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Mein Leben mit dem Besonderen #74 Integrationshelfer

Lang ist’s her…… (16 Jahre)

Zwischen meinem Abitur und dem Beginn meiner Ausbildung bzw dem Praktikum vor der Ausbildung lagen ca. sechs Monate. Meine Mutter stellte mich vor die Wahl: Such Dir einen Job oder führe den Haushalt (5 Personen). Da ich damals auch schon wusste, dass ich eigentlich nichts anderes arbeiten wollte, als in meinem zukünftigen Beruf, entschied ich mich für den Haushalt.

Ich meisterte alles zur Zufriedenheit meiner Mutter und es machte sogar Spaß :).

Eines Tages kam sie dann allerdings doch noch mit einem Jobangebot. Jemand aus unserer Kirchengemeinde hatte ihr das für mich, als Überbrückung, angeboten. Relativ gutes Geld, für wenig Arbeit und es blieb noch Zeit für den Haushalt.

Also sagte ich zu!

Fortan war ich für den 11 jährigen Jens zuständig. Ups…. Mit Kindern konnte ich doch so gar nicht!! Alle Babysitterversuche waren im Keim erstickt worden. Und nun?? Ein Junge….. und auch noch behindert…… Ich fühlte mich dann doch überfordert. Bis dahin bin ich niemals mit Behinderten in Berührung gekommen. Ich hatte mal welche gesehen, aber niemals jemanden kennengelernt.

Nun war ich also für Jens zuständig, bzw. dafür, dass er mit seiner Behinderung an einer ganz normalen Regelschule die 5. Klasse besuchen konnte.

Leider weiß ich nicht mehr welche Behinderung er hatte.  Aber körperlich. Ihm waren die Finger und Zehen zusammengewachsen, die operativ getrennt wurden, er sah auch etwas komisch aus und hatte dazu Glasknochen. Sorry, dass ich es nicht besser beschreiben bzw. benennen kann..:(

Jens war ein äußerst cleveres Kerlchen. Es war so was von gerechtfertigt, dass er die Realschule besuchen durfte.

Allerdings wusste er auch genau, wie er seine Behinderung zu seinem Vorteil einsetzten konnte, wenn er keine Lust auf etwas hatte.

In den wenigen Monaten, die ich Jens begleitet habe, habe ich es geschafft ihn in seine Klasse zu integrieren. Viele Gespräche hatte ich mit seinen Eltern und den Lehrern und mit ihm selbst.

Ich war ja erst 19, hatte eigentlich keine Ahnung vom Leben und schon gar nicht von Erziehung und Integration, aber mein Gefühl hat mich geleitet. Das war eine sehr erstaunliche Erfahrung. Ich sah, wie ich mit Feingefühl und dem was ich von meinen Eltern als soziales Miteinander gelernt hatte – zumindest kurzfristig – ein kleines Leben verändern konnte.

Jens blühte auf, er wurde akzeptiert, weniger gehänselt und auch seine Eltern begannen auf einer anderen Ebene mit ihm umzugehen. Er wurde nicht mehr nur verhätschelt, den ganzen Tag in Watte vor dem PC geparkt und im Rollstuhl herumgefahren. Denn Jens hatte nun Freunde, er konnte super Laufen und Rennen. Auch seine schulischen Leistungen wurden besser, weil er nicht mehr nur blockierte…….

Leider war das alles nicht von Dauer…. 🙁

Seine Eltern gehörten nicht zu den Menschen, die gerne Hilfe annahmen und sich Tips geben ließen. So war innerhalb kürzester Zeit jede Bemühung wieder zunichte gemacht. Seine Eltern verfielen wieder in die alten Muster und man konnte gar nicht so schnell gucken, da igelte auch Jens sich wieder ein….

Zu dem Zeitpunkt musste ich den Job leider wieder abgeben, da nun meine Ausbildung bzw. mein Praktikum beginnen sollte.

Ich übergab ihn an eine andere Frau aus unsere Kirchengemeinde, habe aber seitdem leider nie etwas von Jens gehört.

Inzwischen ärgere ich mich, dass ich niemals nachgefragt habe.

Aber eins weiß ich!! Integration UND Integrationshelfer sind sehr wichtig.

Meine eigenen Kinder sind zumindest in Integrationskindergärten gegangen, bzw gehen dort hin. Bei der Großen gab es leider kein Integrationskind. Aber beim Kleinen: Von Trisomie 21, über ADS, ADHS, andere Verhaltensaufälligkeiten, Sprachprobleme, körperliche Behinderungen jeglicher Art, mit und ohne Rollstuhl, mit und ohne Arme und Beine.

Und es ist ein Gewinn! Mein Sohn wächst mit diesen Kindern auf und er lernt, wie man sie als ganz normale Menschen sieht. Den Kindern wird von vornherein nicht anerzogen, dass man stichelt und hänselt, wenn jemand anders ist. Sie gehen alle gleich miteinander um, helfen einander und lernen von einander.

Wir sind sehr froh über diesen Kindergarten!

Und ich weiß nicht, ob es für mich ein so entscheidender Auswahlpunkt geworden wäre, wenn ich die Monate mit Jens nicht verbracht hätte.

Leider sehe ich auch in unserer Kita, dass man um Integrationshelfer kämpfen muss. Manchmal werden sie einem einfach nicht gestattet, aber das macht nichts, denn in diesem Kindergarten geben von der Küchenfrau bis zur Leitung alle ihr bestes um diese Kinder aufzufangen, auch ohne Integrationshelfer.

1 Kommentare

  1. Anja sagt

    Ich finde es sehr schön, dass du schon in jungen Jahren für ein „besonderes“ Kind da gewesen bist.

    Zur Kritik an den Eltern möchte ich aber gern noch was sagen: Wer ein „besonderes“ Kind hat, steht unter einem ganz immensen Druck.
    Man muss sich für „alles und jedes“ entschuldigen und erlebt so viel Ausgrenzung, dass es kaum zu ertragen ist.
    Alle Welt (besonders diejenigen, welche keine entsprechende „Fachausbildung“ haben und daher kaum kompetent „mitreden“ können) redet einem in die Erziehung ein, kommt hier mit (wohgemeinten, aber in der Praxis nicht immer umsetzbaren) Tipps/Ratschlägen.
    Als Eltern eines „besonderen“ Kindes wird man geradezu von einer „Informationsflut“ erschlagen, doch nur leider sind wenige dieser Informationen tatsächlich 1:1 auf das „besondere“ Kind übertragbar.

    Nichtsdestotrotz ehrt es dich, dass du dich eine Weile um dieses Kind gekümmert hast.

    Es gibt noch zu viele Menschen, die „wegschauen“ und dafür plädieren, dass „besondere Kinder unter ihresgleichen bleiben“.

    Alles Gute!

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