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Mein Leben mit dem Besonderen #69 Die verhöhnte Diagnose

Hallo ich bin Yve und 32 Jahre und habe zwei soweit gesunde Mäuse, die heute 6,5 und 4,5 Jahre sind.

Unser Leben änderte sich von Grund auf an dem Tag als uns das Wort „ besonders“ entgegenflog. Ich konnte damit nie etwas anfangen. Warum ist sie besonders? Besonders nett, besonders schlau, besonders anstrengend. Was ist BESONDERS? Diese Worte schossen mir so oft bei folgenden Gesprächsodyseen in den Kopf.

Meine Tochter hat ADHS mit sozial emotionaler Störung, Wahrnehmungsstörung und leichten autistischen Zügen. Der Weg dorthin war sehr lang. Unsere Seraphina war schon als 1,5 Jährige auffällig. Immer anders. Mein Mann und ich konnten mit 1,5 Jahren schon keine Unterhaltung mehr führen in ihrer Nähe. Seraphina redete den gesamten Tag und wütete. Entweder schmiss sie sich hin oder brüllte. Ihr Spielverhalten war auch immer gleich: Sie schob zwei Autos hin und her. Ich erinnere mich noch an einen Kindergeburtstag, da war sie frisch 3 Jahre und sprachlich immer schon weit voraus ihrem Alter. Der Satz „ Alle Kinder tun wieder was man ihnen sagt, nur Seraphina nicht“. Sowas sitzt, sowas tut weh und trifft jede Mama an ihrer empfindlichsten Stelle.

Immer wenn ich sie vom Kita abholte gab es Bock Exzesse. Ja man sah solche Exzesse auch mal bei anderen gleichaltrigen, bei denen war es eine Phase. Bei uns Dauerzustand. Es endete einfach nicht. Wir kamen an Grenzen mit ihr, welche wir nie für möglich hielten. Trotzdem kam nie ein Wort, dass Seraphina nicht der Norm entspreche. Heute weiß ich, dass es an der 1 zu 1 Situation lag, in denen sie noch heute ausschließlich positiv auffällt und sich eben dann keiner vorstellen kann, dass sie in Gruppen nicht klar kommt.

Mit dem Umzug in einen neuen Kita, begann der Spießrutenlaufen: „ Ihre Tochter ist Besonders! Aber wir kriegen das schon hin“, war der erste Satz nach ein paar Wochen. Irgendwann folgten tägliche Gespräche, teils auch vor Seraphina. Es zermürbte Tag für Tag. Viele Gedanken standen im Raum in den fast täglichen Gesprächen mit Erziehungshilfe, Kita, Kinderarzt und der angefangenen Ergotherapie.

Hochbegabung, ich las mich Nächte lang ein. Und dachte, das ist es! Es passte so vieles auf ihr Verhalten. Allerdings ist sie nur sprachlich weiter als andere und konnte Zusammenhänge erstellen die wirklich um Jahre voraus waren. Asperger Autismus, Hochbegabung und dann eben auch ADHS/ADS standen im Raum. Eine ganz lange Untersuchungsreihe begann. Ich möchte dies hier abkürzen und schreiben, dass es eben ADHS war was rauskam. Und es wurde ziemlich genau geschaut, denn alle waren wirklich begeistert von Seraphina. Dem kleinen klugen freundlichen Mädchen, dass eben aber unberechenbar ist.

Mal sprang sie einer Ärztin einfach ans Bein. Mal veräppelte sie eine Ärztin regelrecht. Beeindruckte teils mit Wissen, teils mit Nicht Wissen. Wir sind danach direkt in einer zweite Testung, die exakt mit dem gleichen Ergebnis endete. Seraphina hat ADHS! Eine Krankheit die in Deutschland verhöhnter nicht sein könnte. Eine Krankheit für die fast keiner Verständnis hat, weil es sie ja angeblich nicht gibt. Und ich bin mir sicher, jeder der Seraphina nur einen Tag Betreuen würde, würde wissen, dass es ADHS eben doch gibt und es bei jedem anders verläuft.

Momentan sind wir in Odysseen der Schulfindung. Inklusion gibt es oft nur auf dem Papier. Seraphina, mein wissbegieriges freundliches aber sehr anstrengendes Mädchen, das kaum allein klar kommt, soll gleich in eine Förderschule kommen, damit auch ja wieder keine Chance auf Inklusion ist. So wie es für die Gesellschaft am einfachsten ist. Mein armes Mädchen, ich wünsche ihr fast, schnell erwachsen zu werden und ihre eigenen Strategien zu finden, damit zu leben! Aber wir werden weiter kämpfen auch wenn wir mit unseren Kräften wirklich am Ende sind.

10 Kommentare

  1. Hallo Yve,
    Kinder mit Autismus haben gute Chancen, einen Integrationshelfer zu bekommen. Als Eltern ist man aber dazu verpflichtet, sich darum zu kümmern. Mein Tipp: nicht los lassen!
    I-hilfen werden übrigens unabhängig von der Schulform bewilligt.

    Ich kann verstehen, dass eine Förderschule oft abschreckend klingt. Aber hier arbeiten nunmal Experten für Kinder mit Förder- und Unterstützungsbedarf. Hier haben Lehrer mehr Freiraum individuell zu arbeiten. Schau dir das ruhig mal an!!
    Liebe Grüße
    Anne

  2. Ute sagt

    Ich schreibe Dir um Dir viel Kraft zu wünschen, und vielleicht kann ich auch etwas Hoffnung verbreiten, mein Sohn ist heute 25, studiert, und es geht ihm auch sonst gut. In vielem was Du schreibst , finde ich uns auch wieder, Nicht in Kindergarten/Schule gehen wollen, dann Odysee mit Ärzten /Lehren Therapeuten…..Wir haben zwar nicht die Diagnose ADHS, dafür leichtes Asperger,und eigentlich wußten sie es nie, wie sie es diagnostizieren sollten. Ich hörte nur ständig den Satz: “ So ein Kind hatten Sie noch nie“, und wenn Du das ständig hörst, auch von Psychotherapeten ( wo Du Dich dann fragst, was für ein einzigartiges Kind Du da geboren hast?)dann kommst Du einfach an Deine Grenzen. Jetzt nach ca 24 Jahren kann ich sagen, ja ich habe ein einzigartiges KIND GEBOREN; EINES das einfach nicht in die Norm der Gesellschaft passt, und deshalb überall aneckt, und ich bin so froh, das ich es geboren habe, nur wünschte ich mir im Nachhinein, mehr Gelassenheit (aber das ist eben leichter gesagt, als getan. Und das wichtigste, nicht vergessen, was für sich selber und die Geschwister zu tun, denn das geht meistens unter. Ein Therapeut hatte mir mal gesagt.Aus Ihrem Sohn wird mal was, und dieser Satz hat mich immer begleitet, und er hatte einfach recht! Deshalb wünsche ich Dir viel Gelassenheit und denke auch ruhig mal an Dich und wie toll Du jeden Tag meisterst!

  3. Anja sagt

    Liebe Konstanze.

    Gucke dir doch mal unverbindlich eine Förderschule an. Da würde er akzeptiert, wie er ist und an sich selbst gemessen.
    Was ist schlimmer: der Förderschulstempel oder eine kaputte Kinderseele?

    Anja, mit Herz und Seele Förderlehrerin ES

  4. Eve sagt

    Ach, ich kann mich nur den vorherigen Kommentaren an schließen.
    Wir haben einen Sohn mit ADS Typ verwirrter Professor.
    Zum Glück aufgrund familiärer Vorgeschichte früh erkannt und behandelt.
    Zum Glück ist Lernen seine Passion, so daß die schulischen Belange bei ihm nicht alleine im Fokus sind.
    Ich drücke Euch die Daumen daß ihr einen guten Weg für Eure Tochter findet.

  5. Stefanie sagt

    Oh yve, du schreibst mir so aus der Seele, auch wir haben diese Odyssee hinter uns, diesen Kampf um Therapien, diese Blicke, diese zurueck Haltung und auch skeptische, adhs gibt es ja nicht. Die Mama ist mit der Erziehung überfordert. Das ausgrenzen teilweise des Kindes. Der stempel den sie aufgedrückt bekommt, als haette sie eine ansteckende Krankheit. Nach 3 Jahren habe ich nun ein gutes Netzwerk um uns herum. ..sie schafft es Freundschaften zu schließen, ist von Anfang an in einer normalen Grundschule, mit integrationshelferin. ..hat zum glueck eine engagierte Lehrerin. Hat allerdings auch Medikamente, weil es ohne gar nicht mehr ging. Aber sie ist immer noch Sie selbst. Nicht gedämpft oder ruhiggestellt, wie ja viele denken, wenn ein Kind medis bekommt. Kämpfe weiter fuer dein Kind. Ihr schafft das, auch wenn man an psychische Grenzen kommt. Das kenne ich nur zu gut. Mach mal eine mu – Kind Kur. Das hat uns sehr geholfen, auch nochmal näher zusammen zu kommen. Hier ist noch nicht alles golden, aber es wird und wird besser, in kleinen Schritten, auch wenn es zwischendrin immer mal 3 Schritte zurueckgeht.

  6. Du beschreibst meine Tochter. Wir haben mit 2 Jahren die Diagnose Autismus und schwer ausgeprägtes ADHS erhalten. Seit einem halben JAHR bekommt sie Therapie und da wurden wir nun darauf hingewiesen, dass evtl. Noch eine Hochbegabung hinzu käme. Feststellbar ist dies aber erst in 2 Jahren. Ganz ehrlich, dass Päckchen braucht unsere Maus nicht auch noch. Ich verstehe euch, es kostet unglaublich viel Kraft. Ihr großer Bruder ist frühkindlicher Autist und nonverbal aber bei weitem leichter zu handhaben. Wir werden jetzt schon eine medikamentöse Einstellung vornehmen müssen, da sie selbst im Schlaf nicht mehr zur Ruhe kommt. Am schlimmsten finde ich eigentlich die Ausgrenzung und die Isolation, durch das Unverständnis der anderen. Sie wird nicht eingeladen und ist immer ganz traurig, wenn alle anderen in der Kita die Einladungskarten im Fach haben, nur sie nicht. Das schmerzt sehr.

  7. Konstanze sagt

    Du schreibst mir aus der Seele.
    Mein Sohn hat auch ADHS-anfangs dachte ich naiverweise nich, die Diagnose würde uns irgendetwas bringen. Bringt sie auch-zuallererst dumme Kommentare und Augenrollen. Und super Tipps. Der Zucker ist es, der Fernseher, den wir nicht haben, mangelnde Bewegung, fehlende Struktur zu Hause… Die Liste der Schnellschüsse ist endlos, manchmal hab auch ich dann Schwierigkeiten mit meiner Impulskontrolle…
    Schule, ja Schule ist auch so ein Thema.
    Wir waren ehrlich, haben die Diagnose bekannt geben: seitdem muss mein Sohn für alles herhalten. Einen Schulbegleiter, den der Psychiater unterstützt hätte, will die Lehrerin nicht-kann ich zwar erzwingen-aber will ich das?
    Da bin ich uneins mit mir und meinem Mann. Also weint mein Sohn weiter, jeden Morgen und Abend- er will nicht in die Schule. Da muss er nämlich jede Woche in der fünften Stunde die selben Regeln abschreiben, damit er sie endlich lernt. Die anderen Spielen derweil Spiele.
    Damit er auch nie vergisst, dass er dauernd auf dem „Blitz“ für schlechtes Benehmen sitzt, hat die Lehrerin ihm als Kennwort für das Leseprogramm auch gleich Blitz verpasst.
    Therapien, ja das ist auch so ein Thema. Eins- zu eins klappt nämlich super. Gruppen bis zu fünf Personen, das scheint hier eine typische Gruppengröße, ist er von zu Hause täglich gewöhnt, das geht auch noch.
    Also gilt er seitens der Kasse als austherapiert.
    Was macht das mit mir? In erster Linie Angst. Wie soll das weitergehen? Ich höre täglich die Kommentare meiner Lehrerkollegen über deren Schüler mit Adhs, dass macht mir noch mehr Sorgen.
    So negativ wie die Rückmeldungen an mein Kind sind, die viele Ablehnung die er erfährt, leider auch häufig Zuhause wenn unsere persönlichen Grenzen erreicht sind, was macht das mit ihm?
    Ich fühle mit euch und wünsche euch einen besseren Start in die Schule.

    • Hallo Konstanze! In NRW beantragen die Eltern einen Schulbegleitet/ integrationshelfer!
      Könnt ihr nicht mit der Lehrerin und der Schulleitung plus Therapeut nochmal einen runden Tisch einberufen? Da können alle nochmal sagen, was sie sich wünschen, was dafür/ dagegen spräche?!
      Wenn der Begleiter eine gute Lösung wäre, wird sich eine Lösung zum Wohle eures Sohnes finden!!

      Wünsche euch eine gute Lösung!
      Viele Grüße, Vanessa

    • Ich möchte dich gern ermutigen das NEIN der Lehrerin zu einem Schulbegleiter nicht zu akzeptieren und vielleicht über einen Kontakt mit einer Lehrerin/Schulleitung/Schulamt/medizinischer Dienst, die Erfahrung damit hat die jetzige Lehrerin zu ermutigen es doch zu versuchen, oder in einer andere Klasse doch etwas erreichen zu können. Das ein Kind Angst hat vor der Schule darf einfach gar nicht sein. Als Lehrerin war mit das erste Mal mit einem schulbegleiteten Kind das Autismus und ADHS hat auch sehr sehr mulmig, aber ich habe versucht mir Unterstützung zu holen, viel mit den Eltern zu kommunizieren (die ja die Experten für ihr Kind sind) und so ist nach und nach ein sehr verängstigtes Kind mit vielen (völlig unerfahrenen und teils auch sehr alleingelassenen von offzizieller Seite) Lehrern in die Klasse und die Schule und den Alltag hineingewachsen und wir freuen uns alle darüber, dass es geglückt ist (nach vier Jahren GS und vier Jahren Gym Schulbegleitung nun seit einem Jahr in der neunten Klasse ohne alles und es klappt, juhu). Auch im neuen Jahr erwartet uns wieder eine solche Aufgabe, der ich persönlich nach den gemachten Erfahrungen nun deutlich gelassener entgegen sehen kann. Ich hoffe das die Reaktionen und Aktionen eurer Lehrerin keine allgemeine Berufseinstellung sind, sondern „nur“ Ausdruck ihrer Hilflosigkeit und ich hoffe sie kann Hilfe bekommen und das ändern. LG Ingrid

  8. Ani Lorak sagt

    Hochachtung. Ich glaube, es zermürbt eine Diagnose zu suchen und zu finden. Ich wünsche Euch viel Kraft, die Tochter zu unterstützen und Ausdauer! Drücke die Daumen, dass es eienn guten Weg für Euch gibt. Kann verstehen, dass Ihr wünscht, dass sie erwachsen wird, aber Kindheit soll unbeschwert und schön sein. Ich wünsche Euch Bullerbü! Danke für das Teilen der Erfahrungen, es macht mich demütig und hilft nicht zu schnell über andere zu urteilen sondern mehr Empathie für andere zu empfinden. Oder hinzusehn und das Wahre zu sehen und nicht, dass was man meint… War gestern bei pufpaff und er hat recht, wir sehen einander nicht mehr richtig, wir nehmen einander nicht mehr wahr! Ich versuche es noch bewußter zu tun!

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