alt und hatte noch nie einen Freund. 

Aber ich fange lieber etwas weiter vorne an… geboren worden bin ich in die Arme meiner Mutter, zu der ich auch heute noch eine sehr enge Beziehung habe. Einen Vater gibt es zwar, den kenne ich aber kaum. Mein Opa ist früh gestorben und mit der restlichen Familie habe ich relativ wenig Kontakt.
Später war ich auf einem Mädchengymnasium  und habe einen sehr frauenlastigen Beruf ergriffen – ich bin Erzieherin. Männer waren also immer „fremde Wesen“ für mich – und ja, das Lied von den Wise Guys darf gerne mitgesungen werden 😉

In meiner Ausbildung habe ich mich mit dem einzigen Kerl aus der Klasse angefreundet. Er ist ein sehr besonderer Mensch und wir hatten eine sehr besondere Beziehung zueinander, die am Ende durch zu viele Gefühle (positive und negative und das von uns beiden) und ein paar anderen Faktoren zerbrochen ist – und mein Herz gleich mit. Heute blicke ich aber mit einem Lächeln auf zwei ganz besondere und schöne Jahre zurück… 🙂

Mittlerweile ist es für mich normal geworden, freundschaftlich oder kollegial mit Männern umzugehen. Aber wenn ich jemanden neu kennenlerne (was selten genug vorkommt!), landen wir quasi direkt in der Freundschaftsschiene (was dann auch nicht hält), mehr ist nie daraus geworden.

Ich kenne es nicht, ein „Ich liebe dich“ zu hören.
Ich kenne es nur, „Lass uns Freunde sein“ zu hören.

Ich kenne es nicht, begehrt zu werden.
Ich kenne nur freundschaftliche Umarmungen.

Ich kenne kein blindes Vertrauen, kein sich-fallen-lassen.
Ich kenne es nur, abgelehnt zu werden.

Ich kenne kein „du bist wunderschön“.
Ich kenne nur meine eigenen negativen Gedanken, wenn ich in den Spiegel schaue.

Ich kenne keinen Streit und anschließende Versöhnung, kein Erzählen vom Tag und Zuhören, kein nebeneinander einschlafen und aufwachen.
Ich kenne es nur, alleine zu sein.

Ich bin zur Einzelgängerin geworden und habe mich in mein Schneckenhaus zurückgezogen, aus lauter Angst, schon wieder enttäuscht zu werden und eine weitere Narbe davonzutragen. Wenn ich nicht in meiner gewohnte Umgebung bin, in der ich mich sicher fühle (z.B. auf der Arbeit), fällt es mir schwer, auf neue Menschen zuzugehen und sie kennenzulernen. Freunde habe ich sehr wenige, es sind eher Bekannte. Aber wen rufe ich an, wenn es mir mal richtig mies geht?
Mir ist klar, dass sich mein Problem dadurch nicht verbessert, aber ich lerne dazu, z.B. zu unterscheiden, „verliebt in die Person“ oder nur „verliebt in die Tatsache, dass da jemand ist“ – gar nicht so einfach!

Manchmal komme ich ganz gut damit zurecht und habe die Hoffnung, dass mir irgendwann der Mann meines Lebens über den Weg läuft, der mich so nimmt wie ich bin und mit dem ich eine Familie gründen kann.
Aber manchmal verkrieche ich mich über Tage in meinem Bett, weine viel und sehe völlig schwarz, dass mich irgendwann mal jemand liebt. Dann rede ich mir ein, dass ich ein ganz schrecklicher Mensch bin, hässlich, fett und unscheinbar. Mich wollte ja schließlich noch nie jemand, warum sollte sich das je ändern?

Meine größte Hoffnung ist zugleich auch meine größte Angst. Jemanden in mein Leben lassen? Er könnte wieder gehen und eine riesengroße Lücke hinterlassen.  Viele Dinge zum ersten Mal erleben –  erster Kuss, erstes Mal zusammen einschlafen, erstes Mal Händchen halten in der Öffentlichkeit, erstes Mal den Eltern vorgestellt werden, erstes Mal zu hören „das ist meine Freundin“, erster großer Streit und so vieles andere – andere erleben diese in der Pubertät, ich erst mit Mitte 20. Ja, ich habe da Angst vor! Denn ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, während mein Gegenüber diese Dinge sicher schon kennt – wenn auch nicht mit mir. Mache ich was falsch? Mache ich mich lächerlich?

Ich habe einen wunderbaren Beruf, den ich über alles liebe genauso wie die tollen Kinder mit und ohne Behinderung, die ich ein paar Jahre während ihrer Kindergartenzeit begleiten darf und die mir sehr ans Herz gewachsen sind. Ohne diese vielen Glücksmomente hätte ich sicherlich schon aufgegeben, denn die Kinder zeigen mir immer wieder, dass ich doch liebenswert bin. Klar sind die Zwerge richtige Energieräuber, aber sie geben auch so viel zurück, mit Worten, Blicken, Kunstwerken, einem vertrauensvollen auf-den-Schoß-klettern oder einfach nur einem Lächeln 🙂

Das alles einmal aufzuschreiben und nicht nur im Kopf und im Herzen mit mir herumzutragen, hat mir schon sehr geholfen. Vielleicht fühlt sich ja sogar jemand angesprochen oder sogar verstanden?

Dir, liebe Katharina, vielen Dank für diese tolle Rubrik, die ich immer wieder gerne lese! Ich schaue gerne auf deinem Blog vorbei, verfolge, wie es Sonea und dem Löwen geht und versetze ich mich auch mal in die Elternsicht 😉 durch deine Texte kann ich oft manche „meiner“ Eltern besser verstehen, die ein Kind mit Behinderung haben.

10 Kommentare

  1. Hallo 🙂
    Ich lese hier eigentlich still mit…
    Möchte dir nur sagen, dass ich ’so einen‘ Mann geheiratet habe. Vor 14 Jahren 🙂 Wir haben die große Liebe gefunden, haben mittlerweile zwei kleine Jungs.

    Lebe dein Leben, versteife dich nicht auf das eine Thema… Du bist noch so jung, hast noch alle Möglichkeiten offen… Lass es krachen 😉

  2. Und ich komme jetzt mal „klugscheißerisch“ daher.
    In 4 Monaten werde ich nämlich schon 60 und kann dir sagen, es hört nie auf das ewige Suchen und Gesucht werden. Du wirst in deinem Leben noch ganz viele Menschen kennen lernen und ganz bestimmt ist auch mindestens einer dabei, der als Deckel zum Topf passt.
    Ich bin gerade in der Phase, in der ich mit fast 60 nochmal ganz neu anfangen muss. So schwer das für mich auch ist, irgendwann werde ich es schon geschafft haben.
    Und so blöd es sich anhört, ich als alte Frau werde vielleicht auch nochmal jemand kennen lernen, mit dem ich das letzte kleine Stück des Lebens zu Ende gehen kann.
    Auch wenn ich gerade in einem tiefen Loch sitze und nicht weiß, wie ich mein Leben gerade geregelt bekomme.
    Nicht die Hoffnung aufgeben, es wird schon …

  3. Hannah sagt

    Hey, ich kann sehr gut verstehen, wie du dich fühlst. Ich bin 25 und hab zwar schon einige Erfahrungen gemacht, aber hatte auch noch keinen Freund…. nur Kerle, die keine Beziehung wollten…nur ONS oder friends with benefits… frustriert langsam echt sehr, da ich mich schon frage, was so schlimm an mir ist, dass es nie für eine Beziehung reicht … ich hoffe, dass du bald jemanden kennenlernst. Viel Glück und alles gute.

  4. Krass. So viele Gemeinsamkeiten. Ich weiß ganz genau wie du fühlst. 24 erzieherin keinen Freund einsam mit den selben gedanken wie aus meinem herz geschrieben. Zwar hatte ich einen vater aber der rest passt fast perfekt zu mir. Vielleicht magst du ja mal mit mir schreiben lg. Lisa

  5. Victoria sagt

    Hej,
    dieser Text hätte so ähnlich auch vor ein paar Jahren von mir kommen können.
    Du bist also nicht die Einzige, der es so geht. Eher im Gegenteil, ich kenne einige Leute mit ähnlichen Problemen.
    Ich würde dir gerne sagen, wie man es überwindet. Aber leider gibt es dafür kein Rezept. Aber nach vielen gescheiterten Annäherungen kam ich mit 26 mit meinem jetzigen Freund zusammen. Aber auch das war ne gar nicht so einfach. Denn eigentlich wollte in dem Fall ICH nur mit ihm befreundet sein. Aber so nach und nach, Schritt für Schritt haben wir es doch darauf eingelassen und es miteinander versucht. Mittlerweile sind wir fas 1,5 Jahre zusammen. Auch er hatte vorher keine Freundin.
    Es ist nicht immer leicht, aber ich denke, dass das eher an unseren Persönlichkeiten liegt als an der Tatsache, dass wir vorher keine Beziehungen hatten.
    Also mach dir keine zu großen Sorgen, irgendwann klappt es bestimmt und dann ist es umso schöner. Ich wünsche dir von Herzem alles Gute und das du bald deine große Liebe findest.

  6. Anonym sagt

    Ich lese immer sehr gerne diese Rubrik, weil sie mich sehr anspricht.
    Heute besonders.
    Ich kenne das sehr gut, wovon Du erzählst. Ich hatte meinen ersten näheren Kontakt zu Männern mit 27 (also hast Du noch ein bischen Zeit 😉 und ich bin Erzieherin und Sozialpädagogin.
    Ich komme aus einer Familie in der die Frauen an der Macht waren. Mein Vater war zwar da, hatte aber keine Stimme.
    Ich hatte teilweise auch totale Panik. Panik nie einen zu bekommen, nicht toll genug zu sein, ewige Jungfrau, hässlich zu sein, beziehungsunfähig zu sein…das hat mir am meisten Angst gemacht. Alle drumherum hatten einen Partner oder wenigstens mit 16 mal geknutscht… Ich wusste nicht mal wie sich küssen anfühlt. Ich hab mich als absolute Aussenseiterin gefühlt.
    Ich bin inzwischen 39, seit 9 Jahren mit meinem ersten Freund glücklich (mit ganz normalen Aufs und Abs) zusammen. Inzwischen sind wir verheiratet, haben zwei Kinder und ein Haus gebaut (voll das Klischee).
    Aber wie hab ich das geschafft? Ich habe den Konfrontationskurs gewählt. Ich bin sehr oft tanzen gegangen, hab mich bei insgesamt 6 Singlebörsen (in 6 Jahren) angemeldet, habe um die 30 sehr schräge und weniger schräge Männer (näher) kennen gelernt und nebenbei meine Scheu abgebaut. Am Anfang hat das Schreiben schon Überwindung gekostet…dann das Telefonieren…Treffen haben mir dann fast schon die Luft geraubt.
    Ich habe mich da langsam ran getastet. Nach zwei sehr wilden Jahren habe ich dann mit 30 Jahren meinen heutigen Mann kennen gelernt…wir hatten beide keine Lust mehr jemanden kennen zu lernen und doch hat es gefunkt.
    Aus dem Netz gezogen sozusagen.

    Jetzt gucke ich lächelnd auf diese Zeit zurück. Aber es war nicht leicht den Anfang zu machen.

    Ich drücke Dir die Daumen und wünsche Dir ganz viel Mut und Spaß beim entdecken Deiner Person.

  7. Christiane sagt

    Ich wünsche dir, dass du irgendwann ohne Angst und Hemmungen auf neue Menschen zugehen kannst. Es lohnt sich, also gib nicht auf! Liebe Grüße, Christiane

  8. Danke für deinen Mut, ein wenig von deiner Geschichte zu erzählen! Du bist in jedem Fall liebenswert!

  9. Ani lorak sagt

    Hallo. Ich denke, gut ist es, sich das einzugestehen. Mut gehört dazu, auf jemanden einzugehen, aus sich herauszugehen. Aber was hast Du zu verlieren? Mut wünsche ich Dir und den hast Du bewiesen. Wenn es zu schmerzlich, zuviel Angst vor Gefühlen ist, dann ist es ein Weg eine gute Freundin zu haben? Ich habe 2 Kinder und unser Sohn tut sich schwer mit Kontakten dabei steht er sich selbst im Weg. Er hat eine intakte Familie, ist Klassenbester, sportlich und gutaussehend, im Verein aber ich vermisse für ihn den besten Freund. Vielleicht ist der fehlende Vater ein Grund, vielleicht nicht. Ich wünsche Dir Mut und gebe nicht auf, suche Kontakt zu Menschen. Bleibe Dir treu, sei Du selbst und es wird sich jemand finden. Glück wünsche ich Dir!

  10. Alexandra sagt

    Danke für deinen sehr emotionalen Beitrag…ich bin mir sicher, dass du nicht die Einzige bist, der es so geht. Ich wünsche dir, dass du irgendwann ohne Angst eine Beziehung eingehen kannst…es lohnt sich!

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