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Mein Leben mit dem Besonderen #24 Mein Leben mit Peti

Als du diese wundervolle Reihen gestartet hast, habe ich mir das erste Mal bewusst Gedanken gemacht warum es für mich gar nichts „besonderes“ ist. Diese besonderen Menschen.

Warum es für mich völlig selbstverständlich war, dass ich meine beiden Kinder auf die Welt bringe, völlig egal was eine Untersuchung im Vorfeld gesagt hätte. Warum es für mich als Lehrerin auch eine Selbstverständlichkeit ist, dass ALLE Kinder in meiner Klasse sein können und sollen!!

Meine Mama hat einen geistig behinderten Bruder. Peti. Peti hat bei seiner Geburt in den 40er Jahren zu wenig Sauerstoff erhalten, oder er ist zu lange im Geburtskanal gesteckt, so genau weiß das keiner mehr. Es spielt auch keine Rolle mehr. Peti ist „behindert“, oder er „hat nicht alle Tassen im Schrank“. Oder er kann einfach andere Dinge ganz besonders gut, z.B. ein Buch anschauen, in Ruhe auf der Terrasse sitzen und Kaba trinken, oder spazieren gehen.

Seit meiner Geburt lebt Peti in einer WG der Lebenshilfe, mit 12 anderen besonderen Menschen. Und seit meiner Geburt ist meine Mama mit mir und meiner Schwester einmal in der Woche in diese WG gefahren. Einmal im Monat kam Peti für ein Wochenende zu uns. Wir haben dann mit Peti eingekauft, oder gekocht oder sein Zimmer aufgeräumt. Mit allen anderen haben wir dann gemeinsam ein Spiel gespielt, gegessen, Musik gehört, gelacht oder uns gestritten.  Ab und an hat meine Mama die ganze WG zu uns nach Hause eingeladen. Das war ein Fest. Der ganze Garten war immer bevölkert und die Tischtennisplatte war der Mittelpunkt. Abends haben wir gegrillt bis alle müde waren oder bis sich zwei so gestritten haben, dass keiner mehr wach bleiben wollte 😉 oder bis es den Nachbarn zu laut wurde.

Peti hat seit 30 Jahren eine Freundin. Doris. Doris hat ein kleines Zusatzgen. So wie der kleine Sonnenschein. Peti und Doris lieben sich und streiten sich und umarmen sich – und sind ein ganz normales Liebespaar.  Am liebsten gehen sie zusammen Schnitzel essen. Und manchmal fahren sie sogar zusammen in den Urlaub. Ab und an kommt Doris mit zu uns nach Hause.

Mittlerweile lebe ich mit meiner eigenen kleinen Familie in der Stadt in der auch Peti in seiner WG lebt. Um meine Mama zu entlasten übernehme ich nun Aufgaben, die Peti nicht alleine kann, oder besuche ihn. Einfach so, weil er sich dann freut. Ganz besonders wichtig ist es mir, dass meine Kinder immer mit kommen. Ich möchte, dass es für sie so selbstverständlich wie für mich wird und ist, dass es solche besonderen Menschen gibt und sie mitten unter uns und mit uns leben. Peti hat mein Leben immer bereichert. Ich würde sagen, er hat es sogar nachhaltig beeinflusst. Ohne ihn würde mir nicht so viele Gedanken um Integration und Inklusion machen, wäre nicht so offen und würde nicht all diese Schritte die unsere Schulen jetzt endlich gehen müssen als Normalität ansehen. Es ist wichtig, dass wir alle gemeinsam leben. Es gibt so viel mehr als das langweilige normale Leben. Ich finde es so toll, dass ihr den kleinen Sonnenschein auf eine „normale“ Schule schickt. Für sie, für euch und für all ihre Klassenkameraden!! Und ich wünsche ihr, dass sie irgendwann einen „Peti“ findet, mit dem sie ihr Leben teilt. Oh, wie wird das alles noch spannend. Das Allerbeste auf diesem Weg wünscht Euch,

Lisa

2 Kommentare

  1. Knodel Inge sagt

    Schön, dass es Menschen wie mich gibt, die das Anderssein als normal empfinden. Wir sind ja schließlich für andere auch anders. Meine Schwester und ich sind mir Kriegsversehrten und mit einem schwer Kriegsversehrten Vater aufgewachsen. Zu uns kamen Menschen mit schweren Gesichtsverletzungen, Glasaugen die auch mal auf den Tisch gelegt wurden, verschiedenen schweren Körper- und geistigen Behinderungen. Ein Freund meines Vaters hatte einen Kopfschuss erlitten er sah furchtbar entstellt aus. Er war ein ganz lieber und fröhlicher Mensch. Für uns Kinder war das alles normal. Wir haben die Menschen in unserer Umgebung so genommen wie sie waren. Ob ein Mensch etwas anders als der Normalo geboren wird oder durch Krieg, Unfall zu einem besonderen Menschen wird ist doch egal. Wir sollten uns gegenseitig respektieren und helfen, wir leben schließlich in einer Welt.Als unser Carsten so 3 Jahre war schaute er meinen Vater immer so kritisch an. Endlich nach langem Zögern kam es heraus was ihn beschäftigte. Opa wo ist dein Arm? Ich habe ihn verloren:,, sagte mein Vater“. Kannst du denn auf deine Sachen nicht aufpassen? Wir haben alle gelacht und damit war die Sache erledigt. Alle diese Menschen mit Handicap haben mein Leben bereichert und mich geerdet. Jeder von uns kann mal ein Mensch mit einem Handicap werden.
    Inge Knodel

    • Annika sagt

      Oh, das habt ihr beide ganz wunderbar geschrieben! Schön!
      Ich selbst habe keinen „besonderen Menschen“ – obwohl wir alle ja besonders sind – in meiner näheren Umgebung gehabt …. naja, vielleicht meine Großtante, die viele viele Puppen gesammelt, mit ihnen gesprochen und sie schön angezogen hat und ganz viel über die europäischen Königshäuser wusste (und das eigentlich DAS Thema war) … sie hielten auch alle für „nicht ganz normal“, „etwas wunderlich“ … aber für mich war es normal und bereichernd. Ich persönlich bin aber durch das Lesen dieses Blogs viel offener geworden. Danke dafür!

      Liebe Grüße Annika

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